Rheinland-Pfalz:Ex-Finanzminister Deubel in Nürburgring-Affäre angeklagt

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Ingolf Deubel galt als Zahlenmagier und war als Finanzminister in Rheinland-Pfalz lange hoch geschätzt. Doch am Nürburgring-Projekt scheiterte er. Nun steht der SPD-Politiker vor Gericht - der Vorwurf: Untreue.

Marc Widmann, Mainz

Man müsste eine klassische Tragödie über Aufstieg und Fall des Ingolf Deubel dichten, einen Film drehen zumindest, die Frage ist nur, ob das Publikum die Geschichte glauben würde. Oder ob sie nicht zu überdreht wirkt. Das Leben ist manchmal grotesker als jede Fantasie.

Es geht um die Karriere des einst hoch geschätzten Finanzministers von Rheinland-Pfalz, der von diesem Dienstag an auf der Anklagebank des Koblenzer Landgerichts sitzt; wegen Untreue, wegen seines Versagens in der Nürburgring-Affäre. Atemberaubend verlief sein Abstieg vom angeblichen Zauberer der Zahlen zur angeblichen Lachnummer. Grandioser, grotesker, lächerlicher sei noch nie einer gescheitert seit Dick und Doof, urteilt der Spiegel. Was ist da nur passiert?

Die Geschichte beginnt mit Thilo Sarrazin, genauer mit dessen Abgang. 1997 verlässt Sarrazin das Mainzer Finanzministerium, also macht sich der damalige Minister Gernot Mittler (SPD) auf die Suche nach einem neuen Staatssekretär. Er bittet zwei Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen um Rat, jeder soll drei Namen aufschreiben. Beide setzen einen Namen ganz oben auf die Liste: Ingolf Deubel, promovierter Volkswirt, Oberstadtdirektor von Solingen. Ein brillanter Kopf.

In der Regierung ist man äußerst zufrieden mit dem neuen Mann. Wo Sarrazin kühl war, bisweilen barsch, zieht plötzlich ein neuer Ton ein. Der Neue ist nett und kollegial, er will überzeugen. Mit Belustigung erzählt man sich in Mainz, wie Deubel in Sitzungen schon mal ein Blatt Papier zückt oder mit dem Stift zum Flipchart an der Wand eilt, um allen vorzurechnen, dass er recht hat. "Das war für einen Staatssekretär schon außergewöhnlich", sagt ein SPD-Mann. Uneitel ist der Neue, die Möbel in seinem Büro und die Größe seines Dienstwagens, all das ist Deubel egal. Er will Probleme lösen.

Bald kommt zu ihm, wer in der Regierung ein finanzielles Problem hat, es spricht sich herum, dass da einer findig ist, nicht nur beim Landeshaushalt. Deubel konstruiert einen Stabilisierungsfonds, der die Einnahmen der Kommunen unabhängig von der Wirtschaftslage stabil hält. "Ein hochintelligentes System", lobt einer, der heute noch regiert. Es entstehen neue Landesbetriebe für Immobilien und Verkehr, es wird nicht nur verwaltet, es wird gestaltet. Das ist Ingolf Deubels Stärke, dafür schätzt man ihn, dafür bekommt er bald den Ruf, eine Art Zauberer der Zahlen zu sein, der alles irgendwie hinbekommt.

Gute Eigenschaften sind das für einen Regierenden, doch wie in jeder Tragödie ist der Keim des Untergangs schon da. "Er wollte es allen recht machen", sagt ein Parteifreund, "und er hatte wahrscheinlich das Gefühl, wenn er ein Problem mal nicht lösen kann, ist seine Reputation weg."

Im Jahr 2006 wird der Problemlöser zum Finanzminister. Sein Vorgänger Mittler rätselt bis heute, was dann schieflief. "Das ist schon tragisch", sagt er, "dass einem Mann mit einem so kühlen Kopf so etwas widerfährt, das ist schon bitter. Und ich kann es mir nicht erklären."

Deubel ist jetzt einer der einflussreichsten Finanzpolitiker der SPD, er verhandelt über die zweite Föderalismusreform, schreibt Steuerkonzepte, er arbeitet "beinhart", sagen Kollegen. Dann kommt ein neues Problem, das er lösen soll. Ein gigantisches Problem, 330 Millionen Euro schwer, wie man heute weiß.

Kurt Becks Regierung hat sich in die Idee verstiegen, an der Rennstrecke Nürburgring in der Eifel einen Freizeitpark bauen zu lassen, er sollte die Massen anlocken, wenn gerade kein Formel-1-Rennen ist. Und Deubel, nebenbei auch Aufsichtsratschef der landeseigenen Nürburgring GmbH, soll private Investoren dafür herbeizaubern, die mindestens die Hälfte der Baukosten zahlen. Anstatt die Geldgeber erst einmal abzuwarten, lässt man die Bagger gleich anrollen. Und Deubel sitzt in der Falle. Er muss jetzt liefern, oder sein Ruf als Macher ist dahin.

Es folgt ein Absturz, der sich lange im Verborgenen abspielt und in einem Knall enden wird. Nun kommen Herren in Deubels Büro, gewandet in edles Tuch, die früher im Zirkus arbeiteten oder im Hotel, die jetzt als Finanzvermittler auftreten und vom Geschäft mit amerikanischen Lebensversicherungen schwärmen. Die Berater im Ministerium warnen ihren Chef, aber Deubel glaubt, dass er alles durchschaut, er stützt all seine Hoffnung auf die eloquenten Gestalten. Seine Menschenkenntnis ist längst nicht so ausgeprägt wie sein Wagemut, anders lässt sich schwer erklären, wie er sich derart blenden ließ.

Einen Geldgeber finden die Finanzvermittler der Firma Pinebeck nicht, Monat um Monat zieht ins Land, stattdessen residieren sie in edlen Zürcher Hotels, tafeln fürstlich und treiben sich in Bordellen herum, zumindest einer von ihnen tat das laut Zeugen. Und Deubel verlängert ihnen munter die Honorare, in der Hoffnung, dass sie doch noch liefern.

Je länger ihn die Männer hinhalten, desto schwieriger wird seine Lage. "Am Ende", sagt ein einflussreicher SPD-Mann, "war er in einer verzweifelten Situation."

Am Ende ist der Freizeitpark fast fertiggebaut und Deubels letzte Hoffnung ein Schweitzer namens Urs Barandun, der in Dubai lebt und dessen E-Mails sich wie Geschichten aus Tausendundeiner Nacht lesen. Er verspricht heute dies, morgen das, am Ende übergibt er einen Scheck über 67 Millionen, der angeblich von einem amerikanischen Milliardär stammen soll, in Wirklichkeit aber wohl nur von einem Scheckbetrüger stammt. Im Juli 2009 platzt der Scheck und Deubel tritt zurück. Er hatte bis zuletzt verkündet, alles würde gutgehen, er hatte sich noch triumphierend vor die Presse gestellt, im Glauben, es mal wieder irgendwie geschafft zu haben. Jetzt lacht das ganze Land über ihn.

Seither, seit dem 7. Juli 2009, muss Deubel bezahlen, und auch das ist tragisch an seinem Fall: Er arbeitet als Berater, doch nur wenige Politiker haben den Mut, sich von ihm beraten zu lassen. Für das Saarland und Sachsen-Anhalt hat der 62-Jährige Sparkonzepte geschrieben, aber seine Auftraggeber, zwei CDU-Regierungschefs, mussten sich dafür rechtfertigen, erhielten empörte Anrufe: Was, mit so einem arbeitet ihr zusammen? Deubel ist für manche zum Paria geworden, auch für manche Sozialdemokraten.

Politik ist ein brutales Geschäft, "mörderisch", sagt Deubels Vorgänger Mittler. Ganz gleich, wie der Prozess ausgeht, gestraft ist Ingolf Deubel schon längst.

© SZ vom 16.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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