Deutsch-polnische Beziehungen:Grüne legen Vorschlag zu Reparationszahlungen vor

75. Jahrestag Warschauer Aufstand

Schon bei einem Besuch von Heiko Maas im vergangenen August hatte Polens Außenminister Jacek Czaputowicz gesagt: "Wir haben keinen Grund, dieses Thema zu scheuen." (Archivbild)

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Regierung in Warschau behält sich vor, Reparationen für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu fordern. Wie lässt sich das Thema entschärfen?

Von Daniel Brössler, Berlin

Wenn es stimmt, was der polnische Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk kürzlich verkündet hat, dann ist die Rechnung fertig. Kurz vor dem 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai teilte der Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit, die von ihm geleitete, 2017 eingesetzte Kommission zur Feststellung der von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Kriegsschäden habe ihre Arbeit beendet. Vorerst aber werde der Bericht unter Verschluss gehalten - und somit auch die Summe, die Polen von Deutschland fordern könnte. "Dafür kommt noch eine passende Zeit", sagte Mularczyk damals. Wenn nun Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) an diesem Dienstag Warschau besucht, dürfte diese von Polen offen gehaltene Reparationsfrage wieder mitschwingen. Schon bei einem Besuch von Maas im vergangenen August hatte Außenminister Jacek Czaputowicz gesagt: "Wir haben keinen Grund, dieses Thema zu scheuen."

Die Frage, ob Deutschland für die unermesslichen Kriegsschäden in Polen finanziell zur Rechenschaft gezogen werden kann und soll, steht - mal heißer, mal weniger heiß diskutiert - auf der Agenda, seit die rechtsgerichtete PiS 2015 an die Regierung gekommen ist. Laut einer kürzlich im Rahmen des "deutsch-polnischen Barometers" veröffentlichten Umfrage wird die Reparationsfrage mittlerweile als das Hauptproblem in den Beziehungen gesehen. Genannt wird sie von 58 Prozent der Polen und 52 Prozent der Deutschen. Dabei hat sich die polnische Regierung mit der Frage bisher offiziell gar nicht beschäftigt.

Nach Einschätzung des Vorsitzenden der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Manuel Sarrazin (Grüne), könnte sich das aber schon bald ändern. In Warschau herrsche eine "allgemeine Enttäuschung" über die konkreten Ergebnisse der deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Das könne dazu führen, dass das Thema Reparationen nach den Präsidentschaftswahlen Ende Juni "auf Regierungsebene gehoben wird".

Dann aber droht ein ernster Konflikt zwischen Berlin und Warschau, denn die Bundesregierung lehnt jegliche polnische Reparationsansprüche ab. Die Frage der deutschen Reparationen sei "in der Vergangenheit abschließend geregelt worden, rechtlich und politisch", hatte sie bereits 2017 erklärt - und dabei auf eine polnische Verzichtserklärung von 1953 verwiesen. Ein Sachstandsbericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bestätigte vergangenes Jahr diese Auffassung. Die "brüske Ablehnung" der aus Polen vorgetragenen Reparationsforderungen in der Vergangenheit sei zwar "juristisch formal korrekt, aber moralisch und politisch kaum vertretbar", findet Manuel Sarrazin. Deutschland könne "die Debatte nicht für beendet erklären, wenn sie es für unsere polnischen Partner und Freunde als erste Opfer des deutschen Angriffskrieges noch nicht ist".

Polnisches Reparationsgutachten wird unter Verschluss gehalten

Die passende Zeit für die Rechnung werde kommen, sagt Arkadiusz Mularczyk: Der polnische Abgeordnete hat sich federführend mit der Frage deutscher Kriegsentschädigungen befasst.

(Foto: Marcin Obara/picture alliance/dpa)

Aus Sarrazins Sicht ist durch den "ziemlich ignoranten Umgang" mit den Forderungen aus Polen erheblicher Schaden entstanden. Diesen sei nun "mit Empathie und Entgegenkommen" zu begegnen. Deutschland müsse zeigen, "dass es seine Hausaufgaben zu machen bereit ist". Dafür unterbreitet Sarrazin in einem Papier nun sechs konkrete Vorschläge. So solle Deutschland im Rahmen einer humanitären Geste einen Fonds aufsetzen, aus dem medizinische Kosten für noch lebende Opfer von Krieg und Besatzung übernommen werden können. Aus einem weiteren Fonds sollten als "Geste des guten Willens" Entschädigungen an Opfer oder deren Kinder gezahlt werden, die bei bisherigen Zahlungen nicht berücksichtigt wurden. Es gebe "weiterhin kaum berücksichtigte blinde Flecken deutscher Schuld während Krieg und Besatzung in Polen". Das gelte für sogenannte Partisanen- und Geiselerschießungen, aber auch für Todeslisten des Reichssicherheitshauptamts aus den ersten Kriegswochen und die Opfer des "Volksdeutschen Widerstands".

Geschaffen werden solle zudem ein Rahmen zur Unterstützung polnischer Kultur. Ziel der deutschen Besatzungspolitik sei schließlich nicht zuletzt gewesen, die polnische Kultur zu zerstören. Für Orte, in denen Deutsche Kriegsverbrechen verübt haben, fordert Sarrazin eine "symbolische Entschädigung". Außerdem sollten möglichst alle Mordopfer der Besatzung dokumentiert werden. Ein "richtiger und wichtiger Schritt" sei auch die Bereitschaft Deutschlands, "in wesentlichem Umfang zu einem großen Kulturprojekt in Polen beizutragen".

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