Süddeutsche Zeitung

Reparationen:Polen beziffert Weltkriegsschäden auf mehr als 1,3 Billionen Euro

Polens Regierungspartei PiS bringt das Thema Reparationen wegen des Zweiten Weltkriegs wieder auf. Die Opposition in Warschau sieht eine "antideutsche Kampagne" als Wahlkampfmanöver.

Von Daniel Brössler und Florian Hassel, Warschau/Berlin

Führende Politiker Polens haben zum 83. Jahrestag des deutschen Überfalls am 1. September 1939 eine dreibändige Dokumentation über deutsche Verbrechen und Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg vorgestellt. Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński zufolge betrugen die erlittenen Schäden mehr als 6,2 Billionen Złoty, umgerechnet 1,3 Billionen Euro. Die Vorstellung des Berichts sei gleichzeitig auch "die Entscheidung darüber, dass Polen für Kriegsreparationen eintreten wird, für Entschädigungen für alles, was die Deutschen in Polen von 1939 bis 1945 verübt haben". Kaczyński sprach indes nicht von offiziellen Forderungen an die Bundesregierung, sondern von "der Beschäftigung mit dieser Sache bei einem internationalen Forum".

An der Präsentation nahmen außer PiS-Chef Kaczyński auch Präsident Andrzej Duda, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek und weitere führende Politiker der regierenden nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) teil. Seit 2004 bringt PiS-Chef Kaczyński das Thema angeblicher Reparationsforderungen an Deutschland alle Jahre wieder auf.

Seit die PiS im Herbst 2015 die Regierung übernommen hat, brachte Kaczyński das Thema unter anderem 2017, 2019 oder 2021 wieder auf die Tagesordnung. Der Bericht, den Kaczyńskis Getreuer Arkadiusz Mularczyk federführend erstellte, wurde schon im Mai 2019 abgeschlossen - nur beschloss Kaczyński damals, ihn erst einmal in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Dafür hatte er gute Gründe: Das Thema Reparationen ist seit Jahrzehnten juristisch abgehakt, was auch polnische Fachleute und Politiker anerkennen. Schon der Potsdamer Vertrag von 1945 bestimmte, dass Polen im Rahmen von Entschädigungen für die Sowjetunion entschädigt werde. 1953 erklärte die polnische Regierung am 24. August, sie habe beschlossen, "mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten" - und ließ dies auch vor den Vereinten Nationen bekräftigen.

Der Verzicht wurde etwa auch im Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 sowie etwa 2004 oder 2017 durch offizielle Erklärungen Warschaus bekräftigt. Abseits ihrer öffentlichen Propaganda hat die polnische Regierung seit 2015 die Reparationsforderung nie zum Gegenstand einer offiziellen diplomatischen Note oder von Gesprächen mit Berlin gemacht - wohlwissend, dass dies aussichtslos ist.

"Die Position der Bundesregierung ist unverändert, die Reparationsfrage ist abgeschlossen", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Polen habe schon vor langer Zeit, im Jahr 1953, auf weitere Reparationen verzichtet und diesen Verzicht mehrfach bestätigt. Dies sei "eine wesentliche Grundlage für die heutige Ordnung Europas". Deutschland stehe aber "politisch und moralisch" zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg.

"Leid und Schmerz dieses barbarischen Verbrechens wirken bis heute nach und sind uns ewig Mahnung", schrieb Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum 83. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Twitter. "Wir schulden Polen viel. Wir schulden Ihrem Land die aufrichtige Anerkennung des erlittenen Leids unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bei einer Gedenkfeier in Berlin. Der deutsche Botschafter in Warschau, Thomas Bagger, erklärte, Deutschland stelle sich seiner Verantwortung "ohne jedes Aber".

Polnische Oppositionspolitiker wie Ex-Ministerpräsident Donald Tusk kritisierten die Reparationsinitiative als "antideutsche Kampagne", mit der Kaczyński "die Unterstützung für die Regierungspartei wieder nach oben bringen will". Die PiS ist von einem Hoch von 46 Prozent auf heute nur noch 31 Prozent gefallen. In einer Umfrage liegt sie gar nur noch bei 26 Prozent und würde die Macht womöglich verlieren, fände die in gut einem Jahr anstehende Parlamentswahl bereits heute statt.

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