Ressentiments als Wahlkampftaktik:Jost de Jager warnt vor "Dänen-Ampel"

Der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager hat den SSW zur Zielscheibe seines Wahlkampfs gemacht. In einem verstörenden Tonfall warnt er vor einer gemeinsamen Regierung von SPD, Grünen und SSW. Damit riskiert de Jager, dass alte Frontstellungen wieder belebt werden, die dem Zusammenleben in Südschleswig schaden können.

Jens Schneider

Die Politiker im Kieler Landeshaus zeigen sich gern besonders tolerant - solange keine Wahlen sind. Viele Abgeordnete im schleswig-holsteinischen Parlament sind stolz darauf, dass ihre Minderheitenpolitik europaweit als Vorbild gilt. Und sie dürfen stolz sein: In den letzten Jahrzehnten ist im Umgang mit der dänischen Minderheit, die vom Südschleswigschen Wählerverband SSW vertreten wird, eine imponierende politische Kultur entwickelt worden. "Wahre treu, was schwer errungen", heißt es in der Landeshymne. Die CDU sollte das nicht aufs Spiel setzen, auch nicht im Wahlkampf.

Der SSW genießt Respekt. Die besonnene Fraktionschefin Anke Spoorendonk wird gar als moralische Autorität wahrgenommen. Sie findet mit feinem Blick besänftigende Worte, wenn sich CDU und SPD mal wieder - da hapert es oft an der Kultur - auf unappetitliche Weise ineinander verkeilen. Dieses entspannte Klima erscheint inzwischen so selbstverständlich, dass viele Jüngere sich schwer vorstellen können, wie belastet das Verhältnis zwischen Dänen und Deutschen einmal war.

Überwunden sind die Zeiten der erbitterten Konfrontation, in denen brutal Macht und Dominanz ausgeübt wurden. In Südschleswig ist die Erinnerung daran in vielen Familien noch präsent, nicht jeder findet es normal, dass etwa Flensburg von einem Dänen regiert wird. Aber im Landtag käme niemand darauf, die Parlamentarier des SSW als Abgeordnete zweiter Klasse anzusehen. Das gilt Monat für Monat, nicht nur in Sonntagsreden - bis die Zeit der Wahlen kommt, und die Angst vor dem Machtverlust.

Dann geht manchen das Gespür dafür verloren, dass Politiker mit ihrer Wortwahl ein Klima prägen. Dass sie die Grenzen des Vertretbaren abstecken und - gerade gegenüber Minderheiten - eine Linie vorgeben. Und dass die Politik sich hüten muss, noch latente Vorbehalte zu bedienen. Der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager dürfte das alles wissen, und ist doch der Versuchung erlegen. Er hat den SSW zur Zielscheibe seines Wahlkampfs gemacht. In einem verstörenden Tonfall warnt de Jager vor einer "Dänen-Ampel", einer gemeinsamen Regierung von SPD, Grünen und SSW.

Zu einer solchen Koalition sind diese drei Parteien entschlossen, gewiss. Sie haben inhaltlich viele Gemeinsamkeiten. Erstmals würde der SSW damit direkt an der Macht beteiligt. Und de Jager hat keine Chance, die schwarz-gelbe Koalition fortzusetzen. Seine einzige Machtoption ist eine große Koalition. Also muss er gegen Rot-Grün-Blau kämpfen. Aber damit begnügt er sich nicht. Er hebt die Rolle der Dänen in dieser Konstellation hervor: Sie dürften nicht zum Steigbügelhalter für Rot-Grün werden.

So setzt er auf Ängste vor einer dänischen Beteiligung. De Jager würde das so nie sagen. Der bedächtige Mann ist gewiss kein Nationalist. Er spielt aus purer Wahltaktik mit Ressentiments. Um eigene Anhänger zu mobilisieren, treibt er ein heikles Spiel mit nationalistischen Untertönen. Und er scheint zu vergessen, dass ein Politiker in kurzer Zeit mit wenigen Worten viel kaputt machen kann. Die Christdemokraten riskieren, alte Frontstellungen wieder zu beleben, die dem Zusammenleben in Südschleswig schaden können.

Begründet werden die Angriffe auf den SSW auch mit dessen Sonderstatus. Er ist von der Sperrklausel ausgenommen und mit vier Prozent der Stimmen im Parlament vertreten. Der SSW solle sich, wie angeblich bisher immer, neutral verhalten. Das ist grotesk, weil die Dänen sich nie als neutral angesehen haben.

Diese Forderung offenbart ein absurdes Verständnis von Rechten für Minderheiten. Die Sonderrechte werden ja gerade eingeräumt, damit Einfluss genommen werden kann - sonst wäre der SSW im Parlament nur eine Folklore-Truppe. Alle Bekenntnisse zur Toleranz müssen ihre wahre Probe bestehen, wenn es ernsthaft um etwas geht. In den Tagen nach der Wahl könnte es so weit sein.

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