Süddeutsche Zeitung

Resolution des UN-Sicherheitsrates:Vergewaltigung als Waffe

Mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, Vergewaltigung als Kriegstaktik zu verurteilen, wird sexuelle Gewalt endlich als eine Kriegswaffe anerkannt. Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Dakulic über das Leid der Opfer und das Unverständnis der Täter.

Ich erinnere mich noch sehr genau an die erste vergewaltigte Frau, die ich traf. Es war im Herbst 1992, in einer kleinen Stadt in der Nähe von Zagreb. Sie war eine Muslimin aus Kozarac in Bosnien. Nachdem sie einige Monate in einem Internierungslager verbracht hatte, war sie mit einer Flüchtlingsgruppe nach Zagreb gekommen. Nennen wir sie Selma.

Selma war Mitte dreißig, mit kurzen braunen Haaren und blauen Augen. Leise, fast flüsternd erzählte sie mir ihre Geschichte: Sie war gerade daheim, zusammen mit ihren beiden Kindern und ihrer Mutter, als eine Gruppe serbischer Paramilitärs auf den Hof kam. Sie sagten, dass sie nach Waffen suchten. Aber in ihrem Haus gab es keine Waffen - und auch kein Gold, worauf es die Soldaten in Wahrheit abgesehen hatten. Wütend packte sie einer der Männer und stieß sie ins Schlafzimmer.

Dann kamen die anderen dazu. "Dann machten sie das mit mir", sagte Selma nur und schaute auf ihre Hände. "Ich konnte meinen Kindern noch lange danach nicht in die Augen blicken ... Ich wusch mich und wusch mich und wusch mich, aber ihr Geruch ging nicht weg. Stell dir vor, sie machten das mit mir auf meinem Ehebett ...", sagte sie.

In ihren Worten lag eine Spur von Verzweiflung. Sie weinte nicht, nicht mehr. Aber sie schämte sich, und die Schande verließ sie nicht, sie musste lernen, mit ihr zu leben, so wie es ihr Ehemann lernen musste.

Und die Gesellschaft? Nun, tatsächlich wurde den ungefähr 30.000 Opfer sexueller Gewalt in Bosnien niemals der Status von Kriegsopfern zugesprochen.

Als ich an meinem Buch "Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht" über Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien arbeitete, stieß ich auf den "Fall Foca".

Es ist der Fall von drei Serben, die muslimische Mädchen gefangen hielten, folterten, zu Sexsklavinnen machten und vergewaltigten. Doch die Männer verstanden nicht ganz, warum sie nun angeklagt wurden. Einer von ihnen verteidigte sich mit den Worten: "Aber ich hätte sie doch auch töten können!" Aus seiner Sicht hatte er ihnen sogar das Leben gerettet. Vergewaltigung? Was für ein Verbrechen ist das schon verglichen mit Mord?

Der Fall wurde wichtig, denn Florence Mumba, die sambische Richterin, sprach die Angeklagten am 22. Februar 2002 schuldig. Die drei waren die ersten Männer in der europäischen Rechtsgeschichte, die für Folter, Sklaverei und Verstöße gegen die Menschenwürde im Zuge einer Massenvergewaltigung, hier der bosnischen Musliminnen, verurteilt wurden - und zwar für " Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Das Urteil erkannte an, dass sexuelle Gewalt eine Waffe der ethnischen Säuberung ist. Nicht nur treibt es sie Frauen in die Schande, sie erniedrigt ihre Männer, die sie nicht beschützen konnten. Frauen wurden deshalb oft absichtlich vor ihren Augen vergewaltigt.

Sexuelle Gewalt zerstört die ganze Gesellschaft, denn das Stigma bleibt ihnen, wird nicht vergessen und nicht vergeben.

Während der Verhandlungen im "Fall Foca" wurde als Zeugin auch die Mutter eines zwölfjährigen Mädchens aufgerufen, das von Radomir Kovac gefangen genommen worden war. Kovac, ein Mann Mitte vierzig, vergewaltigte sie und verkaufte sie dann für den Gegenwert von 100 Euro an einen montenegrinischen Soldaten. Danach wurde das Mädchen nie wieder gesehen.

Die Mutter war gekommen, um dem Täter gegenüberzutreten und gegen ihn auszusagen. Aber als sie im Zeugenstand war, kamen keine Worte aus ihrem Mund. Nur ein Geräusch wie das unerträgliche Heulen eines tödlich verwundeten Hundes.

Die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates in der Nacht zum Freitag, Vergewaltigung als Kriegstaktik zu verurteilen, wird ihre Tochter nicht zurückbringen, das kann keine Resolution. Aber es ist eine historische Resolution, weil sexuelle Gewalt endlich als eine Kriegswaffe anerkannt wird und dementsprechend bestraft werden kann.

Kein Mann kann sich mehr verteidigen, indem er sagt, dass er die Frau, die er "nur" vergewaltigt habe, auch hätte umbringen können - denn Vergewaltigung ist eine Art langsamer Mord.

Die Autorin ist kroatische Schriftstellerin. Sie lebt in Wien und in Istrien. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Roman "Frida" (Zsolnay Verlag, 2007).

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Quelle:
SZ vom 23.06.2008/Deutsch von Petra Steinberger
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