Reparationen für Nazi-Gräuel:Ist die deutsche Schuld beglichen?

Walther von Brauchitsch in Griechenland, 1941

Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch (Mitte) besichtigt die Akropolis bei einem Besuch an der Südostfront im Jahr 1941: Die deutsche Wehrmacht beging während der Besetzung Griechenlands zahlreiche Massaker.

(Foto: SZ-Photo)
  • Deutschland soll Griechenland elf Milliarden Euro an Reparationen schulden - vor allem aus einem Zwangskredit, den die Nationalsozialisten einst der griechischen Notenbank abpressten.
  • Einem Historiker zufolge hätten generelle Reparationsforderungen keine Chance - stattdessen solle man sich mit der Anleihe beschäftigen.
  • Deutschland unterstützt Griechenland zumindest bei der Umsetzung verschiedener Projekte.

Von Christiane Schlötzer, Athen, und Joachim Käppner

Vielleicht würde es um die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Griechenland viel besser stehen, hätten mehr deutsche Politiker solche Worte gefunden. Bundespräsident Joachim Gauck sagte im vergangenen Jahr bei seinem Besuch in Griechenland über die deutsche Besatzungszeit und ihre Folgen: "Ich wünschte so sehr, längst hätte einer gesagt, der damals Befehle gegeben und ausgeführt hat: ,Ich bitte um Entschuldigung.' Oder: ,Es tut mir so unendlich leid.'" Es seien "diese nicht gesagten Sätze, die eine zweite Schuld begründen, da sie die Opfer sogar noch aus der Erinnerung verbannen".

Die in der Eurokrise gewachsenen Spannungen zwischen Berlin und Athen haben ihren Grund nicht zuletzt darin, dass deutsche Regierungen zu selten Bedauern über die Ausplünderung des Landes und die Gräuel äußerten, die SS und Wehrmacht während der Besatzungszeit 1941 bis 1944 in Griechenland angerichtet haben.

Hunderttausende Tote durch Hungersnöte; verbrannte Dörfer, ermordete Zivilisten, Zehntausende in die Vernichtungslager deportierte Juden, eine zerstörte Wirtschaft - die Brutalität der Besatzer sollte den griechischen Widerstand brechen. Nach dem Krieg aber wollten die Deutschen wenig davon hören.

Tsipras will alte Forderungen aufleben lassen

Alexis Tsipras, der neue griechische Premier, hatte gerade seinen Amtseid abgelegt, da stand er vor einem schlichten Denkmal: am ehemaligen Schießstand von Kesariani, wo einst deutsche Exekutionskommandos 600 griechische Widerstandskämpfer hinrichteten.

Der Besuch war mehr als eine Geste. Tsipras will alte Forderungen wieder aufleben lassen, nach der Begleichung deutscher Kriegsschulden: "Entschädigungen für Nazi-Kriegsverbrechen und den Zwangskredit", so hatte er vor dem Wahltag versprochen.

Schon der nun abgetretene konservative Premier Antonis Samaras hatte eine Expertenkommission eingesetzt. Die rechnete vor, Deutschland schulde Griechenland elf Milliarden Euro - vor allem aus einem Zwangskredit, den die Nationalsozialisten einst der griechischen Notenbank abpressten, womit sie unter anderem Erwin Rommels Feldzug in Nordafrika finanzierten. In der griechischen Öffentlichkeit war auch von weit höheren Summen die Rede.

Der Kommission gehörte anfangs der deutsch-griechische Historiker Hagen Fleischer an. Fleischer war Mitte der 70er-Jahre im Bundesarchiv in Koblenz ein Konvolut frisch eingetroffener Akten aus US-Beständen in die Hände gefallen. Darin fand sich auch jene "Denkschrift", in der Reichsbankbeamte Anfang 1945 die "Reichsverschuldung gegenüber Griechenland" auflisteten. Hier war auch der Zwangskredit von 476 Millionen Reichsmark von 1942 verzeichnet.

Fleischer sagt, generelle Reparationsforderungen Griechenlands hätten heute keinen Erfolg mehr. Deshalb sollte Athen darauf "offiziell verzichten", was das Land bislang nie getan hat. Der Verzicht sollte allerdings, so Fleischer zur Süddeutschen Zeitung, "mit der dringenden Bitte verbunden werden, dass man sich an einen Tisch setzt" und mit der alten Anleihe befasst.

Denn die war eine griechische Besonderheit, in keinem anderen von den Nazis besetzten Land habe es so etwas gegeben, betont Fleischer. Hier hat Athen also einen Punkt. Der Historiker widerspricht daher auch dem Argument, der Zwangskredit falle unter die "Reparationen", die sich 70 Jahre nach Kriegsende "unter Freunden" erledigt hätten, wie Berlin argumentiert.

Wo die Nazis besonders wüteten, soll Geld in die Infrastruktur fließen

Völkerrechtlich hat Griechenland kaum Aussichten auf Zahlungen. Zur "Wiedergutmachung" für NS-Unrecht schloss die Bundesrepublik Ende der Fünfzigerjahre "Globalentschädigungsabkommen" mit zwölf westlichen Ländern ab, mit Griechenland einen Vertrag 1960.

Die Londoner Schuldenkonferenz hatte das Thema deutscher Reparationszahlungen im Jahr 1953 auf die Zeit nach einem Friedensabkommen verschoben. An dessen Stelle trat dann 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung, darin spielten Reparationen keine Rolle mehr. Auf dieser Basis lehnt die Bundesregierung sie kategorisch ab.

So antwortete auch Gauck seinem 85-jährigen griechischen Kollegen Karolos Papoulias auf den Wunsch, endlich über Reparationen und die alte Anleihe zu reden, eindeutig, wenn auch darum bemüht, nicht zu harsch zu klingen: "Ich kann darauf nur antworten, dass ich meine, der Rechtsweg dazu ist ausgeschlossen."

Der Zukunftsfonds ist schon wieder Geschichte

Sollte sich Gauck vor dem Besuch durch alte Akten gelesen haben, dürfte ihm aufgefallen sein, wie über die Jahre hinweg Bitten aus Athen in der Sache teils recht brüsk abgewiesen wurden. Nur einmal zahlte Deutschland bislang an Griechenland: In den 60er Jahren, 115 Millionen DM, im Rahmen eines Abkommens mit westlichen Staaten, für individuelle Entschädigungen, vor allem für jüdische Opfer.

Gauck hatte nach Athen aber doch etwas mitgebracht: die Idee eines deutsch-griechischen Zukunftsfonds. Mit einer Million pro Jahr ausgestattet, sollen vier Jahre lang "wissenschaftliche und gesellschaftliche Aktivitäten zur historischen Aufarbeitung der Weltkriegsereignisse" gefördert werden, als "Signal des Miteinanders und Füreinanders". In einigen Gemeinden, in denen die Nazis besonders schlimm gewütet hatten, wie in Kalavryta, soll es Zuschüsse für Infrastrukturprojekte geben.

Hagen Fleischer hat auch ein Projekt für den Zukunftsfonds. Eines, bei dem man sich nun beeilen müsste: ein Zeitzeugenarchiv. Gauck nannte dies eine wichtige Initiative bei seinem Auftritt im Präsidentenpalast in Athen. "Wir wollten 100 Menschen befragen", sagt Fleischer, nicht nur aus den Massaker-Dörfern, sondern auch Griechen, die nach dem Krieg die deutsch-griechischen Beziehungen wieder aufbauten.

Aber ausgerechnet dieses Projekt ist "irgendwo in der Bürokratie" verschwunden, wohl weil das Geld nicht reichte. 1,2 Millionen Euro sollte es kosten, das Auswärtige Amt hatte 700 000 Euro zugesagt, eine griechische Stiftung 100 000. "Jetzt sind leider schon die ersten, die auf unserer Interview-Liste standen, gestorben", sagt Fleischer.

Immerhin bewegt sich etwas bei einem weiteren Projekt, das auch auf Gauck zurückgeht: Das Familienministerium von Manuela Schwesig (SPD) erarbeitet zusammen mit den Griechen Pläne für ein gemeinsames Jugendwerk, für "Theater- oder Musikprojekte, Sport, Gedenkstättenarbeit, Umweltprojekte, schulischen Austausch oder Praktika". Wie die neue Regierung in Athen das Projekt betrachtet, ist noch ungewiss.

Die deutsche Seite will dennoch Tempo machen, so heißt es aus dem Ministerium: "Nach den bisherigen Planungen ist die Errichtung des Jugendwerks für das Jahr 2016 vorgesehen."

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