Süddeutsche Zeitung

Resolution zum Massaker:Integrationsbeauftragte Özoğuz kritisiert Armenien-Antrag

  • Der Bundestag will die Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million ethnischer Armenier als Völkermord verurteilen - Özoğuz hält das für einen Fehler.
  • Für die Menschen werde sich "dadurch nichts verbessern - ganz im Gegenteil", sagt Özoğuz: Ultranationalisten und Staatspräsident Erdoğan erhielten dadurch einen riesigen Auftrieb.
  • Grünen-Chef Özdemir, einer der Initiatoren des Antrags, weist die Kritik zurück.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Integrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoğuz, hat die geplante Armenien-Resolution des Bundestags kritisiert. Das Parlament will die Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million ethnischer Armenier als Völkermord verurteilen - Özoğuz hält das für einen Fehler. Die Sozialdemokratin sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Türkei muss Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg übernehmen." Das schulde "sie nicht nur sich selbst, sondern ganz besonders der armenischen Minderheit im Land". Deshalb werde sie dem Antrag im Bundestag zustimmen.

Gleichzeitig erklärte Özoğuz jedoch: "Ich halte aber den Fakt, dass wir im Deutschen Bundestag eine solche Abstimmung durchführen, trotzdem für den falschen Weg. Denn jene, die meinen, mit dem einen Begriff Völkermord würde automatisch eine Aufarbeitung in der Türkei einhergehen, irren sich. Durch diese Abstimmung wird das eigentliche Ziel der Aufarbeitung erneut in weite Ferne gerückt."

Özoğuz sagte, der Bundestag könne "diese Resolution verabschieden, aber er ist nun mal kein Strafgerichtshof". Für die Menschen werde sich "dadurch nichts verbessern - ganz im Gegenteil: Ultranationalisten und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erhalten einen riesigen Auftrieb, denn sie werden die Resolution als einen weiteren Angriff des Westens gegen die Türkei instrumentalisieren. Die vernünftigen, nachdenklichen Stimmen werden isoliert und auf längere Zeit keine Chance auf Gehör haben."

Türkische Verbände versuchen schon seit Langem, das Votum des Bundestages zu verhindern. Bei einer Demonstration in Berlin wurde am Samstag unter anderem mit der Parole "Der Bundestag ist nicht zuständig! Parlamente sind keine Gerichte!" gegen die Armenien-Resolution protestiert. Auch die türkische Regierung bestreitet bis heute, dass es sich bei den Massakern vor hundert Jahren um einen Völkermord gehandelt hat.

Grünen-Chef Özdemir: Resolution hilft bei Aussöhnung

Der Antrag, auf den sich die Fraktionen von Union, SPD und Grünen verständigt haben, trägt die Überschrift: "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916". Er soll am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden.

Grünen-Chef Cem Özdemir, einer der Initiatoren des Antrags, wies die Kritik von Özoğuz zurück. Özdemir sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die anstehende Verabschiedung der Armenier-Resolution durch den Bundestag kann keine geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien verhindern, da es diesen Prozess auf ausdrückliche Intervention von Erdoğan hin nicht gibt." Mangelnde Aufarbeitung sei "also gerade kein Argument gegen die Resolution, sondern eines dafür".

Der Armenien-Antrag unterstütze "die Aussöhnung, indem er unter anderem den Mut der türkischen Zivilgesellschaft ausdrücklich betont". Weniger Mut sollten "frei gewählte Abgeordnete des Bundestags, die im Gegensatz zu den Menschen in der Türkei nicht um ihre Sicherheit und ihren Beruf fürchten müssen, nicht haben", sagte Özdemir mit Blick auf die Zurückhaltung von Özoğuz.

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SZ vom 30.05.2016/dayk
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