Religion:Weihnachten auf dem Nil

Karl-Josef Kuschel
Dass wir alle Kinder Abrahams sind ...
Helmut Schmidt begegnet Anwar as-Sadat. Ein Religionsgespräch auf dem Nil

Karl-Joseph Kuschel: „Dass wir alle Kinder Abrahams sind. . .“ Helmut Schmidt begegnet Anwar as-Sadat. Ein Religionsgespräch auf dem Nil. Patmos Verlag, Ostfildern 2018. 237 Seiten. 25 Euro.

Was Christen von Muslimen lernen können - über ein Gespräch zwischen Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat und Kanzler Helmut Schmidt im Jahr 1977.

Von Wolfgang Freund

Der ausschweifend geratene Titel spiegelt die innere Struktur des Buches wider. Es geht darin kaleidoskopartig zu, nicht unähnlich jenen TV-Krimis, wo anfangs langatmig lokale Sozialpsychologie und Ethnologie betrieben werden, ehe die häufig etwas übel zugerichtete Leiche und der zuständige Kommissar auf dem Bildschirm erscheinen. "Zur Sache, bitte!", möchte der Leser deshalb rufen, doch dann spürt er plötzlich die Fahrtrichtung. Christ und Muslim gehen aufeinander zu. Der Muslim als Lehrender, der Christ als Lernender. Kern des Ganzen: ein Religionsgespräch auf dem Nil, nahezu eine ganze Nacht über, zwischen Helmut Schmidt und Anwar as-Sadat, anlässlich des Kanzlers Staatsbesuches in Ägypten vom 27. bis 29. Dezember 1977. Wenige Wochen zuvor hatte Sadat seine Jerusalem-Show abgezogen und war weltweit als nahöstlicher Friedensengel im Gespräch.

Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel (Tübingen) rankt um das Ganze viel Zeitgeschichte und Theologie. Eine "Islam-Schnulze", oder steckt mehr zwischen den 237 Seiten? Der Leser muss entscheiden. Das Buch versteht sich als "Festschrift" zum 100. Geburtstag, den Helmut Schmidt und Anwar as-Sadat am 23. (Schmidt) bzw. 25. Dezember (Sadat) 2018 gemeinsam feiern würden, wären sie noch am Leben: eine echte "Weihnachtsgeschichte".

Helmut Schmidt: der vielleicht klügste und gewissenhafteste Bundeskanzler, den Deutschland bislang hatte, war ein kühler Hanseat, geprägt von protestantisch gesteuerter Aufklärung und viel innerweltlicher Ethik. Das nächtliche Nildampfergespräch mit Freund Sadat eröffnete ihm neue Religionsperspektiven, die sich in seinen späteren politischen Bekenntnissen deutlich niederschlugen: Aussöhnung zwischen Judentum, Christentum und Islam als tragende Pfeiler einer Gesamtbefriedung des Vorderen Orients. Eine schöne Idee, aber auch 40 Jahre später wohl eher Wunschdenken.

Und Anwar as-Sadat: internationaler Staatsmann mit einer ökumenisch getragenen Vision oder Epigone eines größenwahnsinnigen, dreitausend Jahre zurückliegenden Pharaonentums, gezeichnet von total-totalitärer Herrschaftspraxis wie Polizeistaat und absolutistischer Machtausübung? Hunderte von anzüglichen Sadat-Witzen geisterten damals durch Ägyptens Basare und Kaffeebuden. Deren Pointe lief letztlich immer auf denselben Knotenpunkt hinaus: Sadats Charisma war in seiner Heimat durchgehend nahe null. Die Korruption der oberen "fetten Katzen" (Kairo-Slang) wurde unter Sadat schlimmer als je zuvor. Das "gesunde Volksempfinden" nahm angesichts des weiter wuchernden Massenelends Sadats spirituelle Höhenflüge niemals ernst, nur "wir im Westen", zusammen mit den Israelis, vergötterten ihn.

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