Süddeutsche Zeitung

Porträtserie "Sie sind das Volk":Eine Frage der Haltung - was es heißt, Soldat zu sein

Rechtsextreme Offiziere, sadistische Ausbildung: Um die Bundeswehr gibt es oft heftige Debatten. Gleichzeitig will sie ein normaler Arbeitgeber sein. Von diesem Spannungsverhältnis erzählt Hauptfeldwebel Sebastian Hanisch in unserer Serie "Sie sind das Volk".

Von Hannah Beitzer, Osterholz-Scharmbeck

Sebastian Hanisch kurvt mit seinem Auto durch die Kaserne, vorbei am Hindernis-Parcours, an Turnhallen, Backstein-Gebäuden und Lagern voller defekter Fahrzeuge. "Bewegen Sie mal einen ausgebrannten Panzer, das ist nicht leicht", sagt er. Hanisch, 36 Jahre, Hauptfeldwebel der Bundeswehr, weiß, wie man Dinge effizient von einem Ort zum anderen bewegt. Er ist Logistiker. Doch hin und wieder muss er auch Experte für Extremismus sein: Was ist denn bei Euch los?, fragen Leute ihn, wenn zum Beispiel ein rechtsextremer Offizier in der Truppe aufgeflogen ist. "Es arbeiten fast 180 000 Soldaten bei der Bundeswehr. Aber in der Öffentlichkeit wird jeder einzelne von ihnen als Vertreter der ganzen Truppe wahrgenommen."

Die allermeisten Deutschen haben nur eine grobe Ahnung, was ihre Armee eigentlich macht. Klar, jeder weiß, dass ein Teil der Soldaten in Kampfeinsätze im Ausland geht. Doch das sind zurzeit nur etwa 3600. Was ist mit dem Rest, wie ticken die? Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen möchte die Bundeswehr gerne als familienfreundlichen, modernen Arbeitgeber präsentieren, möglichst ohne viel Krieg und Gewalt. Anfang des Jahres gab es eine recht erfolgreiche Youtube-Serie über die Grundausbildung der Soldaten. In "Die Rekruten" kommt die Bundeswehr rüber wie ein zackiges Abenteuer-Ferienlager.

Es gab aber auch Skandale, die ein ganz anderes Licht auf die Truppe warfen. Zum Beispiel den Fall des rechtsextremen Offiziers Franco A., der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und ein Attentat geplant haben soll. Oder um Wehrmachtsdevotionalien und sadistische Praktiken in der Ausbildung. Mitte des Jahres prüfte der Militärische Abschirmdienst etwa 280 Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus. Ein "Haltungsproblem" bescheinigte sogar die Verteidigungsministerin der Bundeswehr. Für sie, die mit weitreichenden Reformplänen ins Amt gekommen ist, fällt die Bilanz kurz vor der Bundestagswahl durchwachsen aus. Das Verhältnis zwischen von der Leyen und der Truppe gilt als zerrüttet. Die Ministerin, die manche schon als Nachfolgerin Angela Merkels sahen, muss sich im Wahljahr viel Kritik gefallen lassen.

Am Anfang war die Wehrpflicht

Und mittendrin sind Leute wie Sebastian Hanisch, die in erster Linie ihren Job machen wollen - und trotzdem nie ganz unberührt sind von der Politik. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet er als Hörsaal-Feldwebel in der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Er ist außerdem Landesgruppenvorsitzender des Verbands der Soldaten der Bundeswehr, der in etwa die Funktion einer Gewerkschaft hat. Tagsüber ist er mit jungen Offizieren am Schießstand, erst abends hat er Zeit für ein Treffen in der Kaserne. Auf den verschlungenen Wegen joggen Männer und Frauen durch den Nieselregen, die Kaserne wirkt fast wie ein kleines Dorf.

Hanisch kam vor fast 18 Jahren als Wehrdienstleistender zur Bundeswehr. Er stammt aus dem Erzgebirge, niemand in der Familie hatte mit dem Militär zu tun. Sein Vater war in der DDR sogar einer der wenigen Wehrdienstverweigerer. Hanisch hat als junger Mann in München eine Ausbildung zum Koch gemacht. "Eines Tages war ein Brief im Briefkasten: Melden Sie sich bitte hier und da. Als ich einrücken musste, stand ich völlig arglos mit meinem Koffer vor der Kaserne."

Im Fall von Hanisch lässt sich also sagen: Sein Beruf war zu Beginn keine Berufung für ihn. Weder war er ein heldenhafter Patriot, der die Werte des Grundgesetzes im Ausland verteidigen wollte. Noch ein rechter Waffennarr mit Militärtick. Er war einfach nur ein junger Mann, der noch nicht genau wusste, was aus ihm werden soll. Der bei der Bundeswehr sein Talent für Organisation ebenso entdeckte wie eine gewisse Belastbarkeit seines Körpers. Und hier eine Möglichkeit sah, beruflich voran zu kommen, in einer Struktur, die ihm zusagte.

Ausscheiderpartys? Heute undenkbar

"Das Hierarchische kannte ich schon aus meinem Job als Koch. Da hat auch immer einer ganz klar das Sagen." Andere Sachen leuchteten ihm nicht sofort ein. "Warum muss ich hundertmal ein Gewehr auseinanderbauen, wenn ich die Handgriffe doch schon nach fünfmal kenne?" Heute erklärt er selbst jungen Soldaten den Grund: "Im Ernstfall hat man nicht die entscheidende Sekunde, nachzudenken." Man müsse funktionieren wie ein Roboter. Was er erzählt, liegt quer zum individualistischen Zeitgeist, der verlangt: Wer etwas werden will, muss sich von der Masse abheben, neue Wege gehen. "Bei der Bundeswehr muss man eine Entscheidung auch mal hinnehmen", sagt Hanisch.

Ob einer wie Hanisch heute wohl noch den Weg in die Bundeswehr finden würde? Die Wehrpflicht, über die er zur Bundeswehr kam, wurde 2011 abgeschafft. Befürworter einer Wehrpflicht befürchten, dass die Bundeswehr sich durch die Abschaffung Stück für Stück von der Gesellschaft entfernt.

Ein bisschen stimmt das, findet Hanisch. Früher, so erzählt er es, gab es in München, wo er eine Zeit lang wohnte, auf dem Marienplatz riesige Ausscheider-Partys ehemaliger Soldaten. "Jeder wusste, was es damit auf sich hat: Ach die Buben, die feiern wieder!" Ältere Männer hätten die jüngeren gefragt: Wo warst Du stationiert? Da war ich auch! So eine Party, glaubt Hanisch, wäre heute nicht mehr möglich. "Da würde darüber berichtet: Jetzt randalieren die Soldaten auch noch in der Innenstadt!"

Er merkt auch häufig, dass Leute gar nicht mehr wissen, was die Bundeswehr macht und warum. "Sie fragen zum Beispiel: Warum müsst Ihr so oft auf den Truppenübungsplatz? Das kostet doch Steuergelder!" Er findet solche Fragen aber nicht schlimm. Der Soldat sei inzwischen eben ein Beruf für Spezialisten, wie die meisten anderen auch. "Die Gesellschaft weiß ja auch nicht, warum ein KFZ-Mechatroniker dreimal prüft, ob auf einer Leitung Strom ist."

Warum er nach dem Grundwehrdienst weiter machte, erklärt er heute so: "Wenn ich als Koch jemandem ein leckeres Essen koche, dann stelle ich es hin, er isst es und ...", er führt die Hand zum Mund und schnipst mit den Fingern, "es ist weg". Die Bundeswehr hingegen hat das Langfristige im Blick: "Es ist wichtig, was sie macht. Es ist nachhaltig. Und ich bin ein Teil davon."´

Für Hanischs Verhältnisse ist das viel Pathos. Eigentlich meidet er Überhöhungen seines Berufs. Er ist keiner, der sich über den Job definiert. "Wenn ich meine Uniform ausziehe, dann bin ich auch kein Hauptfeldwebel mehr", sagt er. "Aber wenn ich sie anhabe, bin ich immer noch Sebastian Hanisch." Und so spiegelt sich in ihm ein Spannungsverhältnis, das die Bundeswehr bis in die höchsten Führungsebenen beschäftigt: Denn einerseits will sie ja ein ganz normaler, moderner Arbeitgeber sein, andererseits steckt in ihr so viel Politik, dass sie immer mehr sein wird als ein Unternehmen.

"Haltungsproblem" oder "Querschnitt der Gesellschaft"

Wäre die Bundeswehr ein normales Unternehmen, dann müsste man wohl auch die nächste Sache nicht erwähnen: "Wenn Sie die 180 000 Soldaten in der Bundeswehr nach ihrer Motivation fragen, bekommen Sie 180 000 unterschiedliche Antworten", sagt Hanisch. Unter diesen 180 000 sind, das zeigen die Vorfälle der vergangenen Monate, auch welche mit zweifelhaften bis bösen Absichten.

Wie viele das tatsächlich sind, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Und auch darüber, wie viel das große System Bundeswehr dafür kann, wenn einzelne Räder oder ganze Subsysteme nicht funktionieren wie erwünscht. Hanisch glaubt nicht, dass man von den aufgedeckten Fällen gleich auf ein grundsätzliches "Haltungsproblem" schließen kann. "Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft", sagt er, "nur ganz selten begegnen einem Leute, die sich an den Rändern bewegen."

Die Art, wie die Debatte läuft, findet Hanisch ungerecht. "Wenn - Gott bewahre! - ein LKW-Fahrer irgendwo einen Hitlergruß zeigt, dann wird er verhaftet und verurteilt. Aber niemand würde auf den Gedanken kommen zu sagen: Die Spedition X hat ein Nazi-Problem", sagt Hanisch. Aus einem oder zwei rechten Soldaten hingegen würde schnell "die rechte Bundeswehr".

Der Vergleich zu einer Spedition ist allerdings schief, das gibt er zu. Allein, weil ein radikaler Soldat schneller gefährlich werden kann als ein radikaler LKW-Fahrer: "Immerhin haben wir Zugang zu Waffen." Und ja, Soldaten seien Staatsbedienstete, so ähnlich wie Lehrer oder andere Beamte. Die Bundeswehr habe deswegen strenge Einstellungskriterien: "Rechte oder andere radikale Ansichten haben bei uns keinen Platz." Im Fall von Franco A. hat das System offenbar versagt. Und das, obwohl er seine rechtsradikale Einstellung nicht einmal versteckt hat. Seine Vorgesetzten und Kameraden duldeten seine Ansichten. Mindestens.

Wann füge ich mich in die Struktur?

"Wenn ich merke, dass jemand komische Musik hört, radikale Ansichten vertritt, dann muss ich das melden", sagt dazu Sebastian Hanisch. Nun schildern im Zuge der Diskussion aber einige, die die Bundeswehr von innen kennen, Strukturen und Gruppendynamiken, die genau das verhindern. Falsch verstandene Kameradschaft, Angst vor dem Vorgesetzten oder einfach das Gefühl: Da bin ich nicht zuständig, da halte ich mich lieber raus.

"Wir müssen schon in der Ausbildung den jungen Männern und Frauen vermitteln: Wenn du so etwas meldest, dann bist du nicht die Petze. Im Gegenteil, du wirst belohnt. Aber eben auch: Wenn du es nicht meldest, bist du mitschuldig und wirst bestraft", sagt Hanisch. Wann füge ich mich in die Struktur, wann widerspreche ich? Das beurteilen zu können, gehört für ihn zu den Eigenschaften eines guten Soldaten, der in Deutschland schließlich ein verantwortungsvoller "Staatsbürger in Uniform" sein soll. Nicht alle erfüllen diese Anforderung.

Hanisch gefällt auch nicht alles, was in der Bundeswehr passiert und das sagt er auch. Er nennt es zum Beispiel "unbegreiflich", dass Materialien und Ausrüstung oft veraltet sind, es ewig dauert, bis neue Stiefel oder neue Gewehre bewilligt und dann auch noch geliefert werden. Als Quasi-Gewerkschaftler findet er es auch schlecht, dass viele Soldaten nur Zeitverträge haben, teilweise nach 25 Jahren bei der Bundeswehr noch einmal von vorne anfangen müssen.

Er selbst wurde erst 2012 vom Zeit- zum Berufssoldat, erhielt also - wenn man so will - einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Viel Verantwortung hatte er schon vorher. 2008 war er für die Bundeswehr im Auslandseinsatz, im Kosovo. Er war zuständig für die schweren Kräne. Seine Truppe, etwa 30 Männer und Frauen, musste Container bewegen, kaputte Fahrzeuge, einmal einen entgleisten Güterzug.

Der Kosovo-Krieg war zwar damals schon vorbei, ungefährlich war es trotzdem nicht. Manchmal wurden Soldaten im Einsatz entführt. Deshalb haben Hanisch und die anderen vorher geübt, wie es ist, entführt zu werden. "Da wurden wir richtig ins kalte Wasser geworfen", sagt er. Nach einigen Tagen, so schildert es Hanisch, hatte er vergessen, dass das alles nur eine Übung ist. "Man lebt dann in der Situation. Das war schon ziemlich heftig."

Der Beruf belastet die Familien

Hanisch hatte aber Glück, sein Einsatz im Kosovo verlief ohne schlimme Zwischenfälle. Der wirkliche Einschnitt kam nach seiner Rückkehr. "Meine damalige Freundin hat mich noch vom Flughafen abgeholt. Und mir dann eröffnet, dass sie einen neuen Freund hat." Das passiere Soldaten häufig, sagt er. "Ich kenne nicht die offizielle Scheidungsrate, aber es gibt sehr viele Trennungen." Inzwischen ist Hanisch verheiratet, seine Frau wohnt mit den zwei Kindern in ihrem Heimatdorf. Er fährt jeden Tag insgesamt 200 Kilometer zur Kaserne und zurück, um bei ihnen sein zu können. "Ich wollte meine Frau nicht entwurzeln", sagt er.

Das ist eine Möglichkeit, damit klarzukommen, dass Soldaten sich ihren Arbeitsort häufig nicht aussuchen können. Manche Soldaten nehmen ihre Familien auch mit, von Station zu Station. Einfach ist beides nicht. Familienfreundlichkeit ist eines der großen Ziele der Verteidigungsministerin. Im Alltag bleibt es oft schwierig.

Will Hanisch nochmal ins Ausland? "Nein", sagt er ohne zu zögern. Es gibt aber Soldaten, die ganz anders drauf sind. "Wir nennen sie die Einsatzjunkies." Einigen machen die Auslandseinsätze Spaß. Andere freuen sie sich über das zusätzliche Geld, das sie bringen. Für jeden Tag in Afghanistan sind das bis zu 110 Euro zusätzlich, steuerfrei. "Wenn man nach vier Monaten zurück kommt, ist ein nettes Auto drin", sagt Hanisch. Und wieder andere übten Tätigkeiten aus, die oft gebraucht würden und seien deswegen häufig weg. Dazu gehören zum Beispiel Sanitäter.

"Eigentlich habe ich keine Erwartungen an die Gesellschaft"

Diese Belastungen sind ein weiterer Grund dafür, warum viele Soldaten die Diskussion um die Bundeswehr als ungerecht empfinden. Ihnen fehlt die Anerkennung für das, was sie tun, wenn immer nur über das gesprochen wird, was nicht klappt.

Wünscht er sich also auch mehr Anerkennung? Sebastian Hanisch überlegt lange und sagt schließlich: "Eigentlich habe ich keine Erwartungen an die Gesellschaft. Ein Handwerker will ja auch nicht ständig Anerkennung für seinen Beruf." Wer will, dass der eigene Job als ganz normaler Beruf wahrgenommen wird, der darf eben auch nicht permanente Huldigung erwarten. Da ist er konsequent.

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