Süddeutsche Zeitung

Reportage:Der Mann, der George Bush erfand

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Karl Rove, der geniale Chefstratege im Weißen Haus, ist der mächtigste aller politischen Berater. Er plant für seinen Präsidenten den Wahlkampf, entwirft Visionen und kämpft politische Gegner nieder - ein Wadenbeißer in seinem Element.

Von Wolfgang Koydl

Washington, 27. September - Wer wissen will, wie der mächtigste Mann Amerikas tickt, der sollte ein wenig von Krocket verstehen. Nein, nicht Baseball oder Football, sondern Krocket, jener anscheinend so blutleere Zeitvertreib der englischen Oberklasse, bei dem auf kurz geschorenem Rasen kleine Bälle mit langstieligen Holzhämmern durch gusseiserne Tore bugsiert werden.

Doch das beschauliche Bild trügt: Bei keiner anderen Sportart lauern hinter höflichen Manieren so viel gnadenlose Brutalität und durchtriebene Bosheit. Krocket ist eine Mischung aus Billard, Golf und Schach - allerdings zu spielen mit dem verbissenen Siegeswillen eines Gladiators, der den Thunderdome überleben will.

Wie Mad Max sieht Karl Rove freilich nicht aus. Kurzsichtig lugen arglos geweitete Augen hinter blitzenden Brillengläsern hervor. Mit dem kaum kaschierten Bauchansatz, seiner hohen Stirn und dem schütteren Haar erinnert er an eine amerikanische Wiedergeburt des schüchternen Franz Schubert.

Doch das beschauliche Bild trügt: Hinter der Fassade des Biedermannes lauert ein Machtmensch mit den Instinkten eines Pitbull. Beim Krocketspiel verwandelt er selbst seine Ehefrau Darby in ein heulendes Häufchen Elend, wie diese einmal ungeniert bekannte; in der Politik versetzt er den Gegner in einen Zustand der Starre, den die spitzzüngige Kolumnistin Maureen Dowd von der New York Times als "vorbeugende Paranoia" bezeichnete.

Nicht gewählt

Die Demokratische Partei der USA hat schon lange gelernt, dass es fatal wäre, Karl Rove zu unterschätzen. So tief sitzt der fast an Furcht grenzende Respekt, dass im Wahlkampf mitunter die Grenzen verflossen, wer der eigentliche Gegner von John Kerry sei: George Bush oder sein Berater Rove.

Denn Rove ist der Mann, der Bush erfunden hat. Ohne Rove gäbe es keinen Präsidenten George W. Bush, und wenn er wiedergewählt wird, dann wird er diesen Erfolg keinem anderen verdanken als seinem getreuen Adlatus.

"Alleine hätte Bush weder eine Vision noch einen Plan noch eine Agenda", erkennt der Politologie-Professor Bruce Buchanan von der Universität Texas, der das ungleiche Paar seit Jahren studiert hat.

"Die mächtigste nicht gewählte Person Amerikas", hat man Rove genannt, das "Nervenzentrum der Bush-Administration" oder schlicht "den Grand Central-Bahnhof, in dem alle Gleise zusammenlaufen".

Aber all diese Bezeichnungen tragen seinem wahren Einfluss nicht genügend Rechnung. Denn wenn der unscheinbare Mittfünfziger auch lediglich den Titel eines Beraters des Präsidenten trägt, so ist er doch in der allgegenwärtigen Zunft der Political Consultants und Strategists in den USA der mit Abstand Einflussreichste.

"Bushs Brain"

Vielen gilt er als die eigentliche Macht hinter dem hochlehnigen Ledersessel, von dem aus der Präsident im Oval Office des Weißen Hauses die USA regiert: Rove ist ein Ko-Präsident, der die Richtlinien der Politik mitbestimmt.

"Bushs Brain" (Bushs Gehirn) wird er denn von Freund und Feind mit einer Mischung aus Hochachtung und Hohn meist genannt, und "Bushs Brain" heißt auch eine Dokumentar-DVD über Rove, die jetzt in die Läden kommt.

Sie erzählt die fast schon filmreife Geschichte, wie ein Außenseiter aus einer zerrütteten Mittelstandsfamilie und der älteste Sohn einer Millionärsdynastie zu einem unschlagbaren Politgespann zusammenfanden. "Polit-Junkies wie ich warten ein Lebtag lang darauf, mit einem Typen wie ihm zusammenzuarbeiten", hatte Rove zu seinem Verhältnis zu Bush gesagt.

In der Tat ergänzen sich beide Männer vortrefflich: Wo Bush Charme versprüht, bringt Rove Intellekt, politische Erfahrung und manische Detailversessenheit in die Partnerschaft ein. "Schiere Hirnkraft" erkannte denn auch Bush-Berater Mark McKinnon in dem berühmteren Kollegen: "Der Knabe muss ein Extra-Chromosom haben; ich glaube, dass die wenigsten Sterblichen auch nur ein Zehntel von dem zuwege brächten, was er tut."

Prägnanter formulierten es die beiden Biografen des Polit-Genies, James Moore und Wayne Slater: "Rove denkt es und Bush tut es."

Bush weiß denn auch genau, was er an seinem Berater hat. Dass er in den Umfragen vorne liegt, ist ihm geschuldet. Denn auch der jetzige Wahlkampf trägt die Handschrift des "Boy Genius", wie Bush ihn in Anlehnung an eine glubschäugige Cartoon-Figur namens Jimmy Neutron nennt.

Es war Rove, der schon im Januar 2002 erkannt hatte, dass die nationale Sicherheit das Thema der Präsidentschaftswahlen sein müsste. Derweil sich die Demokraten mühselig zwischen allen möglichen Themen und Kandidaten zerrieben - Howard Dean und der Krieg? John Edwards und die Wirtschaft? John Kerry und ein wenig von allem? -, war für die Republikaner die Marschroute stets klar.

Meister der Schlammschlacht

Rove ist freilich nicht nur für die große Linie zuständig. Seine Spezialität ist vielmehr die teuflische Detailarbeit. Anders ausgedrückt: Er ist ein Meister der Schlammschlacht und der schmutzigen Tricks.

Gelernt hat er sie von seinem geistigen Ziehvater Lee Atwater, der Bushs Vater als Berater zur Seite stand und der bei den Wahlen von 1986 den demokratischen Herausforderer Michael Dukakis in einem Shredder aus Verleumdungen, Verunglimpfungen und Verdrehungen zu einer Art politischer Hamsterstreu zerhäckselte.

Seinem berüchtigten Mentor steht Rove in nichts nach, auch wenn er selbst lieber verharmlosend von "Streichen" spricht, die er dem politischen Gegner spielt.

Es sind dies freilich Streiche, von denen sich der so Gefoppte nie wieder erholt. Roves Spezialitäten sind Verleumdungskampagnen à la Rossinis Don Basilio, die als säuselndes Lüftchen anheben, die Gehirne betäuben und sich zum tobenden Unwetter auswachsen.

Als George W. Bush vor zehn Jahren antrat, um die populäre demokratische Gouverneurin von Texas, Ann Richardson, aus dem Amt zu vertreiben, machte plötzlich das aus der Luft gegriffene Gerücht die Runde, dass die Politikern lesbisch sei.

Jeder konnte sich denken, wer das Gerücht gestreut hatte, aber niemand konnte es nachweisen. Nach derselben Methode wurde John McCain fertig gemacht, der sich 2000 neben Bush um die republikanische Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten bewarb: In Radioshows und Zeitungsartikeln tauchten Fragen auf, ob McCain in seiner langjährigen Kriegsgefangenschaft in Vietnam nicht geistige Schäden davongetragen haben könnte. McCain hat diese Schmutzattacke Bush nie verziehen.

Er lässt Säulen einstürzen

Rove macht Wahlkampf, wie man Krocket spielt: Ein guter Spieler wartet geduldig und anscheinend unbeteiligt, bis der Gegner seine Bälle in günstige Positionen gebracht hat.

Dann haut er sie gnadenlos ins Aus. Auf diese Weise durchkreuzte Rove in diesem Jahr die demokratische Wahlkampfstrategie, die Kerry als Vietnam-Helden verkaufen wollte. Er wartete, bis die Demokraten diese tragende Säule ihres Wahlkampfes aufgerichtet hatten.

Dann tauchte unversehens die Gruppe der "Swift Boat Veterans for Truth" auf, welche als einstige Kameraden die Vietnam-Vergangenheit des demokratischen Senators erst in Zweifel und dann in den Schmutz zogen.

Die Säule kippte und riss Kerrys ganze Strategie mit sich wie ein Kartenhaus.

Andere Politiker mögen die politische Auseinandersetzung als fairen Wettstreit betrachten, bei dem abwechselnd einmal die eine und die andere Partei gewinnt. Doch Rove denkt offenbar in anderen, absoluten Kategorien: Er nimmt Politik peinlich persönlich, er ist nachtragend, und er will den Gegner abstrafen oder nach Möglichkeit gleich zerstören, damit er sich ihm nie wieder in die Quere stellt.

"Bei Karl wusste ich wenigstens immer genau, woran ich mit ihm war", erinnerte sich ein demokratischer Politiker aus Texas. "Er wollte mich umbringen."

In Texas lernte Rove sein Handwerk, für das er freilich ein nur wenigen Menschen geschenktes Naturtalent mitbrachte. Als man ihn einmal fragte, wann er zum ersten Mal daran dachte, einen Präsidentschaftswahlkampf zu führen, da zögerte er keinen Augenblick mit seiner Antwort: "Am 25. Dezember 1950" - dem Tag, an dem er geboren wurde.

In der Tat: Schon für den kleinen Karl war Politik der einzige Zeitvertreib, und schon damals bestand für ihn kein Zweifel, dass er Republikaner sein würde - wie er in einer oft wiederholten Anekdote enthüllte: "Als ich neun war, klebte ich einen Nixon-Sticker vorne an das Körbchen an der Lenkstange meines Fahrrads", erzählt er häufig mit verschmitztem Grinsen.

"Leider war das katholische Mädchen in meiner Straße ein paar Jahre älter und 20 Pfund schwerer als ich. Sie war für Kennedy, und als sie mich sah, warf sie mich auf den Boden, machte mich platt und verpasste mir eine blutige Nase.

Trotzdem habe ich nie mein Interesse an der Politik verloren." Als Student an der Universität von Texas schloss er sich den College Republicans an, der republikanischen Studentenvereinigung, aus der viele führende Köpfe der konservativen Bewegung wie Ralph Reed von der "Christian Coalition" oder der Steuerbekämpfer Grover Norquist hervorgingen.

Rove entpuppte sich als genialer Debattenredner, der sehr schnell zum Landesvorsitzenden der College Republicans gewählt wurde. In dieser Funktion wurde George H.W. Bush auf ihn aufmerksam. Der Vater des jetzigen Präsidenten leitete damals die republikanische Partei und er machte das intellektuelle Wunderkind zu seinem Vertrauten.

Damals lernte Rove seinen späteren Schützling George W. Bush kennen. Anfangs bestand seine einzige Aufgabe darin, dem jungen Mann die Autoschlüssel zu bringen, wenn der seinen Vater in Washington besuchen kam.

Produkt Bush

Noch Jahrzehnte später konnte sich Rove an die erste Begegnung erinnern, als er den jungen Bush am Union-Bahnhof der US-Hauptstadt abholte: "Er strahlte mehr Charisma aus, als ein einzelner Mensch haben durfte", stammelte der selbst uncharismatische Rove wie ein frisch verliebter Teen.

Wichtiger freilich war, dass mit dieser Begegnung der Marketing-Experte Rove sein Produkt Bush gefunden hatte. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis sich der eher desinteressierte Politikersohn zu einer Polit-Laufbahn breitschlagen ließ.

Doch dann konnte Rove darangehen, die politische Landschaft neu zu gestalten, und er begann damit in Texas.

Dass der Lonestar State heute als eine schier uneinnehmbare Bastion der Republikaner gilt, ist maßgeblich Roves Wirken zu verdanken. Zuvor war Texas sichereres demokratisches Territorium, wo die Leute, wie es hieß, "einen gelben Hund" wählen würden, solange er nur Demokrat war.

Noch bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts konnten sich viele Texaner mit der Beobachtung des Schriftstellers O. Henry identifizieren: "Wir haben hier nur zwei, drei Gesetze: Wir sind gegen den Mord an Zeugen, wir sind dagegen, uns beim Pferdediebstahl erwischen zu lassen, und wir sind dagegen, für Republikaner zu stimmen."

Vorbild Machiavelli

Binnen weniger Jahre freilich gelang es Rove, den Staat politisch umzupolen - und sein Werkzeug war kein anderer als George W. Bush. So fest ist Texas heute in republikanischer Hand, dass es John Kerry noch nicht einmal der Mühe für wert hält, dort zu Wahlkampfauftritten zu erscheinen.

Gelingen konnte dieses Manöver freilich nur im Zusammenspiel des Duos Bush-Rove. "Wenn es George W. Bush nicht gegeben hätte", offenbarte Rove einmal in einem ehrlichen Moment, "dann hätten wir jemanden wie ihn erschaffen müssen." Bush soll nun auch das Instrument sein, mit dem Rove die Vereinigten Staaten dauerhaft umkrempeln will - nach republikanischen, konservativen Vorstellungen.

"Rove macht die Demokraten deshalb so wütend, weil er ehrgeizige Ziele verfolgt", erkannte der Politikprofessor Michael Kazin von der Washingtoner Georgetown-Universität. "Es ist ganz offenkundig, dass er für die nächsten Jahrzehnte fest eine republikanische Mehrheit im Land etablieren will." Rove streitet das gar nicht ab.

Sein Vorbild ist - neben Machiavelli und Napoleon - Mark Hanna. Er war der politische Berater, der 1896 dem Republikaner William McKinley den Weg ins Weiße Haus ebnete und den Grundstock für eine lange republikanische Ära legte. Wie lange? Nun, wenn Rove genauso erfolgreich ist, könnten sich die Demokraten frühestens 2018 Hoffnungen auf einen Machtwechsel machen.

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Quelle:
SZ vom 28.9.2004
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