Süddeutsche Zeitung

Rente mit 67:Die größte Leistung der großen Koalition

Die Menschen in den Industriestaaten werden immer älter. Sollen sie also mehr arbeiten oder länger den Ruhestand genießen? Die Rente mit 67 wählt einen guten Mittelweg.

Felix Berth

Allen Sozialdemokraten, die derzeit ihre Bedenken gegen die Rente mit 67 äußern, sollte man bei laufender Fernsehkamera eine Frage stellen: In welchem Jahr werden die ersten Deutschen pflichtgemäß erst im Alter von 67 Jahren in Rente gehen? Einige von ihnen würden wohl stammeln und erröten, weil sie das Datum nicht kennen. Und die anderen würden stammeln und erröten, weil sie das Datum kennen, aber nicht laut sagen wollen: Es wird im Jahr 2031 sein. Bis dahin vergehen noch gut zwanzig Jahre.

Deshalb ist es perfide, wenn Gewerkschaften, Altenvertreter und populistische Politiker den Eindruck erwecken, schon übermorgen müssten Maurer, Lackierer und Friseure länger malochen. Das stimmt nicht. Die Reform wirkt zwar ab 2012 - aber sie kommt in sehr kleinen Schritten daher. Der Jahrgang 1947 muss einen Monat länger arbeiten, der Jahrgang 1948 zwei Monate länger - und so weiter. Die erste echte Rente mit 67 erwischt den Jahrgang 1964 - die Betroffenen sind heute 46 Jahre alt. (Nicht einmal der in der SPD vergleichsweise junge Sigmar Gabriel muss bis zum 67.Geburtstag durchhalten. Er darf laut Gesetz mit 66 Jahren und zwei Monaten aufhören.)

Gerade wegen dieser langfristigen Konstruktion zählt die Reform zu den größten Leistungen der großen Koalition. Endlich einmal plante eine Regierung nicht nur bis zum nächsten Wahltag, sondern nahm Rücksicht auf einen seit langem erkennbaren Trend: Die Menschen in den Industriestaaten werden immer älter. Und zwar in hohem Tempo. Pro Geburtsjahr kommen drei Lebensmonate hinzu. Das heißt: Wer 1965 geboren ist, lebt im Schnitt zweieinhalb Jahre länger als einer, der im Jahr 1955 zur Welt kam.

Wer diese Realität nicht verleugnet, muss überlegen, was in den gewonnenen Jahren geschieht. Sollen die Menschen mehr arbeiten oder länger den Ruhestand genießen? Die Rente mit 67 wählt einen guten Mittelweg. Natürlich ist der Einwand richtig, dass die heutige Arbeitswelt für Ältere nur bedingt geeignet ist: zu viel Jugendwahn, zu viel Stress an den Schreibtischen, zu hohe körperliche Belastungen in den Fabrikhallen. Die Aufgabe der nächsten zwei Jahrzehnte wird es sein, daran etwas zu ändern. Die Firmen müssen sich darauf einstellen, dass ihre Belegschaften altern. Diese Ein- und Umstellung hat aber in den größeren Unternehmen inzwischen längst begonnen.

Falsch wäre es, den Einstieg in die Rente mit 67 zu verschieben, weil die Arbeitslosigkeit der Älteren relativ hoch ist. Es wäre ein Signal an die Unternehmen, dass sie sich vielleicht doch nicht an die Alterung der Gesellschaft anpassen müssen. Die entgegengesetzte Ansage ist nötig: Die Zeit der Frühverrentungen ist unwiderruflich vorbei; jetzt geht es darum, dass die heute Vierzigjährigen noch arbeitsfähig sind, wenn sie über sechzig sind. Die Arbeitswelt kann sich daran anpassen - wenn die Politik sie lässt. Ausreichend Zeit jedenfalls ist vorhanden.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2010/segi
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