Republikaner-Kandidat mit libertären Ideen:Warum Ron Paul die amerikanische Jugend begeistert

Außenseiter mit radikalen Plänen: Als US-Präsident möchte Ron Paul die Notenbank abschaffen, Drogen legalisieren und alle Soldaten zurückholen. Mit beißendem Spott zweifelt er die Steuerpläne seiner republikanischen Konkurrenten an und kritisiert deren Kriegsrhetorik. Für viele junge Amerikaner ist Paul der einzige glaubwürdige Kandidat, für den sie bereit sind, Zeit und Geld investieren.

Matthias Kolb, Columbus, Ohio

Es war ein Schlagabtausch, wie er in vielen der zwanzig TV-Debatten der republikanischen Präsidentschaftskandidaten stattgefunden hatte. Moderator John King fragte Ron Paul, weshalb er Rick Santorum in einem Werbespot als "falsch" bezeichnet habe (Spot: "Rick Santorum a Fake conservative?"). Die Antwort des 76-Jährigen kam prompt: "Weil er kein echter Fiskalkonservativer ist." Santorum konterte mit einem Spruch ("Mich gibt es wirklich"), doch Paul legte nach: "Ich finde es faszinierend, dass alle Politiker im Wahlkampf versichern, dass sie sparen und Steuern senken wollen. Doch wenn sie im Amt sind, bleibt von den Versprechungen nichts übrig. Das zerstört unsere Glaubwürdigkeit."

Ron Paul

"Youth for Ron Paul": Der libertäre Kandidat überzeugt auch durch die Konsistenz seiner Standpunkte.

(Foto: AP)

Glaubwürdigkeit, das ist die Geheimwaffe des Ronald Ernest Paul. Eine Woche vor den zehn Vorwahlen, die am Super Tuesday stattfinden, sitzen zwei Dutzend Aktivisten in einem Büro in der Innenstadt von Columbus, der größten Stadt Ohios. "Uns war klar, dass wir eine Wahlkampfzentrale brauchen, um die Kampagne für Ron Paul zu koordinieren", sagt Joe Bozzi.

Seit Ende Januar kommt er fast jeden Abend hierher, um Ron Pauls Botschaft zu verbreiten und Flugblätter, Pins, Sticker und Plakate auszugeben. Dabei wird der Texaner gar keine Veranstaltungen in Ohio abhalten: Er konzentriert sich vor allem auf kleinere Staaten, in denen caucuses abgehalten werden, bei denen die Wähler vor der Stimmabgabe über die Programme der Bewerber diskutieren. Mit 38 ist Bozzi einer der Ältesten, doch seine Leidenschaft kennt keine Grenzen. "Vor Jahren habe ich im Internet über eine Steuererhöhung gelesen, die im Repräsentantenhaus mit nur einer Gegenstimme beschlossen wurde. Diese Gegenstimme war Ron Paul", berichtet Bozzi, während er Checklisten an die Freiwilligen verteilt.

Sie werden die nächsten Stunden am Telefon verbringen, um den Wählern zwei Fragen zu stellen: "Sind Sie dafür, unsere Soldaten aus Afghanistan zurückzuholen und finden Sie, dass die Staatsschulden abgebaut werden sollen?" Wenn die Menschen beides bejahen, erklärt ihnen die 18-jährige Payton, dass Paul der einzige Kandidat ist, der sich seit Jahren für diese Ziele einsetzt. Wie viele Studenten fragt sich Payton, wie ihre Generation den Schuldenberg abtragen soll, den Republikaner und Demokraten angehäuft haben. Sie hasst den Dauerstreit zwischen den Parteien und die Lügen der Politiker: "Was ich an Ron Paul schätze, ist seine Beständigkeit. In den letzten 30 Jahren ist er sich treu geblieben. Er wird sich nicht verändern, nur weil er ein Amt übernimmt."

Mit ihrer Faszination für den kauzigen Abgeordneten ist Payton nicht allein: In fast allen Primaries erhält er die meisten Stimmen der Unter-30-Jährigen und bei Facebook hat er knapp eine Million Freunde. Kein anderer Bewerber der Republikaner hat so viele Anhänger, die neben ihrer Zeit auch Geld investieren. Payton engagiert sich für Ron Paul, seit ihr Bruder ihr einen Link zu dessen Wahlprogramm geschickt hat.

Pauls Plan "Restore America" wurzelt im Libertarismus, also in der Vorstellung, dass der Staat die Freiheit des Individuums so wenig wie möglich einschränken soll. Die Studentin beeindruckt, wie detailliert der Texaner seine Reformen vorstellt: Um niedrige Steuersätze zu finanzieren, will Paul jegliche Entwicklungshilfe streichen und fünf Bundesministerien abschaffen. Betroffen wären die Ressorts für Energie, Innen, Bildung, Wirtschaft sowie Bau und Stadtentwicklung. Er selbst würde sich mit 39.336 Dollar begnügen: So hoch ist das Durchschnittsgehalt eines Arbeiters in den USA.

Harte Kindheit, klare Meinungen

Kürzlich stellte eine unabhängige Expertenkommission fest, dass es Ron Paul im Gegensatz zu Mitt Romney, Newt Gingrich und Rick Santorum gelingen würde, die amerikanischen Staatsschulden von mehr als 15 Billionen Dollar zu senken. Allerdings sehen die Fachleute seinen wichtigsten Vorschlag extrem skeptisch: Paul will die Notenbank Fed abschaffen und den Goldstandard für den Dollar wieder einführen.

Debatte der republikanischen Spitzenkandidaten in Mesa

Seine Anhänger hat Ron Paul vor allem unter den jungen Amerikanern.

(Foto: action press)

Ohne die Kenntnis seiner Biographie ist das Weltbild von Ron Paul kaum zu verstehen. Er wurde 1935 geboren und laut New York Times "durch harte Zeiten geformt". Seine Eltern hatten zwei Tage vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise 1929 geheiratet und Ron sowie seine vier Brüder mussten früh im Milchladen der Familie mitarbeiten. Ehefrau Carol, die er vor 55 Jahren heiratete, ist das einzige Mädchen, mit dem Ron Paul je ausgegangen ist, und das Medizinstudium finanzierte er sich als Tellerwäscher.

Seine Kommilitonen erinnern sich an zwei Dinge: Paul bestellte stets Cola, wenn sie Bier tranken - und er warnte schon damals vor zu viel Einfluss des Staates. Sheldon Weinstein, der mit Paul in einem Krankenhaus in Detroit arbeitete, berichtet ähnliches: "Er redete immerzu davon, dass die Amerikaner in Vietnam nichts zu suchen hätten und dass Gold in Fort Knox gelagert sei." 1968 eröffnete Paul, der Abtreibungen strikt ablehnt, eine Arztpraxis in Texas, wo sich bald die Wirtschaftsbücher stapelten. Bereits an der Universität hatte er die Werke der österreichischen Ökonomen Friedrich Hayek und Ludwig von Mises ebenso verschlungen wie die politphilosophischen Romane von Ayn Rand.

Die Entscheidung von Präsident Richard Nixon, 1971 die Bindung des Dollars an das Edelmetall aufzugeben, ist in Pauls Augen die Ursünde - und motivierte ihn, in die Politik einzusteigen. 1976 wurde er im zweiten Versuch ins Repräsentantenhaus gewählt, wo er sechs Jahre als Abgeordneter tätig war. Lange Zeit gelang es Paul nicht, Mitstreiter für seine Agenda zu finden und als er 1988 für die Libertäre Partei bei den Präsidentschaftswahlen antrat, erhielt er 0,47 Prozent der Stimmen. Seit 1997 sitzt er erneut im Kongress und gilt mit seinen ständigen Forderungen nach Ausgabenkürzungen als "Pate der Tea Party".

Als Paul 2007 seine Kandidatur für die Republikaner ankündigte, habe ihn das zunächst nicht interessiert, erinnert sich Joe Bozzi. Wochen später habe er nach einer Internet-Recherche festgestellt, dass sich in ganz Amerika Unterstützergruppen gebildet hatten, und so wurde der IT-Spezialist aktiv. "Die Medien haben uns völlig ignoriert, doch damals haben wir die Grundlage für die heutige Arbeit gelegt", meint Bozzi, der das Büro und die Materalien mit den anderen Aktivisten aus eigener Tasche finanziert. Auch wenn der Milliardär Peter Thiel 2,6 Millionen Dollar für das Super-Pac "Endorse Liberty" gespendet hat, bekommt Paul, der auf eine breite Unterstützerbasis zählen kann, vor allem Kleinspenden.

Gegen Kriege, für Legalisierung von Marihuana

Chris Kramer kommt mindestens ein Mal pro Woche in die provisorische Wahlkampfzentrale. "Mir war irgendwann klar, dass es nicht ausreicht, auf Facebook Videos zu posten. Ich musste rausgehen, Flyer verteilen und Plakate aufhängen, damit hoffentlich mehr Leute auf Ron Paul aufmerksam werden", sagte der 33-Jährige, der Jeans und ein Karohemd trägt. Auch ihm gefällt, wie konsistent der 76-Jährige ist: "Wenn man sich eine Rede von ihm aus den achtziger Jahren anhört, hat er sich kaum verändert." Zudem mag er Ron Pauls Humor und dessen professionelle Werbespots (zum Beispiel "The One you can trust").

Am wichtigsten ist Chris jedoch ein andere Forderung aus Pauls Wahlprogramm: Dieser möchte alle US-Stützpunkte im Ausland schließen und das Militär nur zur Verteidigung einsetzen. Chris war vier Jahre bei der Navy und weiß, welch hohen Preis Amerika für seine Kriegseinsätze zahlt: "Ich habe viele Freunde, die beim Militär waren, und die sich in den letzten Jahren umgebracht haben. Seit drei Jahren sterben in der Armee mehr Leute wegen Selbstmord als durch die Folgen der Kampfeinsätze." Er verstehe nicht, weshalb Amerika "all diese teuren Kriege führen" solle, nur um "Öl und Rohstoffe zu kontrollieren" und noch mehr Schulden anzuhäufen.

Im Gegensatz zu Romney, Santorum und Gingrich warnt Paul eindringlich vor einem Angriff auf Iran und hält seinen Konkurrenten vor, die Gefahr durch das Teheraner Atomprogramm zu übertreiben. Wie in vielen Fällen erinnert er an die US-Verfassung, die ihm heilig ist: "Wenn ihr unbedingt kämpfen wollt, dann bittet die Kongressabgeordneten, Iran den Krieg zu erklären."

Diese Position beeindruckt auch den 24-jährigen Mark Green, der an der Ohio State University die Gruppe "Youth for Ron Paul" aufgebaut hat. Mark war vier Jahre bei den Marines und die Zerstörungen, die er während seines Einsatzes im Irak gesehen hat, haben ihn zum Kriegsgegner gemacht. Aus seinen Gesprächen mit Studenten weiß er, dass sich viele Sorgen um ihre Bürgerrechte machen. Der Staat sammele viel zu viele Daten über seine Bürger und versage etwa im "Krieg gegen Drogen" völlig. "Ich glaube, jeder Student weiß, dass Ron Paul den Konsum von Marihuana legaliseren will", meint Mark grinsend: "und natürlich finden dies fast alle gut."

Die Vorwürfe mehrerer Medien, Ron Paul habe in den achtziger Jahren in seinem Newsletter rassistische und schwulenfeindliche Parolen verbreitet, kennt Mark Green natürlich (die Debatte wurde im Dezember im New Republic aufgegriffen). Er glaube dem 76-Jährigen, der argumentiert, die Texte nicht selbst geschrieben zu haben. Mark ist überzeugt, dass Paul alle Menschen als gleich ansehe: "Seine Taten sprechen mehr als tausend Worte."

Natürlich rechnen Payton, Chris Kramer, Mark Green und Joe Bozzi nicht damit, dass ihr Favorit im Herbst als Kandidat der Republikaner gegen Barack Obama antreten wird. Doch alle sind sich sicher, dass Paul bis zum Nominierungsparteitag der Republikaner Ende August im Rennen bleiben wird, um für seine libertären Ideen zu werben. Seine Anhänger in Ohio spornt es an, dass sich weltweit Unterstützergruppen gebildet haben und dass Pauls Sohn Rand weiter für die freiheitliche Agenda eintreten wird. "Dass Rand Paul 2010 in den Senat gewählt wurde, liegt an der guten Kampagne, die wir zwei Jahre vorher gemacht haben", argumentiert Joe Bozzi.

Er kann sich nicht vorstellen, im November für Obama oder einen der drei anderen Kandidaten zu stimmen. "Alle stehen für den Status Quo, und davon haben wir genug. Es wurde lang genug geredet, nun ist es an der Zeit, etwas zu ändern." Er ist überzeugt: "All die Freiwilligen, die sich hier in Columbus und im ganzen Land engagieren, werden nach der Wahl nicht ruhig bleiben, sondern weiter dafür kämpfen, dass sich der Staat so wenig wie möglich einmischt."

Linktipp: Begeisterte Ron-Paul-Anhänger haben den Ausschnitt aus der CNN-Debatte über den "falschen" Rick Santorum ins Internet gestellt. Die Debatte um die rassistischen Zeilen in Pauls Newslettern wird gut im Porträt von Kelefa Sanneh beschrieben, das im New Yorker erschienen ist.

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