Olaf Scholz kennt das schon, das Reizthema poppt immer wieder auf, wenn er sich den Fragen von Bürgern stellt. Die kommen mal mit Unverständnis im Unterton, mal mit Empörung. So auch im Mai in Potsdam. Wann werden die Beamten endlich in die Sozialversicherung einbezogen, wollte da ein Bürger von ihm wissen. Wann zahlten sie etwa Rentenbeiträge wie andere Beschäftigte auch – und bekämen später eine Rente statt einer oft stattlichen Beamtenpension? „Das treibt viele um“, räumte der Kanzler ein – verteidigte dann aber dieses Vorrecht deutscher Staatsdiener. Das Modell habe dazu beigetragen, „dass wir einen ziemlich korruptionsfreien Staat haben“, sagte Scholz. Wenn man die Beamten in die Sozialversicherung hole, so wäre dies „über viele Jahrzehnte eine finanzielle und fiskalische Katastrophe“. Scholz hält an den Sonderregeln für Beamte fest, obwohl es dafür durchaus Alternativen gäbe.
Bisher dreht sich die Debatte in der Altersvorsorge vor allem darum, wer die Renten für die wachsende Zahl an Ruheständlern finanzieren soll. In diesem Jahr überweist der Bund für Renten und zugehörige Sonderleistungen, etwa wegen Kindererziehungszeiten, gut 110 Milliarden Euro an die Rentenversicherung. Dieser Zuschuss und die Beitragssätze für die Rente dürften in den kommenden Jahrzehnten deutlich steigen. Die Bundesregierung will mit dem geplanten Rentenpaket II, das nach der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden soll, die Lasten hierfür vor allem den jüngeren Generationen auf die Schultern laden. Viel weniger beachtet werden hingegen die Ausgaben für die ehemaligen Staatsdiener. Auch diese nehmen zu, allein im Jahr 2022 zahlten Bund, Länder und Gemeinden für die etwa 1,4 Millionen Pensionäre 53,4 Milliarden Euro.
Der Unmut entzündet sich vor allem an der Höhe der Pensionen, dem „Ruhegehalt“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Pensionierte Beamte und Bundesrichter erhielten vergangenes Jahr im Schnitt monatlich brutto 2630 Euro. Um eine gleich hohe Rente zu bekommen, müsste ein Arbeitnehmer mit Durchschnittsgehalt laut Bundesregierung 73 Jahre lang arbeiten. Nimmt man die Pensionäre von Kommunen und Ländern hinzu, zu denen ehemalige Lehrkräfte und Professoren zählen, so sind es durchschnittlich sogar 3240 Euro brutto im Monat. Man kann solche Zahlenspiele noch weiter treiben. So haben Beamte nach fünf Jahren Staatsdienst im Alter Anspruch auf eine Mindestpension, bei Bundesbeamten sind dies, so das Innenministerium, brutto rund 2063 Euro, wer Familie hat, kommt auf bis zu 2173 Euro. Zum Vergleich: Nach mindestens 45 Versicherungsjahren erreichen gewöhnliche Beschäftigte im Schnitt eine monatliche Rente von rund 1792 Euro. Die Pension richtet sich nach dem Einkommen der letzten zwei Dienstjahre, nach 40 Jahren zahlt der Bund seinen Staatsdienern fast 72 Prozent dieses Solds, bei Beschäftigten dagegen ersetzt die Rente im Schnitt nur etwa 42 Prozent des letzten Arbeitseinkommens. Kann dies gerecht sein?
„Man sollte an die Höhe der Pensionen herangehen.“
Solche Vergleiche sind allerdings unfair, das betont nicht nur die Bundesregierung, das unterstreichen auch Fachleute. Die Regeln für Pensionäre sind in vielerlei Hinsicht anders als für Rentner. Sie müssen zum Beispiel ihr Ruhegehalt voll versteuern und in der Regel 30 Prozent ihrer Kranken- und Pflegeversicherung tragen. Beamte bringen im Schnitt eine höhere Qualifikation mit als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und die Pension ersetzt nicht nur die Rente, sondern auch die Betriebsrente, die bei vielen Beschäftigten zur gesetzlichen Rente hinzukommt. Wie hoch die Betriebsrenten sind, dazu gibt es keine Daten, auch das erschwert den Vergleich mit Pensionen.
Andererseits: Rentnerinnen und Rentner müssen noch höhere Sozialversicherungssätze stemmen, die Hälfte zur Kranken - und den vollen Anteil zur Pflegeversicherung. Und nur etwa die Hälfte der Beschäftigten außerhalb des Staatsdienstes kann auf eine Betriebsrente bauen. Es geht allerdings nicht ums Geld allein. Von Beamten, darauf spielte Olaf Scholz an, verlangt der Staat eine besondere Loyalität und Gesetzestreue. Wer gegen Vorschriften verstößt, kann seine Pensionsansprüche verlieren. Und Beamte dürfen nicht streiken. Doch rechtfertigt das eine unter dem Strich deutlich bessere Altersversorgung?
„Der direkte Vergleich zwischen Renten und Pensionen ist schwierig wegen der großen Systemunterschiede“, sagt der Rentenexperte Martin Werding. Der Staat müsse im Wettbewerb um kluge Köpfe konkurrenzfähig sein mit Unternehmen, hier zähle das Gesamtpaket aus Besoldung und Versorgung im Ruhestand. „Dennoch sollte man an die Höhe der Pensionen herangehen“, sagt Werding, der Professor für Sozialpolitik an der Ruhr-Universität Bochum und damit selbst Beamter ist.
Den eigenen Staatsdienern die Pensionen kürzen? Der Gedanke ist offenbar so heiß, dass kaum jemand aus Bund und Ländern sich damit vorwagen will. Politiker würden sich so mit fast 1,8 Millionen Beamten und Richtern sowie deren gut organisierter Lobby anlegen. Der Bund hat ohnehin kaum Handlungsdruck. Weil die Mitarbeiter der einstigen Bundespost und Bundesbahn nach der Privatisierung Mitte der 90er-Jahre nicht mehr verbeamtet wurden, werden dessen Pensionslasten sogar leichter. Mit höheren Kosten müssen vor allem die Bundesländer rechnen.
Änderungen müssten allerdings mit breiter Mehrheit vorgenommen werden, das Grundgesetz und einschlägige Urteile sichern den Staatsdienern eine angemessene Versorgung zu. Wer hier spürbar eingreifen will, müsste eine Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen zustande bringen.
Auf SZ-Anfrage will sich kein Politiker zum Thema niedrigere Pensionen äußern
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sieht immerhin Handlungsbedarf. „Der demografische Wandel wird absehbar zu einem Kostenanstieg sämtlicher Alterssicherungssysteme führen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Man werde nicht um eine ehrliche Debatte herumkommen, wie man steigende Beitragssätze für Arbeitnehmer und für Unternehmen abwenden könne. „Dazu gehört auch der Vorschlag, die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung zu koppeln. Und zwar für diejenigen Berufe, bei denen es körperlich zumutbar ist, unabhängig von der Frage, ob Angestellter oder Beamter.“ Nach geltendem Recht steigt die Altersgrenze für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als auch für Beamte schrittweise auf 67 Jahre, mit Ausnahmen in wenigen Bundesländern. Diese Altersgrenze könnte man weiter anheben. Zu niedrigeren Pensionen will aber auch Bayaz lieber nichts sagen – so wie weitere Politikerinnen und Politiker, welche die SZ anfragte.
Hinzu kommt: Beamte sind für den Staat zunächst günstiger. Der Staat muss für sie keine Beiträge zur Sozialversicherung zahlen – und die Pensionen für neu eingestellte Beamte werden erst Jahrzehnte später fällig und müssen dann vor allem aus dem laufenden Staatshaushalt getragen werden. Die Lasten werden so auf künftige Generationen verschoben.
Dasselbe gilt allerdings auch für die populäre Forderung, die Beamten einfach in die gesetzliche Rentenkasse einzugliedern. Die Beamten würden mit ihren Beiträgen zwar zunächst die Rentenkasse füllen. Sie würden jedoch auch Ansprüche erwerben, die Rentenversicherung müsste später umso mehr auszahlen. Und das länger als bei den anderen Rentnern: Beamte leben im Schnitt zwei Jahre länger als gewöhnliche Beschäftigte, die Tätigkeit im Finanzamt oder Hörsaal scheint der Gesundheit zuträglicher zu sein als das Dasein als Dachdecker, Fernfahrer oder Chemiearbeiter. Zudem müsste der Staat zusätzlich zu den laufenden Pensionen jahrzehntelang die Rentenversicherungsbeiträge seiner Staatsdiener bezahlen. Das dürfte Kanzler Scholz meinen, wenn er durch solche Pläne eine „finanzielle und fiskalische Katastrophe“ heraufdämmern sieht.
Modelle, wie man Beamte in eine Rentenversicherung eingliedert und die Kosten senkt, gibt es durchaus. Zum Beispiel in Österreich. Der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen berät und dem Werding angehört, hat das System des Nachbarlandes in seinem jüngsten Jahresgutachten empfohlen.
Die Österreicher haben vor 21 Jahren angefangen, deutlich weniger neue Beamte zu rekrutieren. „Das ist eine der stärksten Stellschrauben“, sagt Werding. „Lehrer und Hochschullehrer muss man nicht verbeamten.“ Man könne sich auf Polizei, Justiz, Finanzämter und ähnliche Aufgaben beschränken, die anderen Staatsdiener würden fortan angestellt wie andere Beschäftigte auch.
Wenig später führte Österreich schrittweise die Rente für Beamte ein. Ältere Beamte behielten ihre „Ruhegenüsse“ in voller Höhe, Beamte mittleren Alters nur zum Teil, jüngere Beamte zahlten fortan in eine eigene Rentenkasse, aus der bereits laufende Pensionen mit finanziert werden. Zusätzlich zur Rente könnten die Staatsdiener in Deutschland eine Zusatzversorgung erhalten, also eine Art Betriebsrente. Deren Höhe ließe sich politisch gestalten, also abschmelzen im Vergleich zu den heutigen Pensionen. „Man könnte etwa überlegen, ob man den Beamtensold erhöht, um qualifiziertes Personal anwerben zu können – und dafür die Zusatzversorgung absenkt“, sagt Werding. „Das österreichische Modell lässt sich kostenneutral für den Staat umsetzen.“ Ohne die finanzielle Katastrophe, vor der Olaf Scholz die Bürger warnt.