Auf der Suche nach einem Namen, hinter dem sie sich verstecken kann, hat sie Doris Glück gewählt. Das klingt seltsam angesichts ihrer Leidensgeschichte, in der das Glück, wenn überhaupt, immer nur als seltener Gast erschien. Eine Freundin riet ihr zu diesem Tarnnamen, sie sagte: Versuch's doch mal mit Glück. Zur Abwechslung sozusagen.
Zeugenschutzprogramm des BKA: Sie würde reden, und der Staat würde sie beschützen.
(Foto: Foto: dpa)Die kleine Frau, die sich jetzt so nennt, ist 49 Jahre alt, aber sie sieht müde aus und wirkt, als sei sie deutlich älter. Sie hat eine Schachtel Marlboro auf den Tisch gelegt und darauf ein Feuerzeug. Zwei Gegenstände, an denen sie sich gelegentlich festhalten kann.
Die Kontrolle über ihr Leben hat sie längst verloren, irgendwann nach dem Herbst 1987, als sie diesen Mann in einem Bonner Café kennen lernte. Er sprach sie an, und es war, als sei sie in einen Zug gestiegen, der immer weiter rast.
Bald heiratete sie diesen Fremden, den sie "mein Ägypter" nannte, und wenig später, in den frühen neunziger Jahre, folgte sie ihm in den Bosnien-Krieg, in den Dschihad, wo er die arabischen Mudschahedin unterstützte, und wo er sie - so hat sie es geschildert - eingesperrt, geschlagen und betrogen haben soll. "Glücklich bin ich", sagt sie, "weil ich nach diesem Leben noch lebe."
Anweisungen per Handy
Als sie diese Beziehung endlich hinter sich hatte, meldete sich das Bundeskriminalamt. Sie sollte aussagen gegen ihn, weil er im Herbst 2002 als Hintermann der Terroranschläge auf Bali mit mehr als 200 Toten verdächtigt wurde. Im Kampf gegen die Al-Qaida-Bewegung kann jemand mit solch ungewöhnlichen Einblicken wie Doris Glück für Ermittler eine äußerst kostbare Helferin sein.
Das BKA nahm sie in ein Zeugenschutzprogramm auf, sie ließ sich auf einen Handel ein: Sie würde reden, und der Staat würde sie beschützen. Bundesweit befanden sich im vergangenen Jahr 339 Zeugen in solchen Programmen, 252 von ihnen sagten zur Organisierten Kriminalität aus, 18 zu Staatsschutzfällen, zu denen auch der Terror gehört.
So geriet Doris Glück in ein neues Abenteuer, und das Leben, das sie sich ohne ihren Ägypter aufgebaut hatte, fiel wieder in sich zusammen. "Diese Ehe", sagt sie heute, "hat nie aufgehört." Sie blickt nach vorn, und sieht keinen Weg. Sie blickt zurück und versucht, jemanden haftbar zu machen für ihr Leben, in dem sie sich verirrt hat.
Von seiner Festnahme in Indonesien erfuhr sie im Auto, da war sie gerade als Außendienstmitarbeiterin unterwegs. Sie war stolz darauf, dass sie bald nach der Trennung wieder ihr eigenes Geld verdiente, doch plötzlich brach der Dschihad wieder in ihren Alltag ein. "Da hatte ich gerade noch ein paar Schokoriegel verkauft, und dann erfuhr ich, dass mein früherer Ehemann in Jakarta wegen der Anschläge verdächtigt wurde."
Das Bundeskriminalamt interessierte sich brennend für ihren Ex-Mann, den Islamisten Reda Seyam, immerhin hatte er ja einen deutschen Pass. Noch am selben Abend, sagt sie, habe sie vom Herd weg ihre Wohnung verlassen, "wo ich gerade noch Sauerkraut gekocht habe für meinen Schatz". Sie hatte sich wieder verliebt, und mit ihrem Freund wollte sie "etwas Verbotenes" tun, das ihr der Islam so lange untersagt hatte: Sauerkraut essen, mit Schweinefleisch.