Rente mit 67:Und raus bist du

Wer Alte früh in Rente schickt, schafft nicht zwangsläufig Arbeit für Junge. Eine dynamische Volkswirtschaft hat genug Arbeit für Alle. Doch in Wahljahren tut sich die Politik schwer mit Sozialreformen.

Marc Beise

Die Krise schleift in Deutschland viele Gewissheiten. Eine neue Politik sei nötig, ist häufig zu hören, die Frage von Wirtschaftsreformen stelle sich anders als früher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Ruf nach Revision auch die Rentenpolitik erreichte - den einzigen Bereich aus dem großen Paket der Sozialversicherung, der in den vergangenen Jahren überhaupt einigermaßen konsistent verändert worden ist.

Rente mit 67: Die Jungen sollten die Alten nicht nur als Last sehen. Im Gegenteil, sie sind vor allem eine Chance.

Die Jungen sollten die Alten nicht nur als Last sehen. Im Gegenteil, sie sind vor allem eine Chance.

(Foto: Foto: ddp)

Dabei ist der Reformbedarf offensichtlich in einer Gesellschaft mit immer weniger aktiven Arbeitnehmern, aber immer mehr älteren Empfängern. In einer Gesellschaft, die obendrein nicht mehr mit steilem Wachstum gesegnet ist wie die junge Bundesrepublik zu Zeiten des Wirtschaftwunders, sondern immer weniger zu verteilen hat als früher. Entsprechend schwieriger ist es, die Sozialsysteme, so wie sie heute sind, finanzierbar zu halten. Damit tut sich die Politik - zumal in Wahljahren - erkennbar schwer, und bei der Rente ist das ganz besonders so.

Die schwarz-gelbe Koalition unter Helmut Kohl hatte das Thema seit den achtziger Jahren verschleppt. Eine Reform, die der sich verändernden Demographie Rechnung trug, kam erst in der Spätphase dieser Regierung zustande; sie wurde dann von Rot-Grün zunächst gestoppt, um unter Walter Riester (SPD) doch noch umgesetzt zu werden. Hinzu kam die politische Großtat ausgerechnet des Genossen Franz Müntefering, der als Minister der frisch installierten großen Koalition im Handstreichverfahren das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre heraufsetzte. Doch diese Reformen werden nun zurückgedreht, Stück für Stück.

Erst setzte der Deutsche Bundestag im Jahr 2008, bereits mit festem Blick auf die Wahlen 2009, den "Nachhaltigkeitsfaktor" aus. Die deutschen Rentnerinnen und Rentner erhalten in diesem Jahr eine kräftige Erhöhung ihrer Bezüge, mehr als dies nach der Rentenformel eigentlich der Fall sein dürfte. Dann garantierte der Gesetzgeber ausdrücklich das heutige Rentenniveau - weniger soll es niemals wieder werden. Und nun erheben sich Stimmen, welche die Verlängerung der Lebensarbeitszeit in Frage stellen.

Höhere Beiträge oder länger arbeiten

Das musste so kommen, weil diese einzige wirkliche Strukturreform der großen Koalition zwar im Bundesgesetzblatt, aber gar nicht in den Köpfen angekommen ist. Es ist ja auch ein Beschluss, dessen Folgen noch in weiter Zukunft liegen (die Verschiebung soll 2012 beginnen und 2029 abgeschlossen sein), und der nur begrenzte Dramatik bietet: Was sind schon zwei Jahre im heute beispiellos langen Leben der Menschen?

Zwei Gründe gab es für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Erstens die Finanzierbarkeit des Rentensystems: Hatte bis 1957 das Ansparmodell gegolten - die Beiträge fließen in eine Rentenkasse, Rücklagen werden gebildet - , so gilt seither, dass die arbeitende Generation die Ruhestandsgeneration unterhält.

Wenn aber die Zahl der Beitragszahler sinkt und die der Leistungsempfänger steigt, sind Änderungen zwingend. Entweder werden die Auszahlungen gesenkt - das aber gilt politisch als nicht durchsetzbar. Oder die Einzahlungen müssen erhöht werden - das kann durch Anhebung der Beitragssätze geschehen, was Arbeitnehmern weniger vom Lohn lässt und auch die Unternehmen belastet, die die Hälfte der Beiträge zahlen. Oder man verlängert eben die Lebensarbeitszeit. Die Gegner nennen das Sozialabbau, und sie haben durchaus recht, denn de facto ist es eine Rentenkürzung.

Der Arbeitsmarkt ist kein Kiosk

Das zweite Argument, besonders heute in der Krise, lautet: Wenn weniger Menschen gebraucht werden, nehmen damit die Alten den Jungen den Job weg. Dieses aber ist ein der ökonomischen Wirklichkeit widersprechendes statisches Argument, sagt Deutschlands bekanntester Rentenexperte, der Mannheimer Demographie-Forscher Axel Börsch-Supan: "Die Politik stellt sich den Arbeitsmarkt als einen kleinen Kiosk vor, in dem gerade mal zwei Menschen Platz haben", sagt er. Kommt ein Dritter hinzu, muss einer der beiden raus. Aber der Arbeitsmarkt hat keine starren Schranken. Eine dynamische Volkswirtschaft hat auch viele Arbeitsplätze zu bieten - für Junge und Alte.

Börsch-Supan kämpft dafür, die Alten nicht nur als Last zu sehen. Im Gegenteil, ist er überzeugt, sind sie vor allem eine Chance. Eine längere Lebensarbeitszeit entspricht der medizinischen Entwicklung. Die Alten mögen an Muskelkraft verlieren, aber sie gewinnen an Erfahrung. Börsch-Supan zitiert Studien, wonach die Produktivität eines Mitarbeiters unabhängig von seinem Alter relativ stabil bleibt. Und in Ländern, in denen viele Menschen in Frührente geschickt werden, sei die Jugendarbeitslosigkeit nicht automatisch niedrig.

Dabei muss man auch die Beschäftigung der Älteren gar nicht starr denken. Sie müssen ja nicht in ihrem Job bleiben. Natürlich muss ein Dachdecker, so das beliebte Beispiel der Politik, nicht noch mit 65 aufs Dach, aber könnte er nicht etwas anderes machen, wenn er denn wollte und gebraucht würde? In Japan zum Beispiel ist es üblich, dass Professoren im Alter von einer großen, wichtigen, an eine kleine, auf Ausbildung spezialisierte Universität wechseln.

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