Unsicherheit? Selbstzweifel? Nichts davon ist von den Tea-Party-Vertretern zu hören, die sich zum Last-Minute-Deal im US-Kongress äußern. "Wir bereuen gar nichts", tönt Matt Kibbe von "Freedom Works" und schimpft über die Kapitulation der Establishment-Republikaner. "Wir brauchen mehr echte Konservative im House", befindet der Abgeordnete Raul Labrador aus Idaho. Dass das Image der Republikaner unter Amerikas Wählern immer schlechter wird, stört die Hardliner nicht: Sie sind von der Mission getrieben, ihre Werte zu verteidigen.
Insofern ist es schwierig, die vor viereinhalb Jahren entstandene Tea-Party-Bewegung nach dem Last-Minute-Deal vom Mittwoch eindeutig in das nicht nur bei Journalisten so beliebte Gewinner-Verlierer-Schema einzuordnen. Für Chris Cillizza, Polit-Blogger der Washington Post, ist klar, dass John Boehner sowie die Marke "Republikaner" enorm gelitten haben. Welche Folgen die turbulenten Wochen für die Tea Party ( und übrigens auch für den vermeintlichen Sieger Barack Obama) haben werden, zeigt sich wohl erst nach den nächsten Kongresswahlen im November 2014. Bislang geben Experten wie Larry Sabato von der University of Virginia den Konservativen sehr gute Chancen, die Mehrheit im Senat zurückzugewinnen. Sollte das doch nicht gelingen, wäre dies nur so zu erklären: Die Radikalität der Tea Party wird immer mehr Wählern suspekt.
Im Februar hatte ich in einem Blog-Beitrag argumentiert, dass die konservativen Puristen nach Obamas Wiederwahl ein wichtiger Akteur in der US-Politik bleiben werden. Nach dem Showdown rund um den "government shutdown" und die Schuldenobergrenze lässt sich das Bild der Tea Party schärfer zeichnen:
- Die Tea Party bestimmt die Agenda mit. Etwa 50 republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus fühlen sich der Tea Party verbunden und können als geschlossener Block ihrem Anführer John Boehner die eigene Mehrheit verweigern. Also werden sie alles versuchen, um ihre Ziele (Abbau von Schulden, Abschaffung von Obamacare, weniger Einfluss des Staates auf Bürger und Unternehmen) durchzusetzen.
- Die Abgeordneten der Tea Party bleiben standhaft. Als Amerika die Zahlungsunfähigkeit drohte, wurde die Tea Party von vielen Seiten bedrängt. Finanzinvestoren, die Chefs von Weltbank und IWF, die Handelskammer, Demokraten und die Mehrheit der Medien: Sie alle warnten vor den verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft eines US-Staatsbankrotts. Dass die Hardliner nicht eingeknickt sind, wundert Experten wie den Politologen Christopher Parker nicht. Er sagte der Washington Post: "Die Leute verstehen nicht wirklich, wie wichtig es für die Tea Party ist, keine Kompromisse einzugehen." Parker, der an der University of Washington forscht, hat für eine aktuelle Studie Daten in 15 US-Bundesstaaten erhoben und so wichtige Details über die Bewegung herausgefunden.
- Die Tea Party ist getrieben von Angst und Paranoia. Laut Parker treibt die Anhänger der Tea Party nicht nur die Verachtung für Präsident Obama an. "Die Unterstützer sind meist weiße, heterosexuelle Männer aus der Mittelklasse mit eher unterdurchschnittlicher Bildung, die ihre Werte und ihren Lebensstil bedroht sehen", sagt Parker. Dass zeitgleich mit der Wahl des Afroamerikaners Obama eine Frau, nämlich Nancy Pelosi, dem Repräsentantenhaus vorstand oder der bekennende Homosexuelle Barney Frank zu den wichtigsten Abgeordneten zählte, verstörte diese Gruppe. Die Harvard-Expertin Theda Skopcol sagt: "Sie denken: 'Unser Land wird uns weggenommen.' Obama als Person und vor allem seine Gesundheitsreform sind die Symbole dieses Wandels." Weil die Aktivisten vor allem den in ihren Augen stattfindenden Verfall stoppen wollen, sind Kompromisse keine Option. Also beharren Tea-Party-Abgeordnete wie Tom Rooney weiter auf ihrer "Alles oder nichts"-Position: "Wir haben gelernt, dass die Menschen in unseren Stimmkreisen hinter uns stehen."
- Die Tea Party ist kaum zu kontrollieren. Die letzten Wochen haben eines deutlich gezeigt: Auch wenn die Motive der Tea-Party-Basis und ihrer Parlamentsvertreter sehr ähnlich sind, handelt es sich doch um eine sehr heterogene Bewegung. "Die Linke denkt, dass das big business die Tea Party kontrolliert. Das ist aber falsch", sagt die Politikprofessorin Skopcol, die ein Buch über die Anti-Obama-Bewegung geschrieben hat. Zwar sei die Tea Party von konservativen Spendern und Stiftungen in der Gründungsphase mit viel Geld unterstützt worden, aber deren Einfluss sei nun äußerst gering. Und noch ein Punkt wird oft vergessen, den der Abgeordnete Raùl Labrador gern betont: "Die Tea Party ist nicht nur wegen Barack Obama entstanden. Die Leute waren von den Republikanern frustriert, weil die in den Bush-Jahren zu viel Geld für Kriege und Bankenrettung ausgegeben haben." Die Warnung, die eigene radikale Haltung schade dem Image der Republikaner, kümmert viele Tea-Party-Anhänger also kaum.
All dies spricht nicht dafür, dass es den Politikern in Washington in naher Zukunft gelingen wird, die drängenden Probleme der USA zu lösen. Vielmehr könnte es zum Jahreswechsel und im Winter 2014 zu einer neuen Eskalation kommen - am 15. Januar sowie am 7. Februar enden die gerade ausgehandelten Übergangslösungen für Staatshaushalt und Schuldenobergrenze.
Entscheidend könnte sein, ob sich Ted Cruz, der neue Held der Tea Party, erneut entschließt, die Abschaffung der Obamacare-Versicherung zu fordern und sich auf Kosten der eigene Partei zu profilieren. Kurzfristig ist der Texaner ein Gewinner des jüngsten Showdowns: Bereits elf Monate nach seiner Wahl in den US-Senat kennt nun fast jeder Amerikaner den ehrgeizigen Cruz, der 21 Stunden lang gegen Obamacare wetterte und nun wegen seiner Kompromisslosigkeit von der Basis verehrt wird.
Allerdings könnte Cruz einen hohen Preis für diese riskante Strategie bezahlen: Wenn er 2016 für die Republikaner als Präsidentschaftskandidat antreten will, wird er wohl oder übel genau jene im Parteiestablishment brauchen, die er nun vorgeführt und gedemütigt hat. Und dass ein Hitzkopf wie Cruz wohl keine Chance hat, die unentschlossenen Wähler in den wichtigen swing states, zu überzeugen, wissen die republikanischen Berater, Funktionäre und Parlamentarier nur zu gut.
Insofern könnte sich gerade wegen der Radikalität der Tea-Party-Basis und ihres neuen Lieblings Cruz wieder ein Demokraten oder eine Demokratin den Platz im Weißen Haus sichern. Oder wie es der Blogger Ezra Klein formuliert: "Wenn es Ted Cruz nicht geben würde, müssten ihn die Demokraten erfinden."