Reise durch Nordkorea:Kim Jong Un lässt grüßen

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Rummelplätze, Rollerblades, freundlich winkende Soldaten: In Nordkoreas Hauptstadt mehren sich die Anzeichen eines Zeitenwandels. Doch die Bevölkerung kämpft nach Jahrzehnten der Misswirtschaft noch immer gegen den Hunger.

Bastian Brinkmann, Seoul, und Christoph Giesen, Pjöngjang

"Seit dem Wechsel in der Führung sind auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nachhaltige Veränderungen sichtbar": Pjöngjang aus dem Hotelfenster.  (Foto: AP)

Kaum hat die Frau am Einlass die Kette geöffnet, rennen sie auch schon los. Alle wollen sie in der Mitte des Karussells sitzen, dort wo vor ein paar Wochen der neue Führer Kim Jong Un seine Runden drehte. Am besten auf demselben Platz. Nach ein paar Sekunden Gerangel sind alle angeschnallt, und das Karussell dreht sich: Hals über Kopf in Nordkorea.

Im Dezember 2011 erlag Kim Jong Il, die Sonne des 21. Jahrhunderts, wie ihn die Propaganda nannte, einem Herzinfarkt. Sein Sohn Kim Jong Un ist nun an der Macht. Der 29- oder 30-Jährige - so genau weiß das niemand - hat das Land verändert. Wer sich in Pjöngjang umschaut, sieht das. Es gibt jetzt vier Rummelplätze und jede Menge Autos. Noch bis vor wenigen Jahren konnte man auf der Schnellstraße nach Süden picknicken, so selten fuhr ein Wagen vorbei. Heute hupen in den Straßen Pjöngjangs Tausende Autos. Pünktlich um 18.30 Uhr springt seit einigen Monaten die Beleuchtung an einem der neuen Hochhausblöcke an. Wenig später leuchtet es dann überall. Noch bis vor Kurzem war die Flamme auf dem Juche-Turm das einzige Licht in Nordkoreas Hauptstadt. Politiker im Westen hielten bei Pressekonferenzen gerne Nachtaufnahmen von Satelliten in die Kameras, um zu zeigen, wie rückständig Nordkorea ist. Man sah helle Flecken in China und Südkorea, dazwischen eine dunkle Einöde: der Norden.

"Seit dem Wechsel in der Führung sind auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nachhaltige Veränderungen sichtbar", sagt Uwe Schmelter, 67. Er hat das Goethe-Institut in Seoul geleitet, er war es, der 2004 die Nordkoreaner überzeugte, einen Lesesaal mit deutschen Büchern mitten in Pjöngjang zu eröffnen. Er trägt das graue Haar gescheitelt, die große 90er-Jahre-Brille lässt ihn jünger wirken. Schmelter sitzt in der Bar des Yanggakdo-Hotels in Pjöngjang. Es gibt selbst gebrautes Bier und Schnaps mit eingelegter Schlange. "Kim Jong Un", sagt Schmelter, "ist anders, er hält Live-Ansprachen an sein Volk, das hat es vorher nicht gegeben. In China wäre das doch undenkbar."

Das Fernsehprogramm in Nordkorea ist noch das alte. In den Hauptnachrichten sieht man Kim Jong Un, wie er Arbeitseinheiten besucht und Ratschläge erteilt. Ganz wie der Alte. Für viele Nordkoreaner ist Kim Jong Uns Auftreten hingegen neu: "Das beste Beispiel ist der Funpark", heißt es oft. Kim Jong Un hat alle vier neuen Rummelplätze besucht. Einer der Parks hat ihm überhaupt nicht gefallen - lieblos und dreckig, bemängelte er und ordnete Nacharbeit an. Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen über Missstände im eigenen Land. Allein solche kleinen Schritte von Kim Jong Un verbreiten Euphorie.

Überall in Ostasien sind die Menschen neugierig, sie winken, wenn sie einen Ausländer sehen. In Nordkorea war das anders. Demonstrativ blickten die Menschen weg, holten die Parteizeitung aus der Jackentasche und taten so, als läsen sie. Ein freundliches Hallo, hieß es, zöge stundenlange Befragungen durch die Geheimpolizei nach sich. Seit Kim Jong Un an der Macht ist, hat sich das geändert: In den Straßen von Pjöngjang winken die Menschen, wenn sie einen Ausländer sehen, selbst Soldaten mit Gewehren grüßen.

Vor ein paar Tagen war Rüdiger Frank im Land. Auch er hat die Menschen winken sehen. Der 43-Jährige ist Professor für Ostasienwissenschaften in Wien und einer, der sich wirklich auskennt in Nordkorea. Er ist in der DDR und in der Sowjetunion aufgewachsen, ein großer Vorteil, um ein sozialistisches System im Umbruch beurteilen zu können. Anfang der Neunzigerjahre gehörte er zu den letzten Austauschstudenten, die ein Semester in Pjöngjang verbrachten. "Ich war in diesem Jahr zweimal in Nordkorea. Im April und jetzt", sagt Frank. "In den paar Monaten hat sich die Zahl der kleinen Geschäfte in Pjöngjang fast verfünffacht." An vielen Straßenecken haben Buden eröffnet, es gibt Eis, kalte Getränke und getrockneten Tintenfisch. Auf dem Kim-Il-Sung-Platz, wo das Regime bei Paraden gerne sein Waffenarsenal zeigt, kurven an den Wochenenden Hunderte Kinder mit Rollerblades über die Betonplatten. Eine wirtschaftliche Öffnung stehe kurz bevor, glaubt Frank, er verpackt es in eine ostasiatisch anmutende Metapher: "Kim Jong Un sitzt momentan auf einem Tiger. Er muss ihn weiterreiten - steigt er ab, wird er gefressen."

Trotz der Rummelplätze und der vielen neuen Autos ist Nordkorea noch immer ein Staat, in dem Millionen Menschen jedes Jahr hungern. Seit Herbst 2010 leitet Claudia von Roehl das Büro des Welternährungsprogramms in Nordkorea. Sie weiß, wie es den Menschen geht. In manchen Provinzen seien 40 Prozent der Kinder unterernährt, sagt sie. Bis zu einer Million Tonnen Nahrung fehlten jedes Jahr in Nordkorea. Knapp 50 Kilo pro Einwohner. Es mangele vor allem an Fetten und Proteinen. "Die meisten Nordkoreaner können sich noch sehr genau daran erinnern, wann sie zum letzten Mal ein Ei oder gar ein Stück Fleisch gegessen haben", sagt Roehl.

Schuld an diesem Drama ist das jahrzehntelange Missmanagement. Vater Kim Jong Il führte den Staat wie einen Mafiaclan. Nordkoreas Regime druckte Falschgeld - 2005 ließ die US-Regierung aufgrund der vielen Dollar-Blüten ein Bankkonto in Macau einfrieren. Der Clan war im Drogenhandel aktiv - in den vergangenen Jahren ist in den chinesischen Nordostprovinzen die Anzahl der Drogenabhängigen dramatisch gestiegen, chinesische Ermittler erheben den Vorwurf, dass die Drogen aus nordkoreanischen Laboratorien stammen. Westliche Geheimdienste vermuten, dass Nordkorea im illegalen Waffenhandel mitmischt. Und auch in der Paradedisziplin der Mafia, der Erpressung, ist das nordkoreanische Regime aktiv. Während des Kalten Krieges spielte Staatsgründer Kim Il Sung, der Großvater von Kim Jong Un, die Sowjetunion und China gegeneinander aus. Seit dem Zerfall der Sowjetunion droht Nordkorea der Welt mit seinem Atomprogramm. Auch mit Aussteigern verfährt Nordkorea wie die Mafia. Scheitert ein Fluchtversuch, lautet die Strafe Arbeitslager.

Die Flüchtlinge verlassen Nordkorea über den Grenzfluss zu China, dann schlagen sie sich auf geheimen Routen durch. Schaffen sie es tatsächlich nach Südkorea, müssen sie erst einmal einen Crashkurs belegen, um zu verstehen, wie ihr neues Heimatland funktioniert: der Kapitalismus, die Gesetze, die Fahrstühle.

Kim Duk Hyun sitzt in seinem Büro in Seoul und trinkt, wie so viele im Land der Vielarbeiter, Instantkaffee. 1996 floh er aus Nordkorea. Er hatte dort für das Militär japanische Autos importiert und weiterverkauft. Er steckte kleine Summen in die eigene Tasche, bis er mit Frau und Großeltern wagte, das Land zu verlassen. Fünf Jahre war er auf der Flucht, in China und Thailand. Schon dort handelte er mit billiger Kleidung, um etwas zu essen zu haben. 2001 kam er in Südkorea an. Heute besitzt er eine Firma, verkauft Drogerieartikel über das Internet. Jahresumsatz zehn Millionen Euro. Er ist eine Ausnahme. Nur sehr wenige Nordkoreaner finden im Süden einen guten Job. Die alten Abschlüsse aus dem Norden sind nichts wert. In den Neunzigerjahren floh vor allem die Elite aus Nordkorea, wie Kim und seine Familie.

Heute treibt der Hunger die Menschen. Sie können in der Regel keine Computer bedienen, viele haben noch nie einen gesehen. Sie müssen sich als Hilfsarbeiter verdingen. Nicht jeder Flüchtling kann auf dem Bau anpacken: Oft sind die Hände zu klein, wegen der jahrelangen Mangelernährung. Geschäftsmann Kim kennt die missliche Lage seiner Landsleute und beschäftigt deshalb nur Flüchtlinge. Er hat die Hoffnung, dass eines Tages eine Wiedervereinigung möglich ist. Gerade hat er seinem Bruder über eine japanische Bank wieder ein bisschen Geld geschickt. Kims Kalkül: Öffnet sich die nordkoreanische Wirtschaft, dann kann er seiner Familie Starthilfe geben und vor Ort investieren.

© SZ vom 06.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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