Es gibt wohl niemanden, der den Kritikern des schwarz-roten Rentenpaketes glaubwürdiger "hysterisches Gejaule" vorwerfen kann als Andrea Nahles. Denn es gibt niemanden, der von hysterischem Gejaule so viel versteht wie sie. Es war oft genug der Sound ihrer jahrelangen Klage über Reformen in den Zeiten von Gerhard Schröders Regierung und der letzten großen Koalition - jener Reformen also, deren Rendite Nahles nun als Ministerin großzügig verteilt.
Ansonsten aber gilt das Westerwelle-Gesetz: Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt - und das ist in der Bundesregierung Angela Merkel. Richtig ist: Der Bundestag hat am Freitag mit den Stimmen der großen Koalition das Rentenpaket verabschiedet, deswegen geht die Welt nicht unter; nicht einmal Deutschland. Unter die Räder kommt aber der Anspruch an gute Politik, in der Gegenwart die Zukunft zu bedenken. Und die Kanzlerin Merkel bleibt hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, eine ambitionierte Reformpolitikerin zu sein.
Denn das sündhaft teure und rückwärtsgewandte Rentenpaket ist vor allem Merkels Rentenpaket. Die Verständigung zwischen Union und SPD zur Altersversorgung war ein zentraler Kompromiss der Koalitionsverhandlungen. Die Entscheidung, mit der Rente ab 63 und der Mütterrente zwei konkurrierende Konzepte einfach zu addieren, ebnete der SPD den Weg in die Regierung und garantierte Merkel den Erhalt des Kanzleramts.
Widersprüche beim Rentenpaket
Deshalb kann man die Kosten, die dafür im Gesetz stehen, wie ein Preisschild auf Merkels dritte Amtszeit kleben: 30 Milliarden Euro bis zur Wahl 2017, zu entrichten - und das ist das eigentliche Ärgernis - von denen, die heute arbeiten und Beiträge zahlen, und denen im Wahlkampf manches in Aussicht gestellt wurde, die aber von dieser Regierung Merkel noch nichts bekommen haben.
Rente mit 63 und Ausweitung der Mütterrente widersprechen dem, was Merkel sozialpolitisch einst vertreten hat. Beides passt nicht einmal in das Bild, das sie von sich selbst wünscht: Eine Kanzlerin, die das Land mit Bedacht und verlässlich auf Kurs hält. Bedacht haben mag sie vieles. Verlässlich ist an dieser Stelle nichts.
Der Kritik an der Mütterrente begegnet Merkel stets mit gespieltem Erstaunen: War doch im Wahlkampf versprochen! Das stimmt, wäre aber nur ein Argument, wenn Merkel anderes, was im Wahlkampf verheißen wurde, auch umsetzte. Die steuerliche Besserstellung von Familien? Fehlanzeige. Bekämpfung der kalten Progression? Abgeblasen.
Dem Vorwurf, die Rentenpolitik verstoße gegen die Generationengerechtigkeit, stellt Merkel den schuldenfreien Haushalt entgegen. Es sei gut für die junge Generation, sagte sie jüngst, "wenn wir mit dem auskommen, was wir einnehmen". Klingt vernünftig, stimmt nur nicht. Denn die Regierung kommt ja gerade nicht damit aus. Sie holt sich das Geld woanders, für Mütterrente und Rente mit 63 zum Beispiel aus der Rentenkasse - und das Gesetz, das eine Beitragssenkung erzwungen hätte, wird kassiert. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Die Erweiterung der Mütterrente sei gerecht, sagt Merkel, weil junge Mütter heute Beruf und Familie besser vereinbaren könnten, als ihre Mütter es konnten. Die Rentenkasse und der Haushalt zusammen werden nicht ausreichen, wenn die Kanzlerin künftig jeden gesellschaftlichen Fortschritt mit einer Nachzahlung an jene verbinden will, die davon früher nicht profitieren konnten.
Merkel konterkariert eigene Rentenreform
Und ob die Rechnung überhaupt stimmt, angesichts der höheren Beiträge, die junge Mütter heute zahlen, und der niedrigeren Renten, die sie bekommen werden, ist zweifelhaft. Befremdlich ist es auch, dass ausgerechnet eine Kanzlerin, die sonst die Vereinbarkeit von Beruf und Familie propagiert, den jungen Müttern nun ein schlechtes Gewissen einreden will.
Merkel ist einst mit großen Vorsätzen angetreten und hat dann stark nachgelassen. Sie hat immerhin eine Gesundheitsreform zustande gebracht, die besser ist als ihr Ruf. Dass sie hingegen an einer großen Pflegereform schon zweimal scheiterte, hat sie jüngst selbst zugegeben. Von einer Steuerreform ist nach neun Jahren Merkel keine Rede mehr. Und die Kernideen ihrer Rentenreform von 2006, längere Arbeitszeit und nachhaltige Finanzierung, konterkariert sie 2014 höchstselbst.
Dass Merkel und Nahles dabei Gesellinnen wurden, ist eine hübsche Ironie der Geschichte. Obwohl sie als Generalsekretärin einen der schlechtesten Wahlkämpfe organisierte, den die SPD je geführt hat, durfte Nahles ins Kabinett. Dort will sie nun möglichst viel von der Politik umsetzen, für die ihre SPD bei der Wahl vorne und hinten keine Mehrheit bekam. Und die Wahlsiegerin hilft ihr dabei.