Das Land will unbedingt nach Europa, aber Lenin hat noch immer seinen festen Platz. Die Republik Moldau ist seit dem vergangenen Jahr offiziell Beitrittskandidat der Europäischen Union, doch im Süden der Republik liegt das autonome Gebiet Gagausien, das nicht recht mitziehen will und lieber beste Beziehungen zu Russland pflegt. In der Gebietshauptstadt Comrat steht eine große Statue des sowjetischen Staatsgründers, es gibt eine Lenin-Straße, die Straße des Sieges, die Straße der Panzerfahrer, die Komsomol-Straße. Brüssel wirkt in Gagausien wie ein ferner Kosmos.
Am Sonntag hat die Bevölkerung von Gagausien einen neuen Regierungschef gewählt, weil Irina Vlah, die bisherige Gouverneurin, nach acht Jahren aufhört. In Gagausien heißt dieser Posten Başkan. Da keiner der acht Angetretenen (eine Kandidatin, sieben Kandidaten) die absolute Mehrheit erhielt, fällt am 14. Mai die Entscheidung in einer Stichwahl zwischen Jewgenija Guzul und Grigorij Usun. Der Kurs Gagausiens wird davon allerdings nicht abhängen: Beide gelten als prorussisch.
Die engen Bande mit Moskau haben in Gagausien Tradition, doch die Zeiten haben sich nun mal geändert mit Russlands brutalem Feldzug gegen die Ukraine. Die Republik Moldau grenzt an die Ukraine und fühlt sich spätestens seit Kriegsbeginn besonders verletzlich. Ein paar Mal landeten Raketentrümmer in dem Land. Die Regierung Moldaus hat den Westen deshalb um Hilfe bei der Verteidigung und bei der Luftraumüberwachung gebeten. Ein Gebiet im eigenen Land, das sich in dieser brisanten Lage maximal querstellt, ist für die moldauische Regierung jetzt ein besonderer Grund, wachsam zu sein.
Der EU-Kurs Moldaus soll nicht gefährdet werden
Moldaus Präsidentin Maia Sandu will vermeiden, dass das Gebiet Gagausien zu einer Unruhequelle wird und mit russischer Hilfe das gesamte Land destabilisieren könnte. Und am Ende den EU-Kurs gefährdet. Wenige Tage vor der Abstimmung in Gagausien warf Sandu Russland vor, sich in die inneren Angelegenheiten der Republik Moldau einzumischen. Mehrere der gagausischen Kandidaten seien Agenten Moskaus und keineswegs Politiker, die zum Wohle Gagausiens handelten, sagte sie. Russland wolle "Chaos stiften und unseren europäischen Weg verhindern".
Moldau verweigerte kurz vor der Wahl am Sonntag einer russischen Delegation die Einreise und damit einen geplanten Besuch in Gagausien. Leiter der Delegation sollte der Gouverneur der russischen Republik Tatarstan sein, die wie Gagausien zu den Turkvölkern gehört.
Auffällig war, dass Russland schon vor Jahren auf den EU-Kurs der Republik Moldau mit einem Einfuhrboykott moldauischer Lebensmittel und moldauischen Weins reagierte, den Import aus Gagausien allerdings weiterhin erlaubte. Auch die nun scheidende Gouverneurin Irina Vlah sagte anfangs, sie stehe fest an Russlands Seite, war dann aber offensichtlich schockiert über Russlands Angriffskrieg gegen den ukrainischen Nachbarn. Auf ihrem Twitteraccount postete sie zuletzt viele europäische Projekte, vom Westen gebaute Kindergärten und neu geschaffene Arbeitsplätze.
Aber nun? Einen pro-europäischen Kandidaten hat es in Gagausien erst gar nicht gegeben. Jewgenija Guzul und auch Grigorij Usun, die es am Sonntag in die Stichwahl für Mitte Mai geschafft haben, machen keinen Hehl daraus, dass sie engere Beziehungen zu Russland anstreben. Die klare Integration mit der EU lehnen sie ab. Geradezu "absurd" sei es, sagte Guzul, dass die moldauische Regierung stolz betont habe, der Export nach Russland sei um 30 Prozent gesunken.
Usun wird von der Sozialistischen Partei unterstützt, Jewgenija Guzul wiederum ist die Kandidatin der Șor-Partei, die in Moldau verdächtigt wird, mit Hilfe Russlands Massenproteste gegen Präsidentin Maia Sandu organisiert zu haben. Sollte Jewgenija Guzul gewinnen, so versprach die Șor-Partei, werde sie eine halbe Milliarde Euro in Gagausien investieren und Tausende Arbeitsplätze schaffen. Der Unternehmer Ilan Shor selber wurde vor drei Wochen von einem moldauischen Berufungsgericht wegen Geldwäsche und Betrugs zu 15 Jahren Haft verurteilt. In Abwesenheit, denn er lebt in Israel. Die Wählerinnen und Wähler in Gagausien hat all das offenbar nicht gestört.