S peaker of the House im US-Kongress ist kein Job für politische Sanftstreichler. Der Sprecher des Repräsentantenhauses ist die Symbolfigur der parlamentarischen Mehrheit, er steht in der Nachfolgeregelung für den Präsidenten an zweiter Stelle, gleich hinter dem Vizepräsidenten. Und vor allem ist er Stimme und Arm der ideologischen Mehrheit des Landes, eine mächtige Figur, die über Haushalt, Defizit, Gesundheitsreform, Sozialpolitik maßgeblich mitentscheidet.
So ein Sprecher tritt nicht einfach ab, weil er mehr Zeit mit seinen pubertierenden Kindern verbringen will, die sowieso keine Zeit für ihre Eltern haben wollen. Wenn er abtritt, dann ist das Symptom einer tektonischen Verschiebung der politischen Verhältnisse in den USA.
Ohne Paul kein Donald
Paul Ryan ist nicht nur Speaker (noch bis November), er war Kandidat für die Vizepräsidentschaft hinter Mitt Romney 2012 und vor allem über Jahre hinweg die politische Hoffnung der konservativen Republikaner. Ryan ist ein doppelgesichtiger Politiker, weil er zwar irgendwie die gute alte Republikaner-Linie mit einem schlanken, sparsamen Staat, der sozialen und ökonomischen Eigenverantwortung der Bürger und der liberalen Weltgewandtheit der USA verkörpert.
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Andererseits aber ist er der Politiker, der im Sog der Tea Party und aller möglichen evangelikalen Umtriebe am rechten Rand die Partei radikalisiert und trumpfähig gemacht hat. Ohne Paul kein Donald, ohne den Speaker keine Neuverschuldung in Höhe von 1,8 Billionen Dollar, getarnt als Steuergeschenk.
Ryan verkörpert die Maßlosigkeit und Kompromissunfähigkeit der amerikanischen Rechten. Wenn er nun mit 48 Jahren und unter Verweis auf die Bedürfnisse der Familie zurücktritt, dann klingt das zwar honorig, ist aber vor allem heuchlerisch. Entweder Ryan zieht sich zurück, um zu einem günstigeren Zeitpunkt den Griff nach der Präsidentschaft zu wagen. Oder er zieht sich zurück, weil seine Zeit insgesamt abgelaufen ist.
Wie auch immer, es gibt momentan nur einen Grund für die Entscheidung: Die Republikanische Partei ist durchfressen von einer ätzenden Substanz, sie steht kurz vor einer Mutation, sie ist nicht mehr die politische Plattform, auf der selbst Leute wie Ryan ihren Erfolg bauen können.
Die US-Konservativen zerlegen sich
Donald Trumps Ideologie-Jedi Stephen Bannon hat im vergangenen Sommer die Spaltung der Republikaner prophezeit. Er hatte Unrecht. Die Partei spaltet sich nicht, sie zerfällt. Der trumpistische Teil weist momentan am meisten Stabilität auf. Die altideologische Tea Party und der religiös-konservative Teil schwächeln. Und die klassischen Ostküsten-Republikaner aus der Ära des alten George Bush hauchen im Senat ihren letzten Atem aus.
Amerika steht vor einer Neuformierung seiner Parteienlandschaft. Die Bewegungen, allen voran die Trumpisten, streifen den Parteimantel ab oder schneidern ihn neu. Für die Demokraten ist das keine schlechte Nachricht, im Gegenteil. Ihre blaue Welle wächst, die Chancen auf eine Machtübernahme in beiden Häusern des Kongresses bei den Zwischenwahlen im November steigen. Dann lassen sich Donald Trump neue parlamentarische Fesseln anlegen, bis hin zu einem Impeachment-Verfahren.
Paul Ryan hat erkannt, dass er in dieser Phase keine Chance mehr hat. Sein Rückzug ist ein Schocksignal für die Partei. Die Revolution frisst ihre Erfinder.