Süddeutsche Zeitung

Reise nach Indien:Iran macht dicht - Merkel zwei Stunden über Anatolien

Diplomatischer Affront in 11.000 Metern Höhe: Die iranische Luftraumüberwachung verweigert der Maschine von Kanzlerin Angela Merkel den Überflug in Richtung Indien. Zwei Stunden kreiste der Regierungsairbus über der östlichen Türkei, Botschafter wurden eingeschaltet, der Regierungssprecher versuchte sich in Erklärungen. Und Merkel schlief.

Nico Fried

Es ist die Nacht von Montag auf Dienstag, Angela Merkel fliegt zu politischen Gesprächen nach Indien. Seit dreieinhalb Stunden sind die Kanzlerin und ihre Delegation unterwegs. 77 Fluggäste, unter ihnen drei Staatssekretäre, fünf Bundestagsabgeordnete und eine Wirtschaftsdelegation, prominentester Top-Manager: Siemens-Chef Peter Löscher.

Es ist ein ruhiger Flug, die meisten Passagiere schlafen, auch die Kanzlerin. In der Nacht davor war Merkel wegen der Atom-Verhandlungen erst am frühen Morgen aus dem Kanzleramt gekommen. Der nagelneue Regierungs-Airbus A340 befindet sich auf Kurs nach Osten über der Türkei, passiert Ankara und erreicht gegen ein Uhr deutscher Zeit westlich von Täbris den iranischen Luftraum. Bis Delhi wären es von hier noch 3150 Kilometer, etwa dreieinhalb Stunden. Doch plötzlich nimmt die Reise eine jähe Wendung - im wahrsten Sinne des Wortes.

German-Air-Force-Flug 901 hatte beim Start in Berlin eine Überfluggenehmigung für Iran, sonst hätte man von vorneherein einen anderen Kurs gewählt. Doch jetzt meldet sich die iranische Luftraumüberwachung und sagt, es gebe keine Genehmigung. 20 Minuten verhandeln die Piloten mit den Iranern, vergeblich. Ein ungewöhnliches Vorgehen, ein diplomatischer Affront. Der Airbus biegt erst einmal nach rechts ab in eine Warteschleife.

Das Verhältnis Deutschlands zu Iran ist seit einigen Jahren belastet: Das Atom-Programm und die antiisraelischen Ausfälle von Präsident Mahmud Ahmadinedschad verhindern normale Beziehungen. Zwei deutsche Reporter waren mehrere Wochen in Iran inhaftiert. Zuletzt schloss die Bundesregierung eine dubiose iranische Handelsbank mit Sitz in Hamburg. Gönnen sich die Iraner jetzt eine Schikane als Revanche?

Die Maschine fliegt einen Kreis nach dem anderen. Mittlerweile sind türkische Behörden eingeschaltet, weil die Iraner nicht mehr mit der deutschen Besatzung sprechen wollen. Um 1:35 Uhr geht der Airbus in rund 11.500 Meter Höhe in die vierte Warteschleife, doch diesmal fliegt er sie nicht zu Ende - stattdessen nimmt die Maschine Kurs Nordwest, raus aus Iran, zurück in die Türkei. Um 1:47 Uhr ist der Flieger wieder über Ostanatolien. Zeitverlust schon jetzt mindestens eine Stunde.

Einige Minuten fliegt die Kanzlermaschine in Richtung Ankara. Was nun? Um 1:59 Uhr dreht sie wieder um. Offenbar ein neuer Versuch. Um 2:05 Uhr wird plötzlich die sogenannte Airshow ausgeschaltet, die Monitore in der Kabine sind jetzt dunkel, die Passagiere können die Manöver von Flug 901 nicht mehr verfolgen.

Möglicherweise will der Kapitän verhindern, dass die Fluggäste nervös werden. Trotz Nachfragen der mitreisenden Journalisten gibt es keine Erklärung aus dem Cockpit. Nur der Blick aus dem Fenster zeigt: Die Maschine fliegt weiter Kurven. Iran macht immer noch dicht.

Wie lange kann man sich das gefallen lassen? Und wann reicht der Sprit nicht mehr, um nach Delhi zu kommen - auf welchem Weg auch immer? Die Crew verzichtet darauf, die Kanzlerin in der Schlafkabine zu wecken. Aber Christoph Heusgen wird geholt, Merkels außenpolitischer Berater. In Deutschland wird die Politische Direktorin im Auswärtigen Amt, Emily Haber, geweckt. Beide Botschafter werden eingeschaltet.

Die Passagiere im hinteren Teil des Flugzeugs bekommen von all dem nichts mit. Ihnen bleibt nur der Blick durch die Fenster: Mal ist die Morgendämmerung links zu sehen, mal rechts. Keine Frage: Auch um drei Uhr deutscher Zeit kreist die Maschine noch. Seit zwei Stunden geht das nun schon so.

Dann weiß einer der Sicherheitsbeamten vom Bundeskriminalamt, der im Kontakt mit dem Cockpit steht: Es geht weiter Richtung Indien. Über Iran. Draußen bricht der Tag an. Um 4:36 meldet sich der Protokollchef über den Bordlautsprecher. Er spricht nur allgemein von "Überflugproblemen mit Iran". Keine Details.

Um 6:05 Uhr kommt Steffen Seibert, der Regierungssprecher, berichtet Einzelheiten. Über Gründe für das iranische Verhalten lasse sich noch nichts sagen. "Sinnvollerweise" habe die Kanzlerin nicht die Führung bei den Verhandlungen übernommen, sagt Seibert, es sei alles in besten Händen gewesen. Merkel sei dadurch einfach mehr Schlaf vergönnt gewesen.

Die Kanzlerin selbst zeigte sich später entspannt. Sie sei um halb fünf aufgewacht und habe sich gewundert, dass sie nicht wie planmäßig früher geweckt worden sei. Ansonsten sei doch die Hauptsache, dass man nach Delhi habe fliegen können und nicht in Ankara habe landen müssen. Um 10:39 Uhr Ortszeit, 7:09 Uhr deutscher Zeit, landet Merkel in Delhi. Verspätung: mehr als zwei Stunden.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reagierte weniger gelassen: Er bestellte den iranischen Botschafter in Berlin ein. "Die Behinderung der Reise der deutschen Bundeskanzlerin durch den Iran ist absolut inakzeptabel", erklärte Westerwelle. Die Kanzlerin kommentierte die Einbestellung am Mittag mit den Worten: Es sei "sicherlich vernünftig, mal zu fragen, was gewesen ist". Es gehe aber "überhaupt nicht um Verärgerung".

Eine zweite Maschine mit mehreren Bundesministern, die in Berlin eine halbe Stunde früher gestartet war, konnte übrigens problemlos landen. An Bord waren Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Bildungsministerin Annette Schavan, Innenminister Hans-Peter Friedrich und Verkehrsminister Peter Ramsauer. Dieses Flugzeug hatten die Iraner anstandslos passieren lassen.

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