Süddeutsche Zeitung

Religion:Warum weder Kreuz noch Kopftuch ins Gericht gehören

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Richter, die religiöse Kleidungsvorschriften oder Symbole für wichtiger halten als die Demonstration religiöser Neutralität, setzen falsche Prioritäten.

Kommentar von Markus C. Schulte von Drach

Wer vor Gericht nach Gerechtigkeit sucht, sucht manchmal vergebens. Trotzdem gibt es berechtigte Hoffnung, dass Verbrechen dort wirklich aufgeklärt und angemessen geahndet oder Streitfälle vernünftig geschlichtet werden.

Zwar können unsere Gesetze von den Parlamenten gekippt, neu gemacht und von Richtern in ihrem Sinne interpretiert werden. Doch unsere Gesellschaft stellt hohe Ansprüche an die Justiz, die unmenschlichen Urteilen und Willkür entgegenwirken: Die Rechtsprechung muss politisch, ideologisch und religiös neutral sein. Sie soll gewährleisten, dass niemand in seiner Würde verletzt wird und die Menschenrechte berücksichtigt werden.

Gerade Religionen spielen hier eine heikle Rolle, denn mit ihnen ziehen Kategorien in die Gerichtssäle ein, die hier nichts verloren haben. Religionen wollen ja nicht nur Antworten auf die großen Fragen wie den Sinn des Lebens bieten. Sie beanspruchen auch ein Wissen darüber, was in den Augen ihrer Götter richtig und falsch, moralisch und unmoralisch ist. Nachzulesen in den Heiligen Bücher. Und diese göttlichen Regeln und Gesetze beruhen auf Offenbarungen, nicht auf sozialwissenschaftlichen, psychologischen oder sonstigen Erkenntnissen.

Die Justiz in Deutschland berücksichtigt dagegen solche Erkenntnisse schon lang. Sie versucht zumindest zu verstehen, welche entsprechenden Faktoren bei einem Verbrechen eine Rolle spielen, und in welchem Geisteszustand die Täter sich befanden. Archaische Ansichten wie die eines Staatsanwalts, der in einer Mutter, die mehrere ihrer Neugeborenen getötet hat, "das Böse" sieht, werden immer seltener.

Zum Glück. Denn Kategorien wie "das Böse" haben vor Gericht absolut nichts verloren. Sie täuschen die Existenz einer Grundlage für ein Urteil nur vor. Hier sind sie nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit und mangelndem Verstehen der Hintergründe von Straftaten.

Mit dem Kreuz zieht eine göttliche Autorität ins Gericht

Was das Problem mit den Religionen verschärft: Ihre Regeln und Gesetze kommen aus Sicht der Strenggläubigen von Gott. Deshalb können sie auch für sie angesichts neuer Erkenntnisse eigentlich nicht verhandelbar sein. Sollen etwa Menschen göttliche Richtlinien ändern?

Anders als die Paragraphen unserer Gesetzbücher haben die göttlichen Vorschriften außerdem nicht in erster Linie das Ziel, das gesellschaftliche Zusammenleben möglichst aller Menschen (unabhängig von Glaube, Geschlecht, politischer Orientierung oder Herkunft) in einer Gesellschaft konfliktfrei zu gestalten. Sie sollen vielmehr zu einem gottgefälligen Leben einer Gruppe Gleichgesinnter führen.

All dies zeigt, wie wichtig es ist, dass die Justiz so unbeeinflusst von religiösen Vorstellungen ist, wie es nur geht.

Nun ermahnt das Kreuz im Gerichtssaal gläubige Christen vielleicht zur Nächstenliebe. Vielleicht erinnert es Kläger daran, dass der, der ohne Schuld ist, den ersten Stein werfen soll oder sogar an die großartige Aufforderung Jesu, auch Feinde zu lieben und die andere Wange hinzuhalten. Das ändert aber nichts daran, dass sich gläubige Christen mit dem Kruzifix im Gericht anmaßen, die Autorität ihres Gottes ins Spiel zu bringen.

Der Bayrische Verfassungsgerichtshof meint zwar, das Kreuz könnte auch als rein säkulares Symbol aufgefasst werden. Dann aber stellt sich die Frage. Warum sollte es überhaupt dort hängen? Und natürlich sieht niemand etwas anderes darin als das wichtigste Symbol der christlichen Kirchen.

Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass Richter im Schatten des Gekreuzigten auch die weltlichen Gesetze im Sinne des christlichen Weltbildes auslegen könnten - mit allen seinen problematischen Seiten. Das widerspricht eindeutig dem Anspruch der Justiz, religiös neutral zu urteilen.

Das Gleiche gilt auch für religiöse Symbole, mit denen Richter oder Anwälte ihren strengen Glauben demonstrieren. Dazu gehört das Kreuz vor der Brust genauso wie die Kippa oder das Kopftuch. Das Gericht muss sich aller solcher Symbole entkleiden. Wer religiöse Symbole oder Kleidungsvorschriften für wichtiger hält als die Demonstration der religiösen Neutralität des Gerichts, signalisiert: Er oder sie setzt die Prioritäten auf eine Weise, die zeigt, dass genau diese Neutralität dann nicht gewährleistet ist.

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