Süddeutsche Zeitung

Reise an Russlands Grenzen:Merkels Gefühl für den Osten

  • Kanzlerin Merkel bereist von diesem Donnerstag an den Kaukasus.
  • In Moskau dürfte man die Aktivitäten der Kanzlerin mit einem gewissen Interesse verfolgen.
  • Denn Merkel hat sich ein paar Signale vorgenommen, die nicht unbeachtet bleiben werden.

Von Nico Fried, Berlin

Die Berufspolitikerin Angela Merkel und die drei Republiken, die sie jetzt besuchen wird, sind zur gleichen Zeit entstanden. Im Januar 1991 berief Kanzler Helmut Kohl die ostdeutsche Physikerin als Frauenministerin in sein erstes gesamtdeutsches Kabinett. Im April 1991 erklärte Georgien seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion, im September Armenien, am 18. Oktober Aserbaidschan. Genau am selben Tag schrieb die Frankfurter Allgemeine, Merkel solle nun auch stellvertretende CDU-Vorsitzende werden. Außerdem wolle sie ihr Wirkungsgebiet ausweiten. In der Außenpolitik, formulierte der Autor mit vorsichtiger Skepsis, seien es "die östlichen Länder, für die sie meint, Einfühlungsvermögen zu besitzen".

Das wird sie nun einmal mehr beweisen müssen, wenn sie - 27 Jahre später - von diesem Donnerstag an den Kaukasus bereist. Die meiste Erfahrung hat Merkel mit Georgien, wo sie auch schon war. Armenien und Aserbaidschan besucht sie zum ersten Mal. Auf der Liste ihrer Reisen als Kanzlerin sind das die Länder 82 und 83. Doch nicht nur die Eigenheiten der Gastländer sind zu beachten - auch in Moskau dürfte man die Aktivitäten der Kanzlerin mit einem gewissen Interesse verfolgen. Und Merkel hat sich ein paar Signale vorgenommen, die nicht unbeachtet bleiben werden.

Noch am vergangenen Samstag hat die Kanzlerin lange mit Russlands Präsident Wladimir Putin über die Ukraine gesprochen. Der Konflikt im Osten des Landes hat ein Pendant im Norden Georgiens, wo sich Moskau in Abchasien und Südossetien auch militärisch Einfluss gesichert hat. Beide Gebiete haben sich für unabhängig erklärt, was aber außer Russland nur Nicaragua, Syrien, Venezuela und Nauru anerkennen. In Berlin heißt es zudem: "Wir sehen die russische Militärpräsenz in Südossetien und Abchasien kritisch." Seit etwa zehn Jahren ist der Konflikt eingefroren - genau der Zustand, den Merkel für die Ostukraine gerne vermeiden würde.

Ein Nato-Beitritt Georgiens? Derzeit kein Thema

Georgien steht einerseits für eine klare Öffnung nach Europa. Vor zehn Jahren trat die Regierung in Tiflis der östlichen Partnerschaft der EU bei. Mittlerweile gibt es nicht nur ein Assoziierungsabkommen - also jene Art Vertrag, an dem sich der Konflikt zwischen Russland und der EU im Falle der Ukraine mit entzündete -, sondern auch ein Freihandelsabkommen. Der wirtschaftlichen Entwicklung hat dieser Kurs offensichtlich genutzt, das Wachstum 2018 soll bei 4,5 Prozent liegen.

Andererseits war es nicht zuletzt Merkel, die auch aus Rücksicht auf Russland eine noch engere Anbindung bremste: Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest 2008 widersetzte sie sich dem vehementen Wunsch des US-Präsidenten George W. Bush, mit Georgien und der Ukraine faktisch das Beitrittsverfahren zu eröffnen. Im Herbst desselben Jahres kam es zum Krieg zwischen Georgien und Russland, der unter Vermittlung des französischen Präsidenten und EU-Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy mit Merkels Unterstützung deeskaliert wurde.

Seither gilt in Sachen Nato-Beitritt offiziell eine Politik der offenen Tür: Bei ihrem Besuch in Tiflis 2010 sagte Merkel, Georgien werde Mitglied, wenn es das wolle. Im stillen gegenseitigen Einvernehmen will es das aber derzeit nicht. Als Zeichen der Solidarität wird Merkel jedoch am Denkmal für die in Abchasien und Südossetien gefallenen georgischen Soldaten einen Kranz niederlegen. Außerdem fährt sie an die Verwaltungsgrenze zu Südossetien, um die Beobachtermission der EU zu besuchen, an der auch elf Deutsche beteiligt sind.

In Armenien trifft Merkel den neuen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan, der nach tagelangen Demonstrationen im Mai ins Amt gekommen ist. Auch Armenien gehört zur östlichen EU-Partnerschaft, der neue Regierungschef ist aber schon aus wirtschaftlichen Gründen an guten Beziehungen zu Russland interessiert. Er wolle die Partnerschaft mit Moskau auf "ein neues Niveau heben", sagt Paschinjan. Armeniens größtes Problem ist der Konflikt mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Wie verhärtet hier die Fronten sind, hat das Kanzleramt bei der Vorbereitung der Reise erleben können, deren dritte Station die aserbaidschanische Hauptstadt Baku sein soll. Wie auf solchen Reisen üblich, begleiten Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen Merkel. Dem CDU-Parlamentarier Albert Weiler aber verweigert die Regierung in Baku die Einreise. Grund sind zwei Reisen in das Konfliktgebiet Berg-Karabach. Weiler sprach am Dienstag mit Merkel und verzichtet auf die Mitreise. Im Gegenzug will die Kanzlerin den Fall bei Präsident Ilham Alijew ansprechen. Die Haltung Aserbaidschans sei "bedauerlich und nicht geeignet, den Dialog zu fördern", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Absagen wollte man die Reise nach Baku aber letztlich nicht. Auch dort hat Deutschland bei aller Kritik am autoritären System wirtschaftliche Interessen. So unterstützt die Bundesregierung den Bau einer Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan über die Türkei, Albanien und Griechenland nach Italien bringen soll. Die Röhre wird nur ein Drittel der Kapazität von Nordstream 2 haben. Trotzdem könne sie einen Beitrag leisten, um Deutschland weniger abhängig von russischen Gaslieferungen zu machen, heißt es in Berlin.

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SZ vom 22.08.2018/lalse
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