Süddeutsche Zeitung

Interreligiöser Dialog:Es geht ums gute Zusammenleben

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Von Matthias Drobinski, Lindau

Was ein Möbiusring ist? Gisbert Baarmann holt einen Streifen Papier heraus. "Sie können daraus einen Ring machen", sagt er und hält die beiden Enden aneinander. "Oder Sie drehen den Streifen vorher einmal in sich." Dann gibt es in diesem Ring nicht mehr oben und unten, innen und außen, die Mathematik spricht von "nicht orientierbarer Mannigfaltigkeit". So ein Ding hat Baarmann, Holzdesigner aus Templin in Brandenburg, entworfen und mit Holzbauingenieuren aus der Schweiz gebaut.

Jetzt steht der in sich gedrehte "Ring for Peace" in Lindau im Luitpoldpark, direkt am Bodensee. Siebeneinhalb Meter hoch, aus Lärchenholz, 36 Hölzer aus aller Welt wurden auch noch integriert. Rund um den Ring ist es matschig, aber das wird besser, da sind sich Baarmann und Lindaus Bürgermeister Gerhard Ecker sicher, die das Kunstwerk präsentieren. Und gibt es ein besseres Symbol für den Frieden unter den Religionen, ohne oben und unten, innen und außen?

In Lindau wird an diesem Dienstag die zehnte Weltversammlung der "Religions for Peace" eröffnet, mit einer Zeremonie von mehr als 900 Frauen und Männern aus mehr als 100 Ländern und 17 Religionen, nach einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Bis zum 23. August werden sie diskutieren, wie die Religionen in einer Zeit wachsender Intoleranz, des zunehmenden Fundamentalismus und religiös aufgeladener Konflikte dazu beitragen können, Frieden zu schaffen, Gerechtigkeit zu fördern und die Umwelt zu bewahren. Es gibt Panels über Frauen als Friedensstifterinnen und über Jugendliche und Terrorismus. Die Lindauer können den Delegierten bei den ökumenischen Morgenandachten begegnen oder der interreligiösen "Langen Tafel der Lindauer Kirchengemeinden"; vier Tage lang wird es bunt zugehen in der Stadt am Bodensee.

Religiöse Wahrheitsfragen bleiben außen vor

Das Schöne wie Problematische bei solchen Treffen ist, dass sich meist jene Religionsvertreter begegnen, die ohnehin den Dialog wollen - und die zu bekehrenden Fundamentalisten daheim bleiben. Wolfgang Schürer, emeritierter Wirtschaftsprofessor in St. Gallen und Vorsitzender der Stiftung "Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft" betont aber, dass das Treffen "weder Selbstzweck noch fröhliche Gipfelei" sei - "es gibt viele Non-Meetings hinter verschlossenen Türen, wo es ziemlich konkret wird", sagt er.

So werden sich Vertreter aus Nord- und Südkorea zusammensetzen, Abgesandte der muslimischen Rohingya sowie der buddhistischen Mehrheit in Myanmar, Christen aus dem Süden des Sudans und Muslime aus dem Norden - Gespräche, die außerhalb des geschützten Rahmens nicht möglich wären. Religiöse Wahrheitsfragen bleiben außen vor, es geht ums gute Zusammenleben.

Mal macht ein solches Treffen die erste Begegnung verfeindeter Gruppen möglich. Mal treffen sich Konfliktparteien zum hundertsten Mal, was die Sache auch nicht immer einfacher macht; aber auch der Vertreter des American Jewish Committee und die den Muslimbrüdern nahestehende Muslimin müssen hier miteinander auskommen. Manchmal dienen solche Treffen dazu, neue Ideen populär zu machen. Religions for Peace unterstützt die Verbreitung eines DNA-Tests, der es nach einer Vergewaltigung erlaubt, den Täter zu identifizieren - eine große Hilfe, wenn es um den Nachweis von Kriegsverbrechen geht und den Kampf gegen Vergewaltiger.

Schürer hat Erfahrung darin, Menschen aus unterschiedlichen Sphären zusammenzubringen, seit Jahren organisiert er die Treffen der Nobelpreisträger in Lindau. Geschäftsführer der Stiftung ist Ulrich Schneider, der Erfahrungen bei evangelischen Kirchentagen und dem Reformationsjubiläum 2017 gesammelt hat. Er kam, nachdem sich die Stiftung vom früheren Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter getrennt hatte - aus Sicht der Stiftung hatte er mit Äußerungen, die als antiisraelisch kritisiert wurden, seine Neutralitätspflicht verletzt.

Religion hat immer eine politische Dimension. Dennoch überrascht, wie sehr das Auswärtige Amt und der Freistaat Bayern das Treffen fördern. Die Kirchen in Deutschland stehen dem Treffen positiv, aber zurückhaltend gegenüber: Der katholische Bischofskonferenzvorsitzende Kardinal Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, sprechen ein gemeinsames Grußwort, doch die Zahl der in Lindau vertretenen hochrangigen deutschen Kirchenvertreter bleibt überschaubar.

Das Auswärtige Amt aber hat sieben Millionen Euro bereitgestellt, Bayern mehr als eine Million; vor allem aber haben die Referenten des Ministeriums im Büro der Religions for Peace in New York geholfen, das Referat "Religion und Außenpolitik" begleitet die Vorbereitung und Durchführung der Weltversammlung.

Wer die Religionen ignoriert, kann etwa im Nahen Osten nur wenig bewirken

Die Diplomatie entdeckt die Religionen. Lange waren für Diplomaten andere Diplomaten bevorzugte Gesprächspartner. Das ändert sich, seit man gemerkt hat, dass man in Afghanistan, im Nahen Osten oder in Russland nur wenig bewirken kann, wenn man die Religionen ignoriert. "Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man weltweit die kulturellen Faktoren jenseits der staatlichen Strukturen kennen und begreifen muss", sagt Andreas Görgen, der die Abteilung für Kommunikation und Kultur leitet, zu der das Religionsreferat gehört, "und da sind die Religionen nun einmal die wichtigsten Kräfte".

Unter dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier legte das Amt einen Schwerpunkt auf die Kultur- und Gesellschaftspolitik. Unter Sigmar Gabriel organisierte dann ein Arbeitsstab "Friedensverantwortung der Religionen" 2017 einen hochkarätig besetzten Kongress, auch mit Hilfe der Religions for Peace, die sich danach entschieden, nach Lindau zu gehen. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung gehörten einer Religionsgemeinschaft an, analysierte Gabriel. Man wolle die "Kraft, das Wissen, die Widerstandsfähigkeit und die Langfristigkeit von Religionen nutzbar machen für die Friedensarbeit".

Vor einem Jahr schließlich richtete Heiko Maas das Religionsreferat mit aktuell sechs Mitarbeitern ein. Das staatliche Interesse an den Kräften der Religion ist mittlerweile so groß, dass mancher Kirchenvertreter misstrauisch wird: Religionen und Staat haben schließlich unterschiedliche Rollen, kirchliche Hilfsorganisationen wie Misereor müssen auch das kritische Gegenüber des Außen-, Entwicklungs- oder Verteidigungsministeriums sein. Wolfgang Schürer betont deshalb die Unabhängigkeit der Organisation: "Es gibt Unterstützung, aber keine Instrumentalisierung."

Was bleibt, wenn Hindus, Sikhs, Baha'i, Shintos, Juden, Muslime und Christen sich am Friedensring getroffen haben? Das wisse man nicht, sagt Schürer. "Aber ohne Dialog ist der Frieden chancenlos."

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SZ vom 20.08.2019
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