Süddeutsche Zeitung

Rezension:Ist der Islam grundsätzlich nicht mit Moderne und Demokratisierung vereinbar?

Der Islamwissenschaftler Wilfried Buchta analysiert klug und nüchtern den Fundamentalismus in der arabischen Welt - und entwirft ein apokalyptisches Zukunftsszenario.

Rezension von Moritz Behrendt

Wenn ein Sachbuch fast wie ein Gruselthriller daherkommt, dann kann das am Thema liegen, an der Fähigkeit des Autors, Spannung aufzubauen oder daran, dass er den Boden der Tatsachen verlässt. Auf Wilfried Buchtas neues Buch "Die Strenggläubigen" treffen alle drei zu.

Klug und nüchtern analysiert der Publizist, wie der Fundamentalismus in der heutigen islamischen Welt zur dominanten, ja beinahe hegemonialen Denkrichtung wurde. Nicht weil die meisten Muslime Islamisten sind, das keineswegs, aber weil die Islamisten aggressiver und trotz ihrer vermeintlichen Rückwärtsgewandtheit vor allem innovativer sind als die Kaste der geistig verkrusteten "Hoftheologen", die etwa an der Kairoer Azhar-Universität das Sagen haben, so Buchta.

Wenn sunnitische Autoritäten nach jedem Terroranschlag gebetsmühlenartig verkünden, so etwas habe nichts mit dem Islam zu tun, sie gleichzeitig am wörtlichen Verständnis des Korans festhalten und jede zeitgemäßere Lesart verdammen, dann reicht ihre intellektuelle Strahlkraft tatsächlich nicht aus, um radikaleren Strömungen etwas entgegenzusetzen.

Schlüsseljahr 1979

Für Buchta ist das Jahr 1979 mit drei einschneidenden Ereignissen das Schlüsseljahr für das Verständnis des modernen Islamismus. Nach islamischem Kalender schrieb man damals übrigens das Jahr 1399, eine Zeitenwende also auch mit kalendarischer Symbolkraft.

Neben die Revolution in Iran stellt Buchta die Besetzung der Großen Moschee in Mekka durch saudische Fundamentalisten, denen selbst das wahhabitische Regime nicht streng genug war. Das saudische Königshaus reagierte hilflos und war auf französische Militärhilfe angewiesen, um die Lage zu befrieden. Das dritte Großereignis, die sowjetische Invasion in Afghanistan, kam den Saudis daher sehr zupass. Es bot ihnen die Gelegenheit, unzufriedene Islamisten - unter ihnen Osama bin Laden - loszuwerden.

Diese konnten mit Unterstützung aus den USA und Pakistan nun einen angeblich Heiligen Krieg gegen die ungläubigen Kommunisten am Hindukusch ausfechten. Der globalisierte Dschihadismus war geboren.

Die Gegenüberstellung des schiitischen und des sunnitischen Fundamentalismus gehört zu den stärksten Kapiteln des Buches. Der Autor ist Islamwissenschafter, er hat sich ausgiebig mit Iran befasst und jahrelang für die Vereinten Nationen im Irak gearbeitet. Anschaulich schildert er den seit Saddam Husseins Sturz kontinuierlich gewachsenen Einfluss der Iraner im Nachbarland Irak.

Buchta lässt keinen Zweifel daran, dass er die schiitischen Fundamentalisten strukturell gegenüber den Sunniten im Vorteil sieht. Dank Geschick, Khomeinis Charisma und erheblicher Repressionen gelang es ihnen, einen funktionierenden Staat aufzubauen, auf dessen Agenda es bis heute steht, seine revolutionäre schiitische Ideologie zu exportieren.

Dass Saudi-Arabien und Iran als Führungsmächte der Sunniten und Schiiten heute die großen Antipoden in der Region sind, das ist für Buchta geradezu zwangsläufig. Die theologischen Differenzen der beiden wichtigsten islamischen Glaubensrichtungen seien weitaus größer, als dies im Westen wahrgenommen werde.

Überhaupt habe die westliche Politik die Bedeutung der Religion in den islamisch geprägten Staaten lange sträflich unterschätzt. Da mag Buchta richtigliegen, doch er geht noch weiter und deutet ein teleologisches Geschichtsbild an.

Eine nicht religiös legitimierte Macht sei in der Region zum Scheitern verurteilt - darin bestehe der wesentliche Unterschied zu aufgeklärten Staaten im Westen, schreibt Buchta. In Frageform verpackt legt er nahe, dass der Islam grundsätzlich nicht mit Moderne, Säkularisierung und Demokratisierung vereinbar sei. Blickt man auf den heutigen Zustand der meisten arabischen Staaten, fällt es nicht leicht, ihm zu widersprechen.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch bietet der Verlag hier an.

Doch treibt der Autor den Teufel mit dem Beelzebub aus. Um bloß nicht die Bedeutung der Religion zu unterschätzen, schreibt er sie zur (beinahe) alleinigen Triebkraft der Geschichte hoch. Mit dieser einseitigen These verkauft Buchta seine sonst so vielschichtige Analyse unter Wert, verweist er doch auch darauf, dass in der islamischen Welt jahrhundertelang Widersprüche hingenommen worden sind und gelassene Pluralität möglich war. Die Probleme in der Region heute sind zu vielfältig und zahlreich, als dass alle mit religiösen Ursachen zu erklären wären.

Zum Schluss wagt Buchta einen Blick in die Zukunft - mit einem apokalyptischen Szenario, wie die arabische Welt, Iran und die Türkei in zehn Jahren aussehen könnten. Für jeden Konflikt nimmt er die schlimmstmögliche Entwicklung an, um Politikern im Westen zu zeigen, welche Folgen es haben kann, nicht oder uninformiert zu handeln.

Das atomare Wettrüsten zwischen Iran und Saudi-Arabien ist in dem Szenario noch ein harmloses Beispiel. Der "Islamische Staat" ist wiedererstarkt, der Krieg in Syrien dauert auch im Jahr 2026 noch an. Weitere arabische Staaten sind im Zerfall begriffen. Die Folgen für Europa sind verheerend, auch hier drohen Bürgerkriege. Wie hilfreich eine solche Schwarzmalerei für die politische Entscheidungsfindung ist, sei dahingestellt, gruselig ist sie allemal.

Wilfried Buchta: Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt. Hanser-Verlag Berlin 2016. 240 Seiten. 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Moritz Behrendt arbeitet als freier Journalist in Berlin und ist Mitherausgeber der Orient-Zeitschrift "Zenith".

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Quelle:
SZ vom 21.11.2016/mcs/odg
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