Porträtserie "Sie sind das Volk":Mutter, Mutter, Kind

Porträtserie "Sie sind das Volk": "Bist du jetzt der Vater?" - wenn sich zwei Frauen ein gemeinsames Kind wünschen, bleibt die Frage nach dem Vater nicht aus.

"Bist du jetzt der Vater?" - wenn sich zwei Frauen ein gemeinsames Kind wünschen, bleibt die Frage nach dem Vater nicht aus.

(Foto: Mon Petit Chou Photography/Unsplash)

Sophie konnte sich lange nicht vorstellen, eine Frau zu lieben. Jetzt bekommt sie mit ihrer Freundin ein Baby. Warum das in Deutschland immer noch für Irritationen sorgt, erzählen sie in der dritten Folge von "Sie sind das Volk".

Von Antonie Rietzschel

"Bist du jetzt der Vater?", die Frage soll witzig sein. Doch Theresa kann darüber nicht lachen. Sie und ihre Freundin Sophie bekommen ein Kind. Die Frauen haben sich gemeinsam dazu entschieden. Theresa wird das Baby genauso wie Sophie füttern, wickeln, mit ihm kuscheln. Sie wird seine Mutter sein. Doch es ist nur Sophies Bauch, der für jeden sichtbar kugelrund wird, nicht Theresas. Sophie wird das Kind unter Schmerzen gebären, Theresa ihre Hand halten. Was sonst eben Väter tun. Und so kommt es, dass sich zwar Theresa in ihrer Mutterrolle sicher ist. Andere aber sind verwirrt.

Als der Bundestag die Ehe für alle beschloss, da schien es, als seien Homosexuelle in Deutschland endlich gleichgestellt, die Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren Selbstverständlichkeit. Dass das so nicht stimmt, zeigt sich schon daran, dass Theresa und Sophie, beide 35 Jahre alt, ihre echten Namen in diesem Artikel nicht lesen möchten. Die beiden fürchten die Zuschriften und Kommentare bei Facebook, Anfeindungen wegen ihrer Sexualität, ihrer Entscheidung. Trotzdem wollen die beiden ihre Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die zeigt, dass sich so einiges getan hat. Aber noch nicht so viel, wie es scheint.

Das Volk ist arm, ist reich, ist Ossi, ist Wessi, ist Mutter, Vater, Kind, ist lesbisch und schwul, ist ganz für sich und mit allen zusammen, ist alt, ist jung, wohnt im Altbau, im Hochhaus, im Reihenhaus und in der schönsten Natur. Sie alle sind das Volk - und Politik verändert Ihr Leben. Davon soll diese Reportageserie erzählen, jede Woche bis zur Bundestagswahl. Sie haben ein Thema, das Sie besonders beschäftigt? Schreiben Sie uns: dasvolk@sz.de.

Sophie wusste lange nicht, dass sie eine Frau lieben könnte. Klar, sie hat auf Partys mit Mädels rumgeknutscht, aus Spaß. Aber eine Beziehung? Die Vorstellung fand sie anstrengend. "Frauen bedeuten meistens Drama, da wird zu viel hintenrum geredet", sagt sie. Sophie liebte also Männer. Ihr Traumtyp: größer als sie, also mindestens 1,85 Meter, dunkle Haare, durchtrainiert. Wie das eben so ist mit der Realität, waren die Männer, mit denen sie tatsächlich zusammen war, etwas kleiner, ein bisschen untersetzt. Und laut, dominant, wie Sophie selbst. Jeder wollte sich durchsetzen. Nach der letzten Beziehung wünschte sie sich einen etwas ruhigeren und entspannten Partner.

Und dann kommt Theresa, eine Frau. Dazu einen ganzen Kopf kleiner, kurze schwarze Haare, alles andere als ruhig.

Theresa wohnt damals mit Sophies Schwester zusammen. Beim gemeinsamen Abendessen redet sie ununterbrochen. Sie hat gerade als Mitarbeiterin an der Uni in München angefangen, ist gestresst, voller Selbstzweifel. Sophie mag ihre Art, dieses bayerische Rumgranteln. Sie ist neugierig. Als Theresa später ihr eigenes WG-Zimmer vermietet, hofft Sophie mit ihr in Kontakt zu kommen. Schließlich will sie tatsächlich umziehen. Die junge Frau schreibt Theresa eine Nachricht bei Facebook, fragt, ob das Zimmer noch frei ist. Aber auch, wie es Theresa geht. Vielleicht sieht man sich? Es wird eine lange Nachricht, auf die Theresa nur knapp antwortet.

Sophie: "Das Zimmer ist noch frei", das war alles, was sie mir geschrieben hat.

Theresa: Aber du wolltest doch das Zimmer.

Sophie: Naja, ich wollte schon mit dir in Kontakt kommen. Aber du hast kein Interesse gezeigt, deswegen habe ich mich dann nicht mehr gemeldet.

Theresa: Für mich kam das damals nicht in Betracht.

Sophie: Naja, du fandest mich jetzt nicht unspannend, oder? Du hast mit mir getanzt, du tanzt sonst nie.

Die beiden Frauen sehen sich erst Monate später durch Zufall wieder. Auf einer Fahrradtour mit Bekannten. Von da an treffen sie sich immer wieder, denn Theresa wohnt jetzt bei einer Freundin von Sophie. Zum ersten Mal küssen sie sich auf dem Balkon der WG, sie sind ein bisschen betrunken. Sophie denkt: "Mit dieser Frau könnte ich mir etwas Langfristiges vorstellen." Theresa denkt: "Schau' mer mal."

Die Frage nach dem Dreier

Seit Herbst 2013 sind sie offiziell ein Paar. Sophies Freunde glauben lange an eine "Phase". Die will sich nur austoben. Doch Sophie meint es ernst. Früher mochte sie mit ihrem Freund nicht Händchen halten, jetzt will sie nach außen klar machen: Ich bin mit einer Frau zusammen. Nur Theresa ist dafür schlicht nicht der Typ, war sie noch nie. Und beweisen muss sie schon gar nichts: "Ich halte mich mit meiner Sexualität und Lebensführung für das Zentrum der Normalität." Intoleranz oder dumme Sprüche kann Theresa deswegen überhaupt nicht ab. Als ein Freund von Sophie die beiden betrunken nach einem Dreier fragt, wird Theresa wütend. "Das war einfach respektlos, unserer Beziehung und deren Freundschaft gegenüber." Die beiden Frauen wollen nicht, dass ihre Beziehung als Spielerei gesehen wird. Oder als Anregung für sexuelle Fantasien dient.

Auch in Sophies katholischer Familie ist das Thema Homosexualität schwierig. Eine ihrer Verwandten hat mal gesagt, sie könne es nicht ertragen, wenn einer ihrer Söhne schwul wäre. Als sich Sophie gegenüber ihren Eltern outet, sitzt sie mit dem Vater am Küchentisch. Die Mutter wäscht ab. Gleich wollen sie zur Feier einer gemeinsamen Freundin. Sophie ist nervös. Sie habe da eine Frau kennengelernt, es sei ernst. Der Vater sagt nur: "Mei, passt." Die Mutter: "Wir müssen jetzt los." Erst als sie Theresa kennenlernt, gewöhnt sie sich an den Gedanken, dass ihre Tochter mit einer Frau zusammen ist.

Theresa hatte kein wirkliches Coming-Out in ihrer Familie. Vielleicht haben es sich alle schon gedacht, dass sie nicht auf Männer steht. Als Theresa nach einer Trennung niedergeschlagen ist, fragt ihre Mutter sie nur, ob es eine Frau war. Theresa antwortet mit "Ja". In ihrer Familie gab es nie Erklärungsbedarf, auch jetzt nicht, wo sie mit ihrer Freundin ein Kind bekommt.

"Wir bewegen uns immer noch außerhalb der Norm"

Schon recht früh in der Beziehung fragt Sophie Theresa, ob sie sich das vorstellen könnte. Gemeinsam eine Familie gründen. Klar, aber selbst schwanger werden, das kann sich Theresa nicht vorstellen. "Ich habe kein Bedürfnis, das zu erleben." Damit steht fest: Sophie wird das Kind austragen.

Ein Jahr dauert der Prozess. Anders kann man es nicht nennen. Reproduktionsmedizin hat nichts mit Romantik zu tun. Sie kostet Geld und Nerven. Allein die Suche nach dem richtigen Spender. Anfangs wollen die Frauen nur nach Sympathie aussortieren. Sophies Bedingung: keine Sehschwäche. Doch die Samenbank aus Dänemark liefert jedes Detail der Männer. Persönlichkeitstests, sogar psychische Erkrankungen innerhalb der Familie. Sophie legt Excel-Tabellen mit den Top 3 an, schickt sie Theresa. Heute können die beiden darüber lachen.

Theresa steckt damals mitten in der Dissertation, ist ständig gestresst. Wenn sie sich für einen Spender entschieden hat, ist dessen Samen bereits ausverkauft. Am Ende entscheiden sie sich für einen Mann, der auf Kinderfotos ein bisschen aussieht wie Theresa, als sie klein war. Wäre doch schön, wenn die beiden sich ein bisschen ähneln würden. Sie bestellen das Sperma. Nach drei Injektionen klappt es schließlich. Im Dezember 2016 ist Sophie schwanger.

Fragen, die man werdenden Eltern stellt

Theresas Verwandtschaft erfährt davon auf einem Familientreffen. Alle freuen sich, fragen, wann das Kind denn kommt, welchen Kinderwagen sie sich ausgesucht hätten. Ganz normale Fragen, die man werdenden Eltern so stellt. Theresa ist es wichtig zu betonen, dass ihre Familie aus dem tiefsten Bayern kommt, Provinz. Es gibt keine queeren Straßenfeste wie etwa in München. "Unter meiner Verwandtschaft befinden sich auf jeden Fall AfD-Wähler - und gleichzeitig akzeptieren sie Sophie und mich. Einfach so", sagt Theresa. Unangenehme Nachfragen kämen vor allem von Bekannten und Kollegen, die immer wieder betonen, sie seien tolerant. Die auf den Christopher-Street-Day gehen, dann aber fragen, wie sie sich Sophie und Theresa das vorgestellt hätten. Das Kind brauche doch einen Vater.

Theresa: Es gibt Leute, die glauben, Kinder bräuchten männlichen Einfluss. Aber wie sieht der bitteschön aus? Wenn man das zum Beispiel darüber definiert, dass man mit dem Sohn Fußball spielt, kein Problem. Ich kann sehr gut Fußball spielen. Und unser Kind wird im Alltag natürlich mit Männern aufwachsen.

Sophie: Ich habe das Gefühl, wir bewegen uns immer noch außerhalb der Norm. Die Leute würden es vielleicht eher akzeptieren, wenn ich jetzt nach einem One-Night-Stand schwanger wäre und das Kind allein großziehen würde. Der einzige Kommentar wäre vielleicht: Das schaffst du schon.

Auch rechtlich bewegen sich die beiden Frauen außerhalb dessen, was der Gesetzgeber als normal ansieht. Elternschaft wird in Deutschland nach traditionellen Maßstäben definiert: Vater, Mutter, Kind. Hätten sich Sophie und Theresa dafür entschieden, einen Spender im Freundes- oder Bekanntenkreis zu suchen, hätte das Probleme mit sich bringen können. Im Ernstfall stehen die Ansprüche des biologischen Vaters über denen von Theresa. Genau aus diesem Grund haben sie sich auch dagegen und für die Samenspende entschieden. Zwar kann ihr Kind im Alter von 18 Jahren seinen biologischen Vater kennenlernen, diese Möglichkeit war vor allem Sophie wichtig. Rechtlich gesehen spielt er keine Rolle.

Der Gesetzesentwurf zur Ehe für alle, der Ende Juni im Bundestag verabschiedet wurde, bedeutet keinesfalls die komplette Gleichstellung homosexueller Paare. Dafür müsste ein Paragraph im Bürgerlichen Gesetzbuch angepasst werden. Demnach kann ein Ehemann automatisch Vater werden, wenn die Frau während der Ehezeit ein Kind bekommt. Eine entsprechende Regelung für homosexuelle Paare ist derzeit nicht vorgesehen.

Sophie und Theresa wollen nach der Geburt heiraten. Aber selbst dann muss Theresa das Kind in einem aufwendigen Verfahren adoptieren. Das Jugendamt wird regelmäßig vorbeischauen, beobachten, wie Theresa mit dem Kind umgeht, ob die Wohnung sauber ist. Sie muss einen Lebensbericht verfassen, über ihre Bindungsfähigkeit Auskunft geben, über frühere Beziehungen. "Das ist ein fieser Eingriff", sagt Theresa. Und was noch schlimmer ist: "Solange die Adoption nicht durch ist, gibt es mich rechtlich eigentlich gar nicht." Von der Politik wünschen sich beide eine wirkliche rechtliche Gleichstellung. Deutschland sei da auf einem guten Weg, sagt Theresa. Aber es gehe immer nur in kleinen Schritten vorwärts. Sophie könnte dabei auch sehr gut auf Labels verzichten. Warum es denn unbedingt "Regenbogenfamilie" heißen müsse, und nicht "Familie". Ganz einfach, ganz normal.

Die Hebamme spricht jetzt von "Partnern"

Für die Hebamme sind sie das erste homosexuelle Pärchen. Fast schon verlegen hat sie den beiden eine Broschüre in die Hand gedrückt. Titel: "Vater werden ist nicht schwer." Gleichzeitig tut sie alles, damit sich Sophie und Theresa wohl fühlen. Während des Geburtsvorbereitungskurses versucht die Hebamme jetzt nicht immer von Vätern zu reden, sondern von Partnern, ohne dass Sophie oder Theresa darum gebeten hätten.

Im Geburtsvorbereitungskurs lernte Theresa auch, dass sie nicht zwangsläufig mehr Ahnung von Schwangerschaft hat, nur weil sie auch eine Gebärmutter hat. Vor kurzem sollten die Partner einzelne Geburtsphasen mithilfe von Kärtchen zuordnen. Theresa gesellte sich dafür zu den Männern. Entspannung und viel schlafen? Diesen Punkt ordneten sie zeitlich nach der Geburt an. Da ruhe man sich doch schön aus, witzelten sie. Nein, das sei die frühe Geburtsphase, korrigiert die Hebamme. "Wir sind halt alle naiv. Egal ob Mann oder Frau", sagt Theresa.

Auch sonst unterscheidet sich der Alltag der beiden in der Schwangerschaft nicht sehr von dem heterosexueller Paare. Sophie schimpft Theresa aus, wenn sie mal nicht nachdenkt und Fisch oder Rohmilchkäse für beide zum Abendessen mitbringt. Eben das, was Schwangere nicht essen sollen. Theresa hat die Wickelkommode aufgebaut. Nur noch wenige Tage, dann wird dort ein kleiner Säugling liegen. Ein Junge.

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