Süddeutsche Zeitung

Evangelischer Kirchentag in Berlin:Die Kanzlerin und ihr Weichzeichner Obama

  • Höhepunkt des 36. Kirchentages ist eine Diskussionsrunde mit Bundeskanzlerin Merkel und Barack Obama.
  • Es geht vor allem um die Flüchtlingspolitik.
  • Im Vorfeld der Veranstaltung gab es Kritik, da Merkel im Wahlkampf von dem gemeinsamen Auftritt profitieren dürfte.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Hach, wie schön wäre es, wenn Barack Obama immer noch US-Präsident wäre. Dieser Gedanke beseelte an diesem Nachmittag Zehntausende Menschen, die zum Brandenburger Tor gekommen waren, um Obama zu sehen - und ein bisschen Angela Merkel. Aber vor allem Obama. Er brauchte nur auf Deutsch "Guten Tag" zu sagen und es brach begeisterter Jubel los. Der Chef der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, sprach ihn während der Veranstaltung auch immer wieder mit "Herr Präsident" an. Die Illusion war perfekt: US-Wahl? War da was?

Die Politik ist beim 36. Evangelischen Kirchentag allgegenwärtig. Auf den Podien finden sich Vertreter mehrerer Parteien, darunter auch Innenminister Thomas de Maizière oder Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Anders als beim Katholischen Kirchentag im vergangenen Jahr wurde die Alternative für Deutschland (AfD) nicht ausgeladen, sondern die Vorsitzende der Gruppe "Christen in der AfD" zur Diskussion gebeten. Die Diskussionsrunde mit Obama und der Bundeskanzlerin unter dem Motto "Engagiert Demokratie gestalten - Zuhause und in der Welt Verantwortung übernehmen" schien dann doch einigen Protestanten zu viel. Sie sorgten sich, dass der frühere US-Präsident nicht nur den Kirchentag schmücken, sondern auch kräftig Wahlkampfhilfe für die Bundeskanzlerin leisten könnte. Jeder weiß, dass sich die beiden wunderbar verstehen.

Und tatsächlich könnte es an diesem Donnerstag nicht besser für Merkel laufen. Da sitzt ein tiefenentspannter, aber auch sehr nachdenklicher Obama im schwarzen Sessel. Er schaut zurück auf die Höhen und Tiefen seiner Amtszeit - ohne dabei das Engagement Merkels auszulassen. Er und die Bundeskanzlerin hätten sich stets für eine friedliche Lösung im Syrien-Konflikt bemüht. "Aber, und das wird Ihnen Kanzlerin Merkel bestätigen: Du kannst nie 100 Prozent von dem erreichen, was du erreichen willst. Was wir tun, ist nicht immer perfekt", sagt Obama.

Kleines Pfeifkonzert für Merkel

Damit gibt der frühere US-Präsident das Thema für die nächsten anderthalb Stunden vor: Den Zwiespalt zwischen eigener moralischer Verantwortung als Gläubiger und die Grenzen der Realpolitik. Merkel und Obama kommen immer wieder darauf zurück. Ihnen hilft die sehr wohlwollende Moderation von Heinrich Bedford-Strohm und Christina aus der Au, Präsidentin des Kirchentages.

In einem der kritischeren Momente der Diskussion konfrontiert Bedford-Strohm Merkel mit der Abschiebung afghanischer Flüchtlinge. Er bekomme viele Briefe von ehrenamtlichen Helfern, sagt der Ratsvorsitzende. Sie könnten nicht verstehen, warum Menschen abgeschoben würden, um die sie sich so bemüht hätten, Menschen, die einen Job hätten. Merkel antwortet, dass 2015 auch Fehler gemacht worden seien. Menschen, die keine Chance auf Asyl hatten, seien in die Gemeinden gekommen, wo man sich um sie kümmerte. Dieses Dilemma müsse man ausschalten. Nicht bleibeberechtige Personen sollten künftig gar nicht erst auf die Gemeinden aufgeteilt, sondern gleich wieder abgeschoben werden.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte die Bundeskanzlerin das Engagement der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer gelobt, bekam dafür Applaus. Jetzt setzt ein kurzes Pfeifkonzert ein. "Ich weiß, dass ich mich damit unbeliebt mache", sagt Merkel. Sie wirkt hart. Zum Glück ist Barack Obama an ihrer Seite, als Weichzeichner. Natürlich, in den Augen Gottes sei kein Mensch weniger Wert, sagt er. Aber: "Wir sind Staatschefs. Wir haben begrenzte Ressourcen."

Obama rechtfertigt Drohnenkrieg

Merkel hakt bei dem Gedanken noch mal ein: Aus ihrem Glauben ergebe sich die Verantwortung, aktiv zu werden. Gleichzeitig seien ihre Fähigkeiten, ihre Freiheiten aber auch endlich. "Ich kann Fehler machen. Ich bin dann nicht vernichtet, sondern aufgehoben. Das gibt mir eine gewisse Demut an die Dinge heranzugehen."

Merkel mag Momente der Demut haben. Unter den Scheffel lässt sie sich nicht gerne stellen. Bedford-Stroh unterläuft ein kleiner Patzer. Als er davon spricht, dass neben ihm der mächtigste Mann der Welt sitze, schaut Merkel irritiert. Und auch Obama kneift die Augen zusammen. Der EKD-Chef glaubt, es hänge mit der Übersetzung zusammen. "Das dauert manchmal", sagt er. "Nö, ich war nur irritiert. Neben Ihnen sitze ja erst mal ich", sagt Merkel.

Nach der ersten Stunde Diskussion kommen vier Jugendliche auf die Bühne, die ihre Fragen stellen dürfen. Zum ersten Mal scheint Barack Obama in ein Dilemma zu geraten. Einer der Fragenden äußert seine Sorge über die vielen Zivilisten, die in der Vergangenheit durch den Einsatz von amerikanischen Drohnen getötet wurden. Obama windet sich mit der Argumentation heraus, dass nicht immer alles perfekt laufen könne. Die Systeme seien in der Vergangenheit fehlerhaft gewesen, doch mittlerweile sei die Zahl toter Zivilisten gesunken. Dank der verbesserten Technik.

Merkel springt ihm zur Seite: "Wir haben es mit Gegnern zu tun, die unsere ganze Art zu leben, auslöschen wollen." Obama sagt: "Das sind Gruppen, die bei einer Veranstaltung wie dieser eine Bombe zünden würden." Ein solcher Satz, nur wenige Tage nach dem Anschlag in Manchester - das sitzt. Stille auf dem Platz. "Ich will sie und ihre Schulfreunde schützen", sagt Obama, an den jungen Mann gewandt. "Die Menschen auf der ganzen Welt." Fünftes Gebot: Du sollst nicht töten? War da was?Zehntausende klatschen am Brandenburger Tor in die Hände.

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