Religion und Säkularisierung:Ein Islam für die Zukunft

"Islam" und "Terror" bleiben verbunden. Warum aber der Weg aus ungerechter Herrschaft und Rückschrittlichkeit islamischer Länder nicht nach europäischen Denkmustern stattfinden kann.

Tomas Avenarius

Der Terror hat das neue Jahrzehnt auf seine Art begonnen: Ein Somalier wollte einen dänischen Karikaturisten erschlagen, weil dieser den Religionsstifter Mohammed als geistigen Bombenleger dargestellt hat. Erzürnte Muslime brennen in Malaysia Kirchen nieder, weil Christen das Wort "Allah" benutzen. Beim Beinahe-Attentat auf ein US-Flugzeug in Detroit ist ein Muslim der Täter. Auch in den Kriegen gegen die Taliban-Gotteskrieger und ihre Al-Qaida-Kameraden in Afghanistan und im Irak spielt der Terror eine Rolle, und wie in den vergangenen Jahren bleibt der Begriff "Terror" mit dem Zusatz "islamisch" verbunden. Ist der Islam also die Religion des Terrors?

Religion und Säkularisierung: Amerikaner arabischer Herkunft protestierten in Detroit gegen eine Gleichsetzung von Terrorismus und Islam.

Amerikaner arabischer Herkunft protestierten in Detroit gegen eine Gleichsetzung von Terrorismus und Islam.

(Foto: Foto: Reuters)

Nein, das ist er nicht. Wäre er es, müsste das Gleiche über Christentum und Judentum gesagt werden. Schließlich ist die Religion des Propheten Mohammed in Teilen eine Synthese der anderen monotheistischen Religionen. Dennoch rechtfertigen sich die Selbstmordattentäter stets mit ihrem Glauben.

Wandel als Zeichen von Demokratie

Das wiederum lässt sich vor allem politisch erklären. Beispiel Osama bin Laden: Der Terror-Großfürst kämpft in Afghanistan und hat doch auch sein saudisches Königshaus im Visier. Dessen Petrodollar-Feudalismus ignoriert die Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung. Beispiel Gaza-Streifen: Die Hamas macht Widerstand gegen Israel zur "islamischen Pflicht", weil die säkularen Kampfkonzepte Jassir Arafats den Palästinensern keinen Staat gebracht haben.

Als Erklärung reicht das aber nicht aus. Es hat tiefere Gründe, dass in vielen muslimischen Staaten keine gerechteren und stabileren Herrschaftssysteme existieren und dass die Militanz provoziert wird. Eines der Kennzeichen der demokratischen Idee ist fortgesetzter Wandel. Dem steht jedoch die Idee eines "göttlichen Gesetzes" entgegen.

Im islamischen Kulturraum mit seiner religiös legitimierbaren Unterdrückung der Frau und seiner statischen Vorstellung eines idealtypischen Lebens nach koranischem Gesetz finden demokratische Regierungsmodelle weniger Ansatzpunkte als in säkularisierten Gesellschaften. Daher droht einer Gesellschaft der Stillstand, wenn jede Neuerung als gottlos diffamiert werden kann.

"Gottgewollt vielleicht, unproduktiv mit Sicherheit"

Sind die muslimischen Gesellschaften damit unfähig zu Modernisierung, Entwicklung und Demokratisierung? Beleg für Skeptiker ist der "Arab Human Development Report", eine für die UN erstellte Studie. Derzufolge hinken die Staaten der arabischen Welt dem Rest der Welt hinterher. Die Araber drucken zu wenig nichtreligiöse Bücher, produzieren wenig herausragende Wissenschaftler, melden kaum Patente an. Modernisierung beschränkt sich auf Internet, Mobiltelefon und absurde Bauprojekte im Dubai-Stil.

Es fehlt an Entwicklung, die in die Tiefe geht. Eine solche, auf den Kommerz konzentrierte Modernisierung behindert die intellektuelle Entwicklung der Gesellschaft ebenso wie es die religiös begründeten Tabus tun, an denen nicht gerüttelt werden darf. Angesichts des Tempos der Globalisierung droht sogar die Rückentwicklung: gottgewollt vielleicht, unproduktiv mit Sicherheit.

Ist der Islam als Kulturmaßstab für gut 1,2 Milliarden Menschen also ein Entwicklungshindernis? Die Antwort ist: mag sein - aber das spielt keine Rolle. Eine 1600 Jahre alte Religion und die kulturelle Prägung ihrer Gläubigen lassen sich nicht ignorieren.

Alle Versuche, den Islam beiseitezuschieben, sind gescheitert. Der Schah von Persien stürzte vom Pfauenthron, als er in seinem Modernisierungswahn die Interessen der Mullahs missachtete. Atatürk verbot den Türkinnen das Kopftuch in Schulen und Universitäten. Der Begründer der modernen Türkei ersetzte sogar die arabische Schrift, mithin die Schrift des heiligen Korans, durch das lateinische Alphabet. Regiert wird sein Staat neunzig Jahre später von moderaten Islamisten. Dies stellt Atatürks Zwangssäkularisierung grundsätzlich in Frage.

Legitimation durch den Islam

Wirkliche Modernisierung kann für den muslimischen Teil der Menschheit nur auf der Basis einer Legitimation durch den Islam stattfinden - und nicht nach europäischen Denkmustern. Saudi-Arabien ist ein Beispiel: Nachdem die dortigen Herrscher den Fundamentalismus jahrzehntelang angeheizt hatten, zieht König Abdullah nun die Notbremse: Ein moderaterer Islam soll Gegenideologie sein gegen den Dschihadismus, der das Land bedroht. Dieser "echte" Islam soll Saudi-Arabien entwickeln und der islamistisch begründeten Militanz den Boden entziehen.

So sucht der König nach einer religiösen Rechtfertigung für ein letztlich unfrommes Projekt: für die Entzauberung der islamischen Welt in kleinen Schritten. Das mag sich theologisch rechtfertigen lassen, ist aber mindestens ein Unternehmen von Jahrzehnten. Und irgendwann muss es Kernfragen berühren: die Stellung der Frau, säkulares Recht, demokratische Mitbestimmung.

Erst wenn die islamischen Staaten sich derart konsequent modernisieren und damit in Teilen säkularisieren, wird eine umfassende politische Entwicklung folgen. Dann wird vielleicht auch der Terror als hässliche Form des politischen Kampfes verschwinden: in der islamischen - und damit auch in der nicht islamischen Welt.

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