Süddeutsche Zeitung

Reisewarnung wegen Covid-19:Geschönte Ansteckungsgefahr

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Welches Land letztlich zum Risikogebiet erklärt wird, folgt fragwürdigen Kriterien. Warum etwa wird nur ein Teil Kroatiens so eingestuft? Und was ist mit Malta?

Von Christian Endt

Wer aus einem Risikogebiet zurück nach Deutschland kommt, muss künftig generell fünf Tage in Quarantäne. Darauf haben sich Bund und Länder geeinigt. Durch einen Test nach der Rückkehr aus der Quarantäne zu kommen, ist damit nicht mehr möglich. Durch die neue Regelung kommt der Einstufung als Risikogebiet eine erhöhte Bedeutung zu. Doch diese Einstufung entspricht mitunter nicht dem tatsächlichen Infektionsgeschehen in den jeweiligen Ländern.

Ob ein bestimmtes Land ganz oder teilweise als Risikogebiet gilt, entscheiden die Bundesministerien für Inneres, Äußeres und Gesundheit gemeinsam. Das wesentliche Kriterium ist dabei rein quantitativ: In der Regel kommt ein Land oder eine Region dann auf die Liste, wenn dort in den vergangenen sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner gemeldet wurden.

Diesen Richtwert hatten Bund und Länder zuerst fürs Inland eingeführt: Ein deutscher Landkreis, der ihn überschreitet, steht unter Beobachtung des Robert-Koch-Instituts (RKI) und muss strengere Auflagen erlassen. Später hat die Bundesregierung die 50er-Marke aufs Ausland übertragen. Allerdings lassen sich die Fallzahlen aus unterschiedlichen Ländern nur bedingt vergleichen. Wie viele Infizierte gefunden werden, hängt wesentlich vom Ausmaß des Testens ab. Gerade für Staaten mit viel Tourismus entsteht ein Anreiz, die Zahlen niedrig zu halten.

Ob ein Land ausreichend testet, lässt sich anhand der Positivrate beurteilen, also des Anteils der positiven Ergebnisse unter allen durchgeführten Tests. Eine hohe Positivrate deutet darauf hin, dass viele Infektionen unerkannt bleiben. In Deutschland liegt der Wert bei weniger als einem Prozent, ebenso im Vereinigten Königreich. Frankreich, Italien und Österreich weisen einen Wert im niedrigen einstelligen Prozentbereich aus. In Spanien sind dagegen mehr als acht Prozent der durchgeführten Tests positiv.

Alarmierend ist die Lage in Kroatien: Dort können die Laborärzte in mehr als zwölf Prozent aller Abstriche das Coronavirus nachweisen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Land zu wenig testet. Doch die Bundesregierung zählt bislang nur die Regionen Šibenik-Knin und Split-Dalmatien zu den Risikogebieten. Weite Teile der Küste zählen nicht dazu. Tatsächlich lag die 7-Tage-Inzidenz für Kroatien bislang stets unter 50. Doch angesichts des geringen Testaufkommens ist dieser Wert nur bedingt aussagekräftig.

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums teilt mit, es wäre "derzeit unverhältnismäßig", ganz Kroatien zum Risikogebiet zu erklären. Ob ein Land ausreichend teste, lasse sich nicht genau sagen.

Dabei wäre die Bundesregierung nicht auf die Daten aus dem Ausland angewiesen. Das RKI berichtet regelmäßig, wie viele Deutsche sich auf Reisen infiziert haben. Aus Kroatien kamen allein in der vergangenen Woche 940 bekannte Positivfälle zurück, so viele wie aus keinem anderen Land. In Wahrheit dürfte der Wert deutlich höher liegen - denn solange Kroatien nicht als Risikogebiet gilt, müssen sich Rückkehrer nicht testen lassen. Österreich stuft Kroatien als Risikogebiet ein.

Noch rätselhafter ist das Vorgehen der Bundesregierung im Fall Malta. Das Land überschreitet die Marke von 50 seit mehr als zwei Wochen fast durchgängig und gilt dennoch nicht als Risikogebiet.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2020
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