Russland annektiert die ehemals ukrainische Halbinsel Krim und Präsident Wladimir Putin lässt sich öffentlich feiern. Zugleich drohen Moskau scharfe Sanktionen, der Imageverlust ist bereits da. Die Nato schickt Kampfjets nach Polen und Litauen, doch Europas Spitzenpolitiker wirken vor dem EU-Gipfel ebenso hilflos wie US-Präsident Barack Obama. Ein Gewinner der vergangenen Wochen steht aber bereits fest: Es ist der Kalte Krieg.
Denn auch wenn die Berliner Mauer vor bald 25 Jahren fiel, lebt der Begriff ewig fort - in Washington, Brüssel, Berlin und Moskau. Der britische Außenminister William Hague sieht die Welt "am Rand eines neuen Kalten Krieges", Michail Gorbatschow warnt vor einem "neuen Kalten Krieg", CNN zieht "fünf Lehren für den neuen Kalten Krieg" und das EU-Russland-Zentrum in Brüssel weiß, dass "der neue Kalte Krieg" zehn Jahre dauern wird. Auch bei Twitter ist #coldwar dauernd zu lesen.
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Der Kalte Krieg ist also überall, doch was ist dran an all den Vergleichen? Der Begriff ist in der Forschung klar definiert, wie der Historiker Bernd Stöver in seinem Buch Der Kalte Krieg schreibt: "Er war ein Systemkonflikt zwischen dem kommunistischen Modell der staatssozialistischen 'Volksdemokratie' auf der einen und dem westlichen Modell der liberalkapitalistischen parlamentarischen Demokratie auf der anderen Seite". An der Spitze der Blöcke standen mit den USA und der Sowjetunion die Sieger des Zweiten Weltkriegs. Der Zerfall der UdSSR beendete auch den Kalten Krieg.
Die Formulierung hatte 1946 ein Mitarbeiter des damaligen Präsidentenberaters Bernard Baruch erfunden. Ein Jahr später veröffentlichte der Publizist Walter Lippmann eine Broschüre namens The Cold War. A Study in U.S. Foreign Policy. und etablierte den Ausdruck. Stöver betont noch etwas über den Kalten Krieg: "Es war eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte."
Bereits diese Begriffsklärung macht deutlich, dass es ziemlich unpräzise ist, heute vom "neuen Kalten Krieg" zu sprechen. Die Welt hat sich enorm verändert seit 1991.
- Die Ideologien sind verschwunden: Für den Westen ist das russische Vorgehen auf der Krim inakzeptabel und so versuchen EU und USA Moskau durch Sanktionen in seine Schranken zu weisen. Um Ideologie im klassischen Sinne geht es dabei nicht mehr, sondern um Machtansprüche, verletzten Stolz und unterschiedliche Interpretationen des Völkerrechts.
- Im Alltag existiert der Konflikt nicht mehr: Nahezu überall gelten die gleichen Autos, Smartphones und Modelabels als Statussymbole, in Moskau und Washington laufen die gleichen Kinofilme und Radios spielen Pop-Hits der gleichen Bauart. "Im Kalten Krieg existierte eine Trennung nach dem Muster: 'Du gehörst entweder zu uns oder bist gegen uns.' Das ist vorbei", sagt die Politologin Margot Light von der London School of Economics.
- Die Volkswirtschaften sind eng verknüpft: Anders als in den Jahren zwischen 1945 und 1991 machen Russland und der Westen gute Geschäfte miteinander. Das gilt nicht nur für den Energiesektor, sondern auch für Konsumgüter und Dienstleistungen. Für deutsche Konzerne wie Adidas, BMW oder Siemens ist Russland ein ebenso wichtiger Markt wie für McDonald's, Pepsi oder Procter & Gamble. Reiche Russen shoppen in Mailand, fahren Ski in der Schweiz und kaufen in den Metropolen Immobilien. Die britische Hauptstadt ist als "Londongrad" bekannt, weil sich dort so viele wohlhabende Russen niedergelassen haben (mehr in diesem SZ-Artikel).
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Im Herbst 2013 zeigte die britische Doku-Serie "Meet the Russians" das Leben der wohlhabenden (und oft wenig geschmackssicheren) Osteuropäer in London.
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Gewiss: Wenn beide Seiten ihre Sanktionsdrohungen wahrmachen, trifft dies alle Volkswirtschaften schwer. Dennoch wären die Folgen für Russland schlimmer - und das wissen auch Putin und sein engster Machtzirkel.
- China beeinflusst zunehmend die Weltpolitik: Die Nachkriegszeit war geprägt vom Führungsanspruch der UdSSR und der USA. Von beiden ist heute kaum mehr die Rede: US-Präsident Obama möchte die Rolle des Weltpolizisten nur noch bedingt übernehmen, Moskau übt seinen weltweiten Führungsanspruch nur noch in der Phantasie aus - und im postsowjetischen Raum. "Russlands Armee kann nur begrenzt weltweit tätig werden, sie ist keine neue Rote Armee", sagt Matthew Clements vom Fachmagazin Jane's Intelligence Review zu AP. Die neue Stärke Chinas ändert vieles: Im Kalten Krieg gehörte das Land zu den blockfreien Staaten, doch heute ist es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Peking mahnt alle Seiten zu Ruhe und Zurückhaltung, weil es keine Wirtschaftskrise will und die Abspaltung der Krim von der Ukraine im Vielvölkerstaat China Ängste auslöst - siehe Tibet und Taiwan (mehr zu Chinas Haltung zur Krim-Krise in diesem SZ-Artikel).
- Niemand will militärische Eskalation: Das Argument mag zunächst verwundern, denn schließlich haben russische Spezialkräfte auf der Krim Fakten geschaffen - auch wenn ihre Uniformen keine Hoheitsabzeichen hatten. Nun besetzen die Milizen ukrainische Militärbasen auf der Halbinsel. Doch momentan spricht nichts dafür, dass Putin seine Armee an anderer Stelle - etwa gegen die baltischen Staaten - einsetzen will. Die Europäer sind traditionell zurückhaltend und US-Präsident Obama ist wiedergewählt worden, weil er Kriege beendete und keine neuen militärischen Abenteuer wagen will (mehr zu Obamas Außenpolitik). Eine Situation wie in den Jahren 1945 bis 1991, als Stellvertreterkriege rund um den Globus normal waren und "mit Ausnahme atomaren Waffen (...) alles Verfügbare zur Anwendung kam" (Bernd Stöver) existiert heute nicht.
Warum ist dann zurzeit trotzdem so oft vom "Kalten Krieg 2.0" oder dem "neuen Kalten Krieg" zu lesen?
- Der Begriff ist simpel, kurz und bekannt: Als Ausdruck ist "Kalter Krieg" schlicht zu griffig und zu eindeutig, um nicht ständig verwendet zu werden - Politiker und Experten wissen um die Assoziationen. West gegen Ost, Kriegsgefahr, Unsicherheit, die Ähnlichkeiten sind unübersehbar. Also überschreibt die Frankfurter Rundschau ihre Analyse ebenso mit "Der neue Kalte Krieg" wie das Wall Street Journal ("New Cold War? Obama, Putin are split"). Die Kollegen von Spiegel Online titeln erst zu Monatsbeginn "Kalter Krieg in Europa" und entlarven nun "Die Mär vom Kalten Krieg". Und natürlich verwenden auch SZ und Süddeutsche.de den Begriff in Überschriften wie "Leistungskurs im Fach 'Kalter Krieg'".
- Er passt so gut zu Wladimir Putin: Es ist eine These, die sich schwer belegen lässt, aber trotzdem sehr plausibel ist. Wäre Dmitrij Medwedjew noch russischer Präsident und hätte exakt gleich gehandelt, gäbe es wohl trotzdem nicht so viele Vergleiche mit dem Kalten Krieg. Wladimir Putin kalkuliert nicht nur eiskalt - seine Biografie (KGB-Ausbildung, Stationierung in der DDR), seine Äußerungen über den Zerfall der Sowjetunion ("größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts"), sein Macho-Gehabe und die ständige Inszenierung mit Kriegsgerät und Tieren machen es leicht, ihn als "Kalten Krieger" zu bezeichnen.
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Fazit: Zurzeit wird der Begriff "Kalter Krieg" in all seinen Variationen viel zu oft und viel zu unpräzise verwendet - in Überschriften und Teasern, in Statements von Politikern und Experten. Oft geht es nur darum, die angespannte Lage in der Ukraine, den Einsatz von Militär und das Verhalten des russischen Präsidenten zu verbinden.
Das Beispiel von Wladimir Putin illustriert, dass es unter Umständen natürlich legitim sein kann, den Terminus "Kalter Krieg" zu verwenden. Das Weltbild des russischen Präsidenten ist durch die alten Kategorien geprägt ( wie in vielen Analysen herausgearbeitet wurde). Gerade weil Putin nach den vermeintlich alten Mustern agiert und reagiert, fällt es EU, den USA und Japan schwer, eine richtige Antwort zu finden. Gerade weil Putin nach den vermeintlich alten Mustern agiert und reagiert, fällt es EU, den USA und Japan schwer, eine richtige Antwort zu finden.
Sinnvoll verwendet hat den Begriff kürzlich Nicolas Richter, SZ-Korrespondent in Washington, der das Gefährliche an der Denkart des Kalten Kriegs beschrieb, die bis zum heutigen Tag existiert: "Auch etliche Wortführer in der US-Hauptstadt folgen noch immer seiner Logik. Es ist die Logik des Nullsummenspiels: Bekommen die Russen etwas, verlieren die Amerikaner. So gesehen sind die USA auf der Krim jetzt Wladimir Putin bitter unterlegen."
Hier zeigt sich die womöglich klarste Parallele zum "Kalten Krieg" zwischen 1945 und 1991. Dem Historiker Bernd Stöber zufolge schaukelte sich die Auseinandersetzung regelmäßig hoch und führte an den Rand eines Kriegs, weil keine Seite die andere richtig einschätzen konnte: Kontinuierlich habe "die verfehlte Wahrnehmung falsche Entscheidungen produziert".
Linktipps: Unter der Überschrift "Und nun Kalter Krieg?" argumentiert der frühere Chefredakteur der Zeit , Theo Sommer, in einem lesenswerten Text, dass das globale Ringen um Einflusssphären zwischen Russland, den USA, Europa und China nie aufgehört hat. Über die Herausforderungen für Journalisten, über die Krim-Krise und Putin zu berichten, hat sich Hannah Beitzer in diesem Text Gedanken gemacht. Alle Berichte und Analysen von SZ und Süddeutsche.de rund um die Krim-Krise und deren globale Folgen finden Sie auf dieser Übersichtsseite. Alles über die aktuellen Entwicklungen steht im Ukraine-Newsblog.