Renten:Mathematik aus der Landschule

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Wie lange soll man arbeiten? Bis 67, 69 oder gar bis 73, wie das Institut der deutschen Wirtschaft erwägt? Die Frage danach löst regelmäßig Konflikte aus. Weil hier so viele legitime Interessen gegeneinander antreten.

Von Detlef Esslinger

Wer von Beruf Ökonom ist und sich richtig unbeliebt machen will, dem steht eine einfache, garantiert funktionierende Methode zur Verfügung. Man klinke sich in die Rentendebatte ein und fordere eine längere Lebensarbeitszeit; vor allem aber: Man konkretisiere sie gleich. Wem verlieh der SPD-Vorsitzende neulich das Prädikat "bekloppte Idee"? Den Bundesbankern, die eine Rente mit 69 gefordert hatten. Wem wurde auch von Forschern vorgeworfen, ein "Schreckensbild" zu entwerfen? Dem Institut der deutschen Wirtschaft, das über Arbeiten sogar bis ins 73. Jahr nachgedacht hatte.

Wenig innenpolitische Themen bergen so viel Potenzial für Konflikte und Emotionen wie die Rente. Erstens geht es um Geld, zweitens um Geld für eine ziemlich große und immer größer werdende Gruppe, und drittens ist dies eine Gruppe, die kaum Chancen hat, ihr Einkommen selber zu bestimmen. Sondern sie ist den Entscheidungen Anderer ausgeliefert - und das bis zum Ende des Lebens.

Wer fremdbestimmt ist, fühlt sich selten gerecht behandelt. Das ändert aber nichts daran, dass der Rentenkonflikt in der Sache ein ganz normaler Interessenkonflikt ist. Seine Brisanz erhält er dadurch, dass künftig weniger Erwerbsfähige mit mehr Rentnern als heute einhergehen - die noch dazu länger leben als die Rentner von früher. Es geht hier um ein mathematisches und nicht um ein ideologisches Problem; weshalb es zu wenig führt, außer zu vergifteter Atmosphäre, wenn man bei den Vertretern gegnerischer Interessen nur "Scheinargumente" sieht, wie es die Gewerkschaften derzeit mit Vorliebe tun. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Gesunde und Kranke, Alte und Junge: Keiner ist hier per se im Recht oder im Unrecht.

Weltanschauung? Darum geht es nicht - nur um Plus und Minus

Dann lieber mit offenem Visier, so wie jetzt Verdi-Chef Frank Bsirske, der sagt, man werde an höheren Beiträgen überhaupt nicht vorbeikommen. "Das Ziel der Beitragsstabilität muss wieder ersetzt werden durch das Ziel der Lebensstandardsicherung." Ein Gewerkschaftschef kann nur so argumentieren - er wird bezahlt von Mitgliedern, die ganz überwiegend in der zweiten Lebenshälfte sind, die also ein Interesse an möglichst hohen Renten haben. Was Bsirske versucht: die anteilsmäßige Belastung bei der Finanzierung des Systems zu verschieben. Er will den Jungen mehr und den Alten weniger zumuten.

Es reichen aber der Mathe- und der Gemeinschaftskundeunterricht aus der Eifeler Landschule, um zu kapieren, dass es so nicht laufen wird. So viel Geld kann man den Jungen gar nicht wegnehmen, dass sich davon der Lebensstandard der Älteren sichern ließe. Das Ergebnis wäre: Erbitterung bei den einen, kaum mehr Zufriedenheit bei den anderen.

Wie auch sonst in der Politik gibt es nicht den einen ausreichenden Schritt. Auf das Bündel kommt es an: die gesetzliche Rente stabil halten, Erwerbsminderungsrenten erhöhen, Betriebsrenten und ebenso die private Vorsorge ausbauen. (Letzteres werden die Leute umso lieber tun, je sicherer sie sind, dass ihre Verträge vor allem ihren Lebensstandard sichern, und nicht nur den ihrer Versicherungsmakler.) Und die Arbeitgeber, denen immer sehr schnell eine Steuervergünstigung bei Betriebsrenten einfällt - die werden hoffentlich endlich kreativ beim Nachdenken darüber, wie sie ihre älteren Arbeitnehmer tatsächlich bis zur Altersgrenze im Geschäft halten können.

Und wo liegt die? Bei 67, oder dereinst tatsächlich bei 69 oder 73? Die derzeitigen Kalkulationen werden bis 2030 eingehalten, danach geht's ins unbekannte Gelände. Bundesbanker müssen sich keinen Wahlen stellen, anders als Politiker und Gewerkschafter. Sie können es sich leisten, Zahlen in den Raum zu werfen, die andere als bekloppte Idee bezeichnen müssen.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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