Rekrutierung bei der Bundeswehr:Nachwuchssuche im Karrierecenter

Bundeswehr Wehrpflicht Rekrutierung Nachwuchs

Ende November schlossen die zuletzt noch 52 Kreiswehrersatzämter, damit endete ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte.

(Foto: dpa/dpaweb)

Musterung war gestern, heute gibt es "ganzheitliche Personalgewinnung". Die Bundeswehr braucht Nachwuchs, nach dem Aussetzen der Wehrpflicht wachsen die Rekruten nicht mehr automatisch nach. Um "geeignete" Kandidaten zu finden, müsste sich ein Zehntel eines Jahrgangs bewerben. Nun wird in Karrierecentern für den Job geworben. Ein Besuch in der Dahme-Spree-Kaserne.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Es wird Händel gespielt, das Stabsmusikkorps ist mit einem Blechbläser-Quintett vertreten, danach gibt es ein Grußwort, eine Rede des Staatssekretärs, noch ein Grußwort des Bezirksbürgermeisters, am Ende die Nationalhymne und zwischendrin: Blasmusik. Berlin-Grünau, Montagmorgen, in der Dahme-Spree-Kaserne wird das örtliche Karrierecenter der Bundeswehr eröffnet - oder, wie das hier heißt: feierlich in Dienst gestellt.

Karrierecenter - es wird wohl noch ein wenig dauern, bis sich der Begriff einprägt. Er klingt, jedenfalls im Zusammenhang mit der Bundeswehr, mindestens leicht gewöhnungsbedürftig, doch letztlich ist er die logische Fortsetzung der Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen. Im Sommer vergangenen Jahres war es so weit, seither muss der Nachwuchs für die Bundeswehr ja irgendwo herkommen.

Ende November schlossen die zuletzt noch 52 Kreiswehrersatzämter, damit endete ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte (Stichwort Staatsbürger in Uniform). Dieser Tage nehmen nun 16 Karrierecenter ihren Dienst auf, vergangene Woche fing es mit Nürnberg an, während an diesem Montag Berlin und Düsseldorf an der Reihe sind. Die Zentren sind jetzt dafür zuständig, Soldaten und zivile Mitarbeiter für die Bundeswehr zu gewinnen.

Bislang war diese Aufgabe auf mehrere Institutionen verteilt gewesen: Neben den Kreiswehrersatzämtern für die Wehrpflichtigen gab es fünf Zentren für Nachwuchsgewinnung sowie weitere zuständige Stellen. In der Dahme-Spree-Kaserne etwa, wo nun das Berliner Karrierecenter seine Arbeit aufnimmt, war bis Ende November noch das "Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost" zu finden, während zweieinhalb Kilometer weiter das Kreiswehrersatzamt saß.

Im Karrierecenter sind nun 63 Soldaten und 164 zivile Mitarbeiter dafür zuständig, Nachwuchs aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu gewinnen und auszuwählen, hinzu kommen Karrierecenter in Potsdam und Schwerin sowie Karriereberatungsbüros und sogenannte mobile Beratungsmöglichkeiten.

Mehr als nur "Meeresblick und Bergluft"

All dies wird in der Sprache der Bundeswehr als "ganzheitlicher Weg der Personalgewinnung" beschrieben und ist Teil der größten Reform in der Geschichte dieser Armee, die hier schlicht "Neuausrichtung" heißt.

Dass die Bundeswehr einiges tun muss, um (geeigneten) Nachwuchs zu gewinnen, wird aus der Rede deutlich, die Verteidigungs-Staatssekretär Stéphane Beemelmans am Montag in Grünau im Bezirk Treptow-Köpenick hält: Bei einem "jährlichen Rekrutierungsbedarf" von 13.000 Leuten brauche man 40.000 Bewerber, um geeignete Kandidaten auswählen zu können, so rechnet er vor. Dazu kämen noch zivile Mitarbeiter, sodass sich nach Beemelmans' Rechnung zehn Prozent eines Jahrgangs bei der Bundeswehr bewerben müssten oder sollten. "Die Demografie ist der eigentlich limitierende Faktor für die Größe der Bundeswehr", so drückt er das aus.

Die Möglichkeit, sich die Bundeswehr erst mal eine Weile anzuschauen, bevor man sich für Jahre verpflichtet, bietet mittlerweile der sogenannte Freiwillige Wehrdienst, der bis zu 23 Monate dauern kann. In diesem Jahr waren es bis zum 1. Oktober etwa 9500 Männer und Frauen, die ihn begonnen haben, womit das Verteidigungsministerium sein (von vornherein niedrig gesetztes) Minimalziel von 5000 Freiwilligen erreicht hat.

Allerdings sagte Minister Thomas de Maizière vor Monaten, mit der Abbrecherquote von 27 Prozent könne er "nicht zufrieden sein" - wohingegen seine Öffentlichkeitsarbeiter hervorheben, dass es doch sehr erfreulich sei, wenn drei Viertel der Freiwilligen dabei blieben. Schließlich dürften in allen Armeen der Welt die ersten Monate zu den härtesten zählen, von Kampfeinsätzen mal abgesehen.

Um attraktiv genug für genügend Bewerber zu sein, wird es jedenfalls nicht reichen, "Meeresblick und Bergluft" zu bieten. So umschreibt Beemelmans die geografische Bandbreite der Einsatzorte, doch tatsächlich liegt darin eines der Probleme, die es der Bundeswehr im Kampf um den Nachwuchs schwermachen: Soldaten müssen flexibel sein und häufig den Standort wechseln. Da es aber immer weniger Standorte gibt, wird es immer schwieriger, etwa die freiwillig Wehrdienst Leistenden "heimatnah" einzusetzen, was dann wiederum schnell im Frust enden kann.

In der Dahme-Spree-Kaserne blickt Beemelmans noch einmal kurz zurück, auf 8,4 Millionen Männer, die von 1956 bis 2011 Wehrdienst geleistet haben: Vorbei ist es damit, nun habe "ein neues Zeitalter begonnen", sagt er. "Weltweite Einsätze" stellten nun mal "andere Anforderungen als die unmittelbare Landesverteidigung", doch Leitbild der Bundeswehr bleibe "unverändert der Staatsbürger in Uniform". Und der muss von nun an erst mal im Karrierecenter vorsprechen.

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