AfD und Potsdamer Geheimtreffen:Strippenzieher der „Remigration“

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Im Landhaus Adlon in Potsdam fand im November 2023 das inzwischen berüchtigte "Remigrations"-Geheimtreffen statt. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die folgenreiche„Correctiv“-Recherche über ein Potsdamer Geheimtreffen von Rechtsextremisten und AfD-Politikern gibt es jetzt ausführlich erzählt als Buch. Es ist vor allem eine Warnung.

Rezension von Dominik Fürst

Das Landhaus Adlon ist eine imposante Villa im Stil des Neobarock, Baujahr 1925; sie liegt quasi direkt am Ufer des Lehnitzsees in Potsdam. Es ist natürlich nur ein Zufall, dass Teile der dritten Staffel von Babylon Berlin hier gedreht wurden, der Serie, die in den 1920er- und 30er-Jahren spielt und vom Zerfall der demokratischen Ordnung und dem Aufstieg des Faschismus erzählt. Die Kulisse macht ja auch was her.

Am 25. November 2023 trieb auf dem See vor dem Landhaus ein Saunaboot mit einem Fotografen an Bord. Er fotografierte die Teilnehmer eines Geheimtreffens hinter den Fenstern der erleuchteten Villa. Ihre Anwesenheit war damit belegt: Es handelte sich um AfD-Funktionäre und Rechtsextremisten, rechte Aktivisten und Identitäre, auch Mitglieder von CDU und Werteunion befanden sich darunter. Worüber sie sprachen, erfuhr die Öffentlichkeit knapp zwei Monate später, als das Recherchenetzwerk Correctiv mit dem Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ das Ergebnis seiner Recherchen öffentlich machte: Es ging an diesem Abend in Potsdam demnach um einen Masterplan zur „Remigration“, also der Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland – Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die nicht dem völkischen Ideal entsprechen, Menschen, die anders denken oder andere Wurzeln haben.

Die Recherche löste Schockwellen aus

Zu dieser Recherche, die solche Schockwellen auslöste, dass in ihrem Nachgang in etlichen deutschen Städten Millionen Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gingen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, hat der Correctiv-Reporter Marcus Bensmann nun ein Buch veröffentlicht, dass „die ungeheuerlichen Pläne der AfD“ ausführlicher beschreibt und dabei aufzeigen will, dass es sich bei dem Potsdamer Geheimtreffen nicht um etwas Beiläufiges handelte, sondern dass das wahre Gesicht der Partei zum Vorschein kam, die bei der Europawahl in Deutschland 15,9 Prozent der Stimmen erhielt und bei drei Landtagswahlen im Herbst vor weiteren Erfolgen steht. „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“: So heißt der Titel des Buchs, so lautet Bensmanns Botschaft.

Marcus Bensmann: Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD. Verlag Galiani Berlin, Berlin 2024. 256 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (Foto: Galiani-Berlin/Galiani-Berlin)

Zu dem Treffen im Landhaus Adlon hatte Gernot Mörig geladen, ein rechtsextremer Zahnarzt aus Düsseldorf, der zu Beginn der Veranstaltung das Thema gesetzt habe: Die einzige Frage, die die Teilnehmer zusammenführe, „sei die Frage nach der ’Remigration’, ’ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht’.“ Stargast und Gastredner war der Österreicher Martin Sellner, Autor rechtsextremer Sachbücher und Gesicht der Identitären Bewegung, der enge Kontakte nach Deutschland pflegt. Außerdem unter den Anwesenden: Roland Hartwig, AfD-Politiker und zum Zeitpunkt des Treffens die „rechte Hand“ von Parteichefin Alice Weidel. Wenige Tage nach Erscheinen des Correctiv-Artikels trennte sich Weidel von Hartwig, diese Maßnahme kann man dem Buch zufolge jedoch getrost als Augenwischerei betrachten. Die rechtsextreme Gesinnung, die Wahnvorstellung eines reinen Volkskörpers, dem man das Fremde entfernen müsse, wurzelt Bensmann zufolge in der AfD viel tiefer: 24 Jahre nach der Wiedervereinigung habe sich in Deutschland „rechts von der Union eine Partei in den Parlamenten etabliert, deren faktisches Hauptziel (...) der Erhalt einer ’ethnokulturellen Identität’, der völkischen Idealvorstellung eines Gemeinwesens ist, in dem eine ’autochthone Bevölkerung’ die Menschen mit migrantischem Hintergrund entweder zu ’Assimilierung’ zwingt oder zur ’Remigration’.“

Klare Haltung: Demonstranten beim AfD-Parteitag in Essen. (Foto: dpa)

Als Beweis für seine These dienen dem Autor immer wieder Aussagen zweier AfD-Politiker, die zwar nicht an dem Geheimtreffen teilgenommen haben, aber für genau jenen völkischen Geist stünden, den die Versammlung am Lehnitzsee geatmet habe: Maximilian Krah, in diverse Skandale verwickelter Spitzenkandidat der Partei bei der Europawahl, und Björn Höcke, Thüringer AfD-Chef und kürzlich zum zweiten Mal wegen des Verwendens einer SA-Parole vor Gericht für schuldig befunden. So habe Krah ein Buch geschrieben, das im rechtsextremen Antaios-Verlag herausgegeben wird, in dem er „25 Millionen Menschen in Deutschland zum Ärgernis erklärt“ (Bensmann) und Überlegungen über die Rechtmäßigkeit von Ausweisungen anstelle.

Überhöht der Autor Höcke und seine Rolle in der AfD?

Höcke betrachtet der Autor gar als mächtigsten Mann im Hintergrund: „In den 13 Jahren AfD wurde aus dem rechtsextremen Sonderling Höcke der zentrale Strippenzieher der Partei.“ Bensmann zeigt, wie die AfD von Vorsitzendem zu Vorsitzendem, von Lucke über Petry bis zu Meuthen, immer ein paar Meter weiter nach rechts gerückt sei, und er führt dieses Abdriften auf den Einfluss Höckes und seines (offiziell aufgelösten) rechten Flügels zurück. Auch wenn die Argumentation stringent ist, wäre die Frage zu diskutieren, ob der Autor Höcke und seine Rolle in der AfD damit nicht überhöht. An Höckes wahrer Gesinnung wiederum kann nach wiederholten Entgleisungen kein Zweifel mehr bestehen. Bensmann zitiert aus einem Schriftsatz im längst eingestellten Parteiausschlussverfahren, in dem unter anderem von einer „Wesensverwandtschaft mit den Reden des Nationalsozialismus“ die Rede ist: „Es liest sich, als werde Höcke vom AfD-Vorstand als Nazi entlarvt.“

Im Dezember 2023 sagt Höcke dann bei einer Rede in Gera: „Wir werden auch ohne Probleme mit 20-30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können.“ Soll mit solchen Thesen den Remigrationsplänen einer zukünftigen rechtsextremen Bundesregierung der Boden bereitet werden? Das ist jedenfalls die eindringliche Warnung des Correctiv-Reporters Bensmann. Sein Buch ist eine investigative Glanzleistung, einerseits, aber auch eine kleine Geschichte der AfD und ihrer Radikalisierung, die einer sehr spitzen These folgt und keine wohlwollenden Zwischentöne in der Betrachtung der Partei mehr zulässt. Man kann nach Lektüre des Buchs aber zu dem Schluss kommen: zu Recht.

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