Religion:Stoßgebet gegen die Vernagelten

Papst Franziskus wünscht sich mehr unbequeme Jugendliche - auch in seiner katholischen Kirche.

Von Matthias Drobinski

Was Papst Franziskus, immerhin schon 82 Jahre alt, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen rät? Sie sollen Krach machen, unzufrieden sein und eine "gesunde Unruhe" pflegen. "Setzt etwas aufs Spiel, auch wenn ihr Fehler machen werdet!", ruft der Papst ihnen zu; nehmt das Leben in die Hand, bleibt ein Original und werdet keine Kopie! Spaß am Leben gehöre dazu; "ganz im Gegensatz zu dem, was viele denken, will der Herr diese Lebenslust nicht dämpfen". Der Papst rät zum Einsatz für Arme und Geflüchtete und zum Misstrauen gegenüber allen Populisten; zum Mut, eine Ehe einzugehen und Kinder zu bekommen - und ja, manchmal wäre es schön, wenn die jungen Leute ein bisschen Zeit mitbrächten und den Alten zuhörten. Sichtbar unheimlich ist dem Papst dieses Internet: Bei allem Positiven, das es bringe, schüre es oft "Vorurteile und Hass", sei getrieben von "gigantischen wirtschaftlichen Interessen"; die vielen Fake News seien "Ausdruck einer Kultur, die den Sinn für die Wahrheit verloren hat".

Das alles steht in dem 60 Seiten langen Schreiben "Christus vivit" ("Christus lebt"), das Papst Franziskus nun als sein Fazit der Jugendsynode veröffentlicht hat, die vergangenen Oktober im Vatikan beriet, wie die katholische Kirche jungen Menschen nahe sein könnte. Damals redeten die Bischöfe ziemlich offen über die Glaubwürdigkeitslücken zwischen Kirche und Jugendlichen, ohne dann radikale Veränderungen vorzuschlagen. So hält es nun auch der Papst in seinem Resümee. Er verspricht noch einmal mit dramatischen Worten, dass die Kirche mit allen Mitteln gegen sexualisierte Gewalt vorgehen werde. Aber ein neues Nachdenken über die kirchliche Sexualmoral, die Bewertung von Verhütung oder Homosexualität, ist so wenig zu erkennen wie über die Frage, ob Frauen zu Diakoninnen oder Priesterinnen geweiht werden können.

Und trotzdem lässt der Ton des Schreibens aufhorchen - und manchmal ahnen, wo der Papst mit seiner eigenen Kirche hadert. Die müsse "demütig zugeben, dass sie einige Dinge ändern müsse", schreibt er. Viele junge Christen wünschten "eine Kirche, die mehr zuhört und nicht ständig die Welt verdammt", die "immer mit zwei oder drei Themen, auf die sie fixiert ist, auf Kriegsfuß steht" - denn eine Kirche, "welche die Demut verliert, das Zuhören aufgibt und die sich nicht infrage stellen lässt, verliert die Jugendlichen und verwandelt sich in ein Museum." Eine lebendige Kirche müsse vor allem "den berechtigten Ansprüchen von Frauen, die größere Gleichheit und Gerechtigkeit verlangen", Aufmerksamkeit schenken - und die "lange Geschichte autoritären Verhaltens seitens der Männer zugeben. Unterwerfung und verschiedene Formen von Sklaverei, Missbrauch und machohafte Gewalt."

Einmal schickt der Papst geradezu ein Stoßgebet gen Himmel: "Bitten wir den Herrn, er möge die Kirche von denen befreien, welche die Kirche alt machen, sie auf die Vergangenheit festnageln, bremsen und unbeweglich machen wollen." Ob er da an seine innerkirchlichen Gegner gedacht hat? Zu deren Beruhigung schickt er gleich ein zweites Gebet hinterher: "Bitten wir auch, dass er sie von einer anderen Versuchung befreie: zu glauben, dass sie jung ist, wenn sie auf alles eingeht, was die Welt ihr anbietet."

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