Gefängnisse:Lohn für die Nachbarn von morgen

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Karlsruhe wird hinsichtlich der Bezahlung von Strafgefangenen voraussichtlich eine Reform anstoßen: Schlosserei der JVA Heilbronn. (Foto: Franziska Kraufmann/DPA)

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt darüber, ob Strafgefangene für ihre Arbeit im Gefängnis besser bezahlt werden sollten. Dafür gibt es Argumente.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Verhandlung war schon stundenlang in Gange, da regte sich bei Christine Langenfeld der Zweifel. "Ich stelle mir die Frage, ob der Gesichtspunkt der Produktivität bei der Gefangenenarbeit überhaupt eine Rolle spielt", fragte die Verfassungsrichterin. An diesem Punkt der zweitägigen Anhörung hatte das Bundesverfassungsgericht von den nach Karlsruhe gereisten Fachleuten bereits erfahren, dass hinter Gittern wenig gezahlt wird, weil die Leistungen halt auch wenig wert sind - wegen Suchtproblemen, Arbeitsentwöhnung, was auch immer. Da wollte die Richterin nun doch wissen, ob man hier wirklich mit dem Maßband des Kapitalismus messen darf. Oder ob es eine zukunftsweisendere Kategorie gibt. Den Grundsatz der Resozialisierung zum Beispiel.

Zwei Strafgefangene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen hatten Verfassungsbeschwerde eingereicht, um dem Gericht eine alte und offenkundig immer noch ungelöste Frage vorzulegen. Ist die Vergütung für die Arbeit im Strafvollzug unangemessen niedrig? Aus der Perspektive des freien Marktes wäre die Frage leicht zu beantworten, denn der Stundensatz liegt irgendwo zwischen 1,30 und 2,30 Euro - eine tiefe Kluft also bis zum Mindestlohn von demnächst 10,45 Euro. Hier wird gern eingewendet, Gefangene hätten, nun ja, Kost und Logis frei. Für Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft, ist das kein Argument: "Die Gefangenen sind bereit, sich an den Haftkosten zu beteiligen."

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An dieser Stelle wird eben gern die geringe Produktivität aufgefahren. 56 Prozent der Gefangenen hätten keine Berufsausbildung, 65 Prozent seien vor der Haft nicht berufstätig gewesen. Dann die Drogen, der Alkohol, der ständige Wechsel - das senke die Produktivität der Gefängnisarbeit, sagte Marc Meyer, Ministerialrat im bayerischen Justizministerium. Außerdem, Stichwort Langeweile, seien die Jobs im Vollzug auch ohne gute Löhne begehrt.

Vizepräsidentin Doris König, als Berichterstatterin für das Verfahren zuständig, wollte die beiden Länder erst einmal an ihren eigenen Zielen messen. Danach solle die Arbeit im Strafvollzug auch zur Entschädigung der Opfer beitragen, zur Wiedergutmachung und nebenbei zum Unterhalt für Angehörige. Und dies von 300 oder 350 Euro im Monat, wovon ein Teil angespart wird und vielleicht 120 Euro für den Konsum übrig bleiben. Sie sehe da eine gewisse Widersprüchlichkeit, sagte König: "Man verdient wenig, soll aber Wiedergutmachung leisten." Große Ziele, sekundierte Peter Michael Huber, da wäre weniger vielleicht mehr.

Ein kleinerer Schuldenberg kann den Start in die Freiheit erleichtern

Womit man bei den Zielen der Arbeit im Strafvollzug wäre. Für Christine Graebsch, Anwältin eines der Kläger, ist entscheidend, dass der Lohn der Arbeit eine Anerkennung für den Gefangenen bedeutet. Das hat sie sich nicht ausgedacht, sondern dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1998 entnommen, das schon einmal für eine Lohnerhöhung gesorgt hat. "Die Gefangenen müssen eine neue Identität finden, die in ein straffreies Leben führt - indem sie in der Arbeit etwas Neues finden", sagte Graebsch.

Resozialisierung ist also das Schlüsselwort, nicht Produktivität. Caroline Ströttchen vom NRW-Justizministerium machte deutlich, der Beitrag der Arbeit zur Wiedereingliederung lasse sich nur individuell beantworten. Manche Gefangene müssten zunächst Gewaltneigungen oder psychische Probleme in den Griff bekommen, Schule nachholen oder die Sprache lernen. Für andere sei Arbeit ein wichtiger Faktor für die Resozialisierung. "Man soll lernen, was ein gutes Leben ist", so fasste es Christine Langenfeld zusammen.

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Was das Geld nun damit zu tun hat, ist nicht leicht zu beantworten. Zwar ist der Mickerlohn nicht hilfreich. "Es gibt keinen Forscher, der sagt, Resozialisierung gelingt besser, wenn man schlecht bezahlt", ätzte Graebsch. Andererseits forderte kaum jemand, die Gefangenen müssten unbedingt mehr Bares für Zigaretten, Telefon und Fernsehen im Knast bekommen. Ein häufig von der Richterbank zu vernehmendes Wort lautete "Bruttoprinzip". Dahinter steckt der Gedanke, auf dem Papier höhere Löhne zu zahlen, daraus aber größere Anteile für Haftkosten, Schuldentilgung oder Unterhaltspflichten abzuzweigen. Das muss keine Mogelpackung sein. Mit einem geschrumpften Schuldenberg wäre der Start in die Freiheit leichter. Und wer selbst den Unterhalt für seine Kinder zahlt, kann dadurch "Selbstwirksamkeit erfahren", sagte Graebsch.

Dass Karlsruhe mit dem Urteil in einigen Monaten einen Reformanstoß geben wird, dürfte nach der Anhörung außer Zweifel stehen. Wie konkret er sein kann, ist komplizierter zu beantworten. Viel wurde darüber gesprochen, Arbeit nicht nur mit Geld zu vergüten, sondern mit großzügiger Haftverkürzung oder einem Erlass von Gerichtskosten. Jedenfalls lohne sich jede Brücke in ein straffreies Leben, mahnte Manuel Matzke. Der Gewerkschaftler, einst selbst in Haft, sagte: "Irgendwann sind die, die in Haft sind, die Nachbarn von uns allen."

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