Religion:"Wir könnten gut auf die Kreuze im Gericht verzichten"

Kreuz vor Gericht

Ein Kreuz an der Wand eines Gerichtssaales im Amtsgericht München

(Foto: Claus Schunk)

Es wird heftig diskutiert, ob eine muslimische Richterin Kopftuch tragen darf. Doch was ist dann mit dem Kreuz im Gerichtsaal? Fragen an Walter Groß vom Bayerischen Richterverein.

Interview: Markus C. Schulte von Drach

Das Augsburger Verwaltungsgericht hat Ende Juni das Kopftuchverbot für muslimische Frauen an Gerichten in Bayern für unzulässig erklärt. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) setzt allerdings darauf, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München diesem Urteil widerspricht. Aber wenn ein Kopftuch als religiöses Symbol im Gericht nicht zulässig sein soll, was ist dann mit Kreuzen in Gerichtssälen?

Fragen an Walter Groß, Landesvorsitzender des Bayerischen Richtervereins, Mitglied im Bundesvorstand des deutschen Richterbundes und Direktor des Amtsgerichts Fürth.

SZ.de: Eine Muslimin mit Kopftuch als Richterin oder Staatsanwältin könnte Zweifel an der Unabhängigkeit oder Neutralität des Gerichts aufkommen lassen, sagt Bayerns Justizminister. Aber in etlichen Gerichten hängen Kreuze, also Symbole des christlichen Glaubens. Müssten die nicht auch verschwinden, wenn Kopftücher verboten werden?

Walter Groß: Die Rechtsprechung ist klar: Wenn jemand erklärt, er könne aus Gewissensgründen nicht in einem Sitzungssaal mit Kreuz verhandeln, hat er Anspruch darauf, dass es abgenommen wird.

Kommt das tatsächlich vor?

Gelegentlich. In der Rechtsprechung ist die Sache ausdiskutiert. Ist die Verhandlung mit dem Betroffenen beendet, kommt das Kreuz zurück an die Wand. Dieses Problem treibt die Gerichte derzeit nicht um.

Aber das könnte sich mit der Diskussion um eine Richterin mit Kopftuch ändern.

Das Thema wird uns beschäftigen müssen, weil sich in diesem Zusammenhang tatsächlich die Frage stellen wird, wie sich die geforderte und gewollte Neutralität des Staates mit der standardmäßigen Ausstattung eines Sitzungssaales mit Kreuz verträgt. Wenn die bayerische Staatsregierung den Verwaltungsrechtsstreit um das Kopftuch der Rechtsreferendarin verliert, wird man wahrscheinlich daran denken müssen, zu gesetzlichen Regelungen zu kommen.

Dann ist natürlich auch das Kreuz wieder in der Diskussion. Denn da ist schon ein Widerspruch: Wenn wir religiöse Symbolik auf den Köpfen von Richterinnen und Richtern untersagen möchten, dann müssten wohl wir konsequent sein und sagen, dass sie an den Wänden auch nichts zu suchen hat.

Wie wichtig ist den Menschen in Deutschland denn das Kreuz im Gericht?

Wir erleben in Bayern immer noch und vor allem in den ländlichen Bezirken eine starke christlich-abendländisch geprägte Tradition. Eide etwa werden meiner Erfahrung nach noch ganz überwiegend mit religiöser Beteuerung geleistet. Wenn es zur Diskussion über die Kreuze kommt, wird sie sicherlich sehr emotional geführt werden. Wir haben das mit den Kreuzen an Schulen erlebt.

Wie wichtig ist das Kreuz den Richtern?

Es lässt sich noch nicht vorhersehen, wie sich unser Verband und der Deutsche Richterbund positionieren werden. Wir haben ganz unterschiedlich geprägte Landesverbände. In den neuen Bundesländern ist es wohl eher selbstverständlich, dass Sitzungssäle nicht mit Kreuzen ausgestattet werden. Ich kann mir aber vorstellen, dass Sie auch Kolleginnen und Kollegen finden werden, denen das Kreuz als Symbol im Gerichtssaal wichtig ist.

Wie halten Sie es als Direktor des Amtsgerichts Fürth?

Ich persönlich hätte kein Problem damit, wenn in den Gerichtssälen keine Kreuze hingen. Darüber würde ich an meinem Gericht aber eine Diskussion führen, mich mit der Personalvertretung der Richter, also dem Richterrat, und auch dem Personalrat besprechen. Eine Entscheidung würde ich am liebsten im Konsens treffen. Wenn auf eine gewisse Symbolik nicht verzichtet werden soll, könnte auch daran gedacht werden, zum Beispiel das Landeswappen aufzuhängen, oder eine Fahne. Außerdem müssen natürlich Kreuze zur Verfügung stehen, falls jemand darauf schwören möchte.

Seit im Amtsgericht und Verwaltungsgericht in Saarbrücken jüngst die Kreuze aus den Gerichtssälen entfernt wurden, denkt die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) darüber nach, Gerichte gesetzlich dazu zu verpflichten, Kreuze in einem Teil der Sitzungssäle zu belassen.

Dann müssen sie bleiben. In Bayern hat die Oberste Baubehörde im Innenministerium in den "Empfehlungen für den Bau von Justizgebäuden" festgelegt, dass Sitzungssäle mit einem abnehmbaren Kreuz auszustatten sind.

Als das Bundesverfassungsgericht 1973 einen Beschluss zu Kreuzen im Gericht gefasst hat, ging es nur um einen Einzelfall. Seitdem kann jeder Prozessteilnehmer fordern, dass ein Kreuz im Gerichtssaal abgehängt wird. Eine grundsätzliche Antwort auf die Frage nach der Neutralität wollten die Richter damals nicht geben.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet immer nur über den jeweiligen Fall. Allgemeingültige generelle Festlegungen lassen sich daraus oft nicht ableiten. Zu Kopftüchern bei Lehrerinnen wurde allerdings unlängst entschieden, sie könnten nicht generell verboten werden - außer wenn der Schulfrieden beeinträchtigt würde.

Aber wäre es nicht wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht einen klaren und grundsätzlichen Beschluss verfasst zur Frage, ob Gerichte religionsfreie Zonen sein sollten?

Was ist schon religionsfrei? Wir müssen uns unter Umständen schon mit religiösen Vorstellungen auseinandersetzen, wenn es bei Familienrechtsstreitigkeiten etwa in Fragen des Sorgerechts um das Thema religiöse Erziehung geht. So ganz bringen wir weltanschauliche Themen und Einstellungen aus einem Gerichtssaal nicht heraus.

Gerade in solchen Fällen könnte sich ein gläubiger Christ im Gericht besser aufgehoben fühlen, wenn dort ein Kreuz hängt. Als Atheist wäre wohl das Gegenteil der Fall. Das Kreuz steht dann konkret der Objektivität entgegen, die ich vom Gericht erwarte.

Diese Argumentation lässt sich gut hören. Was mich persönlich sehr interessieren würde, ist, ob das Bundesverfassungsgericht heute inhaltlich die gleiche Entscheidung noch einmal treffen würde wie 1973. Unsere Gesellschaft hat sich seitdem ja deutlich verändert. Wir leben unter ganz anderen Bedingungen; der gesellschaftliche Diskurs ist weiter.

Auch wenn die Frage nach den Kreuzen derzeit kein praktisches Problem des Gerichts ist, es ist ein Problem dieses gesellschaftlichen Diskurses. Es spricht einiges dafür, dass der Gesetzgeber irgendwann gefragt ist, um diese Streitfrage zu lösen. Ich persönlich glaube, wir könnten gut auf die Kreuze verzichten und werden es in Zukunft vielleicht auch müssen.

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