Rettung vor dem Holocaust:Israel ehrt Wehrmachtsoffizier als "Gerechten unter den Völkern"

Juden vor einem Arbeitseinsatz in Polen, 1939 SZ Photo

Ein deutscher Soldat zwingt polnische Juden zum Arbeitseinsatz. Sie müssen mit Besen die Straßen kehren. Das Foto entstand kurz nach dem deutschen Einmarsch in Polen 1939 im damaligen Bromberg, dem heutigen Bydgoszcz. Im weiteren Verlauf des Krieges machten sich die Deutschen daran, die jüdische Bevölkerung systemtisch zu ermorden.

(Foto: Scherl / SZ Photo)

200 Juden rettete der Wehrmachtsoffizier Gerhard Kurzbach vor dem Konzentrationslager. 1942 schloss er sie in der polnischen Stadt Bochnia in eine Fabrik ein, während ihre Familien aus dem Ghetto deportiert wurden. Nun wurde er von Israel dafür geehrt. Durch einen Mann, der nie mehr deutschen Boden betreten wollte.

Von Silke Bigalke, Berlin

Er ist schon oft nach Deutschland eingeladen worden. Aber bisher hat Romek Marber immer abgesagt. Er wollte das Land, das den Zweiten Weltkrieg angezettelt und seine Familie umgebracht hat, niemals betreten. Doch jetzt steht er in Köpenick im Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ) vor 300 deutschen Schülern und kann die Tränen nicht zurückhalten. "Genauso wie mir fällt es auch Deutschland schwer, zu vergessen", sagt er. "Hass ist vernichtend, noch mehr für die Hassenden." Er sei beeindruckt von Berlin, von dem, was hier erreicht wurde für die Freiheit der Menschen.

Romek Marber ist für einen ganz bestimmten Deutschen hier, für den Wehrmachtsoffizier Gerhard Kurzbach, der ihm das Leben gerettet und der am Dienstag posthum den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" erhalten hat. Es ist eine Auszeichnung, die Israel seit 49 Jahren an Menschen vergibt, die Juden vor der Ermordung durch die Nazis gerettet haben.

Der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman überreicht Medaille und Urkunde zwei Enkeln von Kurzbach, der vermutlich 1945 ums Leben kam. Es geschieht im Rahmen einer Bildungsaktion, bei der Schüler etwas über Zivilcourage lernen sollen. Bundespräsident Joachim Gauck ist da. Und Romek Marber ist da und stiehlt dem Präsidenten die Schau. Er erinnert sich, anders als Kurzbachs Angehörige, persönlich an seinen Retter.

"Er war direkt, war energievoll und gut aussehend. Und fluchte viel", sagt Marber. "Er war der einzige Deutsche, den ich nicht gefürchtet habe." Der damals 27-jährige Kurzbach leitete 1941 ein Werk in der polnischen Stadt Bochnia, in dem Militärfahrzeuge repariert wurden. In Bochnia hatten die Deutschen zudem etwa 5000 Juden aus der Umgebung in einem Ghetto zusammengetrieben, viele arbeiteten in Kurzbachs Fabrik.

Im August 1942 erfuhr der Offizier, dass die Bewohner des Ghettos am nächsten Tag deportiert werden sollten. Er riegelte die Fabrik ab, erzählte von einem dringenden Auftrag, den die Arbeiter in Nachtschicht erledigen müssten und rettete so 200 Juden vor dem Konzentrationslager.

"Ich verlor meine Familie"

Unter den Eingeschlossen war der damals 17-jährige Romek Marber. Als er am nächsten Tag mit den anderen Arbeitern zum Ghetto zurückkam, war es leer. "Ich verlor meine Familie", sagt Marber. "Die Fabrik wurde zu einem traurigen Ort." Im März 1943 wurde Kurzbach von den Deutschen versetzt. Er starb vermutlich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Rettung vor dem Holocaust: Dem Holocaust entkommen: Romek Marber in Berlin.

Dem Holocaust entkommen: Romek Marber in Berlin.

(Foto: Israelische Botschaft)

Marber floh, wurde gefasst, kam ins KZ. "Das ist unmöglich zu vergessen, es verfolgt mich jeden Tag", sagt er. Deutschland wollte er nie besuchen, weil er sich nach dem Krieg bei jedem Deutschen gefragt habe: War er in der SS, der Gestapo? Jetzt ist er froh, dass er für Kurzbach nach Berlin gekommen ist.

"Natürlich bin ich traurig und wütend und erschüttert über das, was passiert ist. Aber es darf nicht mein Leben bestimmen." Nach dem Krieg zog Marber nach England, wurde ein bekannter Grafikdesigner, schrieb ein Buch über seine Jugend. Darin fand jemand den Namen Kurzbach, forschte nach und entdeckte dessen Geschichte. "Ich war das Werkzeug dazu", sagt Marber.

Als er fertig gesprochen hat, steht das Publikum auf und applaudiert. Standing Ovations hat sein Vorredner, Joachim Gauck, nicht bekommen. Eindruck hinterlässt er trotzdem. Gauck ist ins FEZ gekommen, um mit den 15- bis 19-jährigen Schülern über Helden und Zivilcourage zu sprechen. Als Beispiel nehmen sie einen anderen "Gerechten unter den Völkern", den Schweden Raoul Wallenberg. Er rettete 1944 in Budapest Zehntausende ungarische Juden und kam selbst später unter ungeklärten Umständen ums Leben.

Einige der Berliner und Brandenburger Schüler hören seinen Namen zum ersten Mal. Man werde nicht immer belohnt für Heldentum, eröffnet Gauck die Diskussion. Und stellt klar, dass man nicht sein Leben riskieren muss, um Vorbild zu sein. Die häufigste Frage der Schüler ist die, warum sich die Deutschen so schwer tun, die Helden von damals zu ehren.

"Meine Eltern waren schlichte Mitläufer", sagt Gauck. Ihn habe das sehr geärgert. Indem sich diese Generation nicht mit den Helfern auseinandersetze, wolle sie der Frage entgehen, was sie selbst getan habe. Die Schüler ermahnt er, die deutsche Vergangenheit nicht zu vergessen. "Wir sind verantwortlich für unser Wissen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: