Reportage:Verirrt in mehreren Leben

Zwischen heiligem Krieg und Zeugenschutz: Als Aischa folgte sie ihrem Mann in den Dschihad, als Doris Glück schrieb sie darüber, dann kam sie in die Obhut des BKA - und fühlt sich nun getäuscht.

Nicolas Richter

Auf der Suche nach einem Namen, hinter dem sie sich verstecken kann, hat sie Doris Glück gewählt. Das klingt seltsam angesichts ihrer Leidensgeschichte, in der das Glück, wenn überhaupt, immer nur als seltener Gast erschien. Eine Freundin riet ihr zu diesem Tarnnamen, sie sagte: Versuch's doch mal mit Glück. Zur Abwechslung sozusagen.

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Zeugenschutzprogramm des BKA: Sie würde reden, und der Staat würde sie beschützen.

(Foto: Foto: dpa)

Die kleine Frau, die sich jetzt so nennt, ist 49 Jahre alt, aber sie sieht müde aus und wirkt, als sei sie deutlich älter. Sie hat eine Schachtel Marlboro auf den Tisch gelegt und darauf ein Feuerzeug. Zwei Gegenstände, an denen sie sich gelegentlich festhalten kann.

Die Kontrolle über ihr Leben hat sie längst verloren, irgendwann nach dem Herbst 1987, als sie diesen Mann in einem Bonner Café kennen lernte. Er sprach sie an, und es war, als sei sie in einen Zug gestiegen, der immer weiter rast.

Bald heiratete sie diesen Fremden, den sie "mein Ägypter" nannte, und wenig später, in den frühen neunziger Jahre, folgte sie ihm in den Bosnien-Krieg, in den Dschihad, wo er die arabischen Mudschahedin unterstützte, und wo er sie - so hat sie es geschildert - eingesperrt, geschlagen und betrogen haben soll. "Glücklich bin ich", sagt sie, "weil ich nach diesem Leben noch lebe."

Anweisungen per Handy

Als sie diese Beziehung endlich hinter sich hatte, meldete sich das Bundeskriminalamt. Sie sollte aussagen gegen ihn, weil er im Herbst 2002 als Hintermann der Terroranschläge auf Bali mit mehr als 200 Toten verdächtigt wurde. Im Kampf gegen die Al-Qaida-Bewegung kann jemand mit solch ungewöhnlichen Einblicken wie Doris Glück für Ermittler eine äußerst kostbare Helferin sein.

Das BKA nahm sie in ein Zeugenschutzprogramm auf, sie ließ sich auf einen Handel ein: Sie würde reden, und der Staat würde sie beschützen. Bundesweit befanden sich im vergangenen Jahr 339 Zeugen in solchen Programmen, 252 von ihnen sagten zur Organisierten Kriminalität aus, 18 zu Staatsschutzfällen, zu denen auch der Terror gehört.

So geriet Doris Glück in ein neues Abenteuer, und das Leben, das sie sich ohne ihren Ägypter aufgebaut hatte, fiel wieder in sich zusammen. "Diese Ehe", sagt sie heute, "hat nie aufgehört." Sie blickt nach vorn, und sieht keinen Weg. Sie blickt zurück und versucht, jemanden haftbar zu machen für ihr Leben, in dem sie sich verirrt hat.

Von seiner Festnahme in Indonesien erfuhr sie im Auto, da war sie gerade als Außendienstmitarbeiterin unterwegs. Sie war stolz darauf, dass sie bald nach der Trennung wieder ihr eigenes Geld verdiente, doch plötzlich brach der Dschihad wieder in ihren Alltag ein. "Da hatte ich gerade noch ein paar Schokoriegel verkauft, und dann erfuhr ich, dass mein früherer Ehemann in Jakarta wegen der Anschläge verdächtigt wurde."

Das Bundeskriminalamt interessierte sich brennend für ihren Ex-Mann, den Islamisten Reda Seyam, immerhin hatte er ja einen deutschen Pass. Noch am selben Abend, sagt sie, habe sie vom Herd weg ihre Wohnung verlassen, "wo ich gerade noch Sauerkraut gekocht habe für meinen Schatz". Sie hatte sich wieder verliebt, und mit ihrem Freund wollte sie "etwas Verbotenes" tun, das ihr der Islam so lange untersagt hatte: Sauerkraut essen, mit Schweinefleisch.

Verirrt in mehreren Leben

Stattdessen, erinnert sie sich, ließen zwei BKA-Beamte sie zu Hause etwas unterschreiben, sie tat es "im Affekt", wie sie sagt, ohne sich bewusst zu sein, was ihre Entscheidung bedeutete. Die Polizisten sollen behauptet haben, ihr Leben sei in Gefahr, sie solle ihr Haus verlassen. Also fuhr sie los, auf die Autobahn, und folgte den Anweisungen über das Mobiltelefon.

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Als das Fernsehen Bilder der jüngsten Terroranschläge auf Bali zeigten dachte sie: "War mein Ex beteiligt oder nicht?"

(Foto: Foto: dpa)

Die Polizei kümmerte sich - mit ihrem Einverständnis - um alle Formalitäten. "Sie haben meinen Job gekündigt, meine Wohnung, sie haben mein ganzes Leben gekündigt", sagt sie. Eine Zeit lang lebte sie in wechselnden Hotels, schließlich unter einer neuen Adresse in einem anderen Bundesland.

Wenn sie anfangs ihren Freund sehen wollte, arrangierte das BKA die Begegnungen. Wer im Zeugenschutzprogramm landet, in Terrorfällen zumal, der verschwindet aus dem Leben, damit das Leben nicht in Gefahr geraten kann. Selbst Freunde und Familie dürfen nicht erfahren, wo der Zeuge ist.

Die Aufgabe von Frau Glück war es jetzt, Fragen zu beantworten, mehr als ein Jahr lang.

Sie lieferte den Ermittlern eine Fallstudie darüber, wie sich ein weltoffener Araber zum Extremisten im Dienste al-Qaidas wandelt. Seine Hinwendung zum Islam kam schleichend und lange von ihr unbemerkt. Immer mehr Zeit verbrachte er in der Moschee, brachte immer neue, fromme Bekannte nach Hause, und der neue Freundeskreis behagte ihr genug, um selbst den Islam anzunehmen.

Sie nannte sich Aischa.

Irgendwann soll er ihr Bilder aus einem dieser Rekrutierungsfilme für den Heiligen Krieg gezeigt haben, es war ein Video, auf dem Soldaten Schlange standen, um eine offenbar bosnische Muslimin zu vergewaltigen, einer nach dem anderen.

Ihr Mann war sich sicher: Er musste etwas dagegen tun. Bosnien war damals wie Tschetschenien, Afghanistan oder heute der Irak ein zentraler Schauplatz des Dschihad. Er nahm sie mit. Sie hatte nicht die Kraft, allein zu bleiben. "Ich habe ihn abgöttisch geliebt", sagt sie, so langsam und deutlich wie keinen anderen Satz.

Und so saß sie nach eigenen Worten bald in einem Dorf im bosnischen Winter, durfte nur verschleiert vor die Tür, durfte mit niemandem sprechen, während er unterwegs war für eine angeblich humanitäre Organisation, die in Wahrheit für die Gotteskrieger arbeitete. "Ich war immer im Sack", sagt sie. "Ich meine den Schleier", fügt sie hinzu und lacht sarkastisch. So lacht sie oft, wenn ihre Geschichte besonders bitter ist.

Verirrt in mehreren Leben

Die Beamten vom BKA haben sie gefragt: Warum haben sie ihn nicht einfach verlassen? Sie hat im Jahr 2004 ein Buch geschrieben über diese Ehe, es heißt "Mundtot". Sie selbst hat sich darin auch als "hörig" beschrieben. Wenn er wieder der aufmerksame Liebhaber war, der sie in den Arm nahm, dann konnte sie ihm alles verzeihen.

In der internationalen Bewegung für den heiligen Krieg, ob man sie nun al-Qaida nennt oder anders, war Reda Seyam nach ihrer Darstellung einer der Logistiker. Er habe Geld gesammelt und verteilt, Leute von hier nach da gebracht. Doris Glück zufolge hat er Propagandafilme gedreht, wie jenen, der ihn selbst nach Bosnien gezogen hat. Er selbst hat den Kampf in Interviews zur religiösen Pflicht erklärt. "Der Prophet, Friede sei mit ihm, sagte: Wer die Anliegen der Muslime ignoriert, ist kein Muslim."

Für Seyam und die Berichte seiner Ex-Frau interessiert sich auch das Haager Tribunal der Vereinten Nationen, das die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien aufklärt. Sie sagt, sie habe mit ansehen müssen, wie Gotteskrieger in Bosnien Gefangene hinrichteten, einer soll erschossen worden sein, ein anderer geköpft.

Reda Seyam hat, soweit sie es gesehen hat, selbst niemanden getötet. Auch seine Rolle in den Anschlägen von Bali ist, trotz ihrer Aussagen, nicht geklärt worden. Die Bundesanwaltschaft ermittelt noch immer gegen ihn wegen Terrorverdachts, doch für eine Anklage hat es nie gereicht. Heute soll er frei in Berlin leben. Im Islamistenmilieu gibt es viele Figuren wie ihn, die immer überall dabei sind, denen aber nur selten eine Straftat nachzuweisen ist.

Stattdessen kommt nun ein anderer Fall vor Gericht - nämlich Doris Glück gegen das BKA. Das Zweckbündnis hat ein schlechtes Ende genommen. Es geht um Geld und darum, dass sie sich vom Staat um jene kleine Idylle betrogen sieht, die sie aufgebaut hat, nachdem die Ehe durchgestanden war. "Ich will wieder so gestellt werden, wie ich früher war", sagt sie.

Ein Versteckspiel, dass die Existenz gefährdet

Umzug, neue Frisur, kosmetische Eingriffe am Gesicht, damit hat sie sich abgefunden. Doch nun muss sie feststellen, dass das Versteckspiel sie in ihrer Existenz gefährdet: Ihre neue und alte Identität passen nicht mehr zusammen, sie sagt, dass sie deswegen trotz großer Mühe keine Arbeit mehr findet.

Im Zeugenschutzprogramm ließ das BKA ihren Namen ändern. Sie bekam neue Papiere, nach dem Geburtsnamen und dem Ehenamen trug sie nun einen neuen Namen, und außerdem das Pseudonym Glück. Weiß sie überhaupt noch, wer sie ist? Sie hat viele Identitäten, und zumindest anderen ist das schwer zu vermitteln.

Zum Beispiel dem Personalchef, bei dem sie sich um eine neue Stelle bewirbt. Dem nennt sie ihren geänderten Namen, legt aber Schul- und Arbeitszeugnisse vor, die auf frühere Namen lauten, weshalb es sie, wie ihr Anwalt es formuliert hat, "in der Vergangenheit nicht gibt". Das BKA hat die alten Zeugnisse nicht angepasst, ihr aber angeboten, dem jeweiligen Personalchef ihre letzte Namensänderung zu erklären. Aber wer will dann noch eine 49-Jährige einstellen, die irgendwie mit Terror zu tun hatte und die Empfehlungen von Polizeifahndern braucht?

Verirrt in mehreren Leben

Weil sie seit Anfang 2004 kein Geld mehr vom BKA bekommt und auch keine Arbeit gefunden hat, lebt sie jetzt von HartzIV und klagt auf Entschädigung. Die Erwiderung des BKA liest sich sehr kühl, und sie lässt sich so zusammenfassen, dass Frau Glück jetzt eben sehen muss, dass sie alleine zurechtkommt. Dabei erkennt das BKA selbst an, dass auch heute noch "eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann".

Neue Bilder aus Bali

Frau Glück und das Bundeskriminalamt streiten schon lange, und es klingt, wie sie sagt, ziemlich "kleinkariert" - es ging etwa um die Höhe von Telefonrechnungen. Die Behörde wirft ihr vor, sich nie an die Sicherheitsvorschriften gehalten und am Ende jede Zusammenarbeit mit den Beamten abgelehnt zu haben.

Doch im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Frage, ob und wie lange der Staat für seine Zeugen aufkommen muss. Das BKA schreibt in seiner Erwiderung auf ihre Klage, dass es das Gesetz nicht vorsehe, Zeugen "zeitlich unbefristet für alle mittelbaren und unmittelbaren Nachteile" zu entschädigen. Im übrigen habe Frau Glück ja freiwillig mitgemacht und selbst eine Vereinbarung unterschrieben, wonach die finanzielle Unterstützung "auf den notwendigen Zeitraum begrenzt" sei.

Der Streit liegt, wie vieles im Zeugenschutz, in der juristischen Grauzone. Ein Bundesgesetz dazu gibt es erst seit Ende 2001, und auch das bleibt bei vielen Einzelheiten vage, zur längerfristigen Betreuung von Zeugen findet sich darin nichts. "Hier geht es weniger um die Person des Zeugen als vielmehr um den Schutz eines Beweismittels für den Strafprozess", sagt Gerhard Müllenbach, ein langjähriger Kriminalbeamter, der heute für die Opferschutzorganisation Weißer Ring arbeitet.

Doris Glück jedenfalls fühlt sich von allen benutzt und verraten, von ihrem früheren Mann freilich, aber auch vom Staat, dessen Dienerin sie ja ebenfalls gewesen ist, und dem sie es besonders übel nimmt, dass er sie "wie eine heiße Kartoffel fallen ließ". Ihr Anwalt mahnt jetzt vor Gericht dessen "Fürsorgepflicht" an, denn immerhin habe das BKA seine Mandantin "aus ihrem bisherigen normalen Leben herausgerissen".

Normal ist ihr Leben allerdings schon lange nicht mehr, das hat sie Anfang Oktober erst wieder gemerkt, als das Fernsehen Bilder der jüngsten Terroranschläge auf Bali zeigte. Sie dachte: "Was erwartet mich jetzt wieder - war mein Ex beteiligt oder nicht?" Doch zunächst einmal steht der Prozess gegen das BKA an, und wie auch immer der ausgeht, wird sie nun von vorne anfangen müssen, wieder einmal.

An diesem Nachmittag blickt sie irgendwann in einer Gesprächspause aus dem Fenster und murmelt jene Frage, auf die sie schon lange keine Antwort mehr findet: "Lieber Gott im Himmel, wann ist das endlich alles vorbei?"

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