Süddeutsche Zeitung

Rente:Wer soll das bezahlen?

Das Konzept von Sozialministerin Andrea Nahles enthält einige richtige, ja überfällige Ideen. Doch dann fällt ihr noch ein, ein Rentenniveau von 46 Prozent garantieren zu wollen. Das würde viel zu teuer werden - und zudem das Problem der Altersarmut nicht einmal lösen.

Von Thomas Öchsner

Wenn es darum geht, ihre Hausaufgaben zu machen, ist Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles eine Einser-Schülerin. Erst hat sie es gewagt, mit einer Prognose über das Jahr 2030 hinaus einen Blick in die düstere Zeit der Rentenversicherung zu werfen. Nun hat sie als erste Ministerin seit den Rentenreformen vor etwa 15 Jahren ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgelegt, das dem Sprengstoff-Thema Altersarmut nicht aus dem Weg geht. Nahles präsentiert darin einen Tag nach dem Koalitionsgipfel zur Rente einige gute Ideen. Aber auch ein Milliardenversprechen, mit dem der Wahlkampf eingeläutet wird.

Der Gipfel hat gezeigt: Auch wenn es zwischen Schwarz und Rot knirscht, geht bei der Rente doch noch was, zumindest ein bisschen. Endlich haben sich Union und SPD darauf verständigt, Ost- und Westrenten anzugleichen. Es wäre richtig, wenn dafür die Steuerzahler aufkommen müssten. Die deutsche Einheit bei der Alterssicherung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die man nicht allein den Beitragszahlern aufbürden darf.

Noch wichtiger ist der zweite Gipfelbeschluss, von dem jeder Arbeitnehmer im Ernstfall profitieren kann: Rentner mit einer Erwerbsminderung, die etwa wegen einer Krankheit vorzeitig mit dem Arbeiten aufhören mussten, werden bessergestellt. Viele von ihnen rutschen derzeit in die Armut. Es ist deshalb ein echter Fortschritt, dass zumindest all diejenigen, denen künftig Erwerbsminderung und damit die Armut droht, etwas mehr Geld bekommen.

Zu mehr hat es beim Rentengipfel leider nicht gereicht. Die Arbeitsministerin versucht nun, mit ihrem Rentenkonzept diese Lücke zu füllen. Dazu gehört, Selbständige zu verpflichten, sich im Alter besser abzusichern. Außerdem denkt sie an ein günstiges Angebot für die Riester-Rente, das alle Sparer unkompliziert nutzen können. Zumindest diese beiden Vorschläge könnten eine Art Arbeitsgrundlage für die nächste Koalition werden.

Frühere Selbständige zum Beispiel sind bereits heute überproportional häufig im Alter auf Hilfe vom Staat angewiesen. Es ist daher nur angebracht, diejenigen, die freiwillig nichts für später zurücklegen, dazu zu zwingen. Und bei der Riester-Rente ist schon viel zu lange nichts geschehen, weil sie in den allermeisten Fällen ihren Hauptzweck nicht erfüllt. Sie reicht nicht, um so wie einst gewünscht das sinkende Rentenniveau auszugleichen. Die private Zusatzvorsorge ist oft teuer und für viele so kompliziert, dass die allermeisten Sparer es nicht einmal schaffen, die staatlichen Zulagen in voller Höhe abzuschöpfen.

Nahles hat auch recht, wenn sie eine neue langfristige Haltelinie beim Rentenniveau und bei den Beitragssätzen fordert. Wer das Rentenniveau ins Bodenlose fallen lässt, untergräbt die Legitimation der Rentenversicherung. Steigen die Beiträge in zehn, 20 Jahren immer höher, überfordert dies die jüngere Generation. Jedoch ist die Ministerin übers Ziel hinausgeschossen. Man kann darüber reden, die gesetzliche Haltelinie von mindestens 43 Prozent des Durchschnittslohns über 2030 hinaus zu stabilisieren. Die 46 Prozent, die Nahles anpeilt, werden allerdings viel zu teuer. Kein Bundesfinanzminister kann die dafür fälligen vielen Milliarden bereitstellen, erst recht nicht, falls es mit der Konjunktur und den Jobs mal wieder abwärts gehen sollte. Auch hilft es wenig, auf diese Weise das Geld mit der Gießkanne über alle Rentner zu verteilen. Auch ein höheres Rentenniveau wird Arbeitnehmern mit großen Lücken in ihrer Erwerbsbiografie nicht den Weg zum Sozialamt ersparen.

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SZ vom 26.11.2016
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