Reinhold Messner kam 1944 in Brixen zur Welt. Der Südtiroler ist einer der bekanntesten Bergsteiger. Er stellte zahlreiche Rekorde auf, unter anderem bestieg er als Erster den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff aus der Flasche, später erklomm er auf dieselbe Weise als erster Mensch alle Achttausender. Messner schreibt Bücher, hält Vorträge und saß eine Legislaturperiode von 1999 bis 2004 als Parteiloser für die Grünen im Europaparlament.
Er gründete das Messner Mountain Museum an sechs verschiedenen Standorten in den Alpen, das jüngste eröffnete er erst im Juli auf dem Gipfelplateau des Kronplatzes in mehr als 2200 Meter Höhe.
Das erste seiner Museen befindet sich in der Burg Juval oberhalb von Naturns. Messner kaufte den Standort als Ruine und restaurierte die Anlage. Neben den Ausstellungsbereichen hat er dort auch einen seiner Wohnsitze eingerichtet. Dort, bei einem Söllerfenster mit Sitzgelegenheiten, beginnt das folgende Interview, das einige hundert Höhenmeter tiefer enden wird.
SZ: Herr Messner, manche Südtiroler nennen die Abtrennung von Österreich noch heute illegal und den Kriegseintritt Italiens einen Verrat. Was sagen Sie?
Reinhold Messner: Verrat war es nicht. Italien hatte ja nur eine Beistandspflicht gegenüber Österreich im Falle eines Verteidigungskrieges. Aber Österreich hatte - mit deutscher Ermunterung - Serbien angegriffen mit den bekannten Folgen.
Ungerecht war die Teilung Tirols aber schon, oder?
Ungerecht ja, aber nicht ungesetzlich. Im Krieg ist leider wenig illegal und Gebietsverluste schon gar nicht. Unsere Zeit bei Italien beginnt nach dem Ersten Weltkrieg, seit genau hundert Jahren sind wir Kriegsbeute.
Wie kommen Sie denn darauf?
Weil Südtirol 1914/1915 schon längst als Kriegsbeute ausgehandelt wurde. Es war ein Kuhhandel zwischen Rom und London. Die Entente - Großbritannien, Frankreich und Russland - versprachen 1915 Italien österreichische Gebiete, darunter auch Tirol bis zum Brenner.
Südtirol wurde während des Krieges nicht erobert, obwohl Rom einen schnellen Einmarsch geplant hatte. Waren Ihre Großväter damals mit zur Stelle, um die Italiener zu stoppen?
Meine Opas waren Soldaten im Ersten Weltkrieg. Zuerst auf dem Balkan. Als Italien der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Mai 1915 den Krieg erklärte, waren unsere wehrtauglichen Männer zum Großteil schon eingezogen. Es waren also nur die Älteren da und Jugendliche. Bis reguläre Truppen kamen, haben vor allem Standschützen - Bergbauern und Bergführer - es geschafft, die Italiener aufzuhalten.
Wie ist ihnen das gelungen?
Mit Mut, Ausdauer, Tricks. Sepp Innerkofler ist dabei meine Lieblingsgestalt. Er war ein exzellenter Bergführer und besaß im Fischleintal ein Hotel. Bei Ausbruch des Gebirgskrieges erkannte dieser Innerkofler, dass man schnellstmöglich die Bergspitzen sichern muss. Also stieg er mit der "fliegenden Patrouille" schneller als die Italiener auf die Sextener Dolomitengipfel. Von Gipfel zu Gipfel. Von einem schossen sie in die Luft, auf anderen machten sie Feuer. Der Bluff funktionierte. Die Italiener glaubten, dass die Österreicher die Grenze besetzt hätten. Leider hat Innerkofler den Krieg nicht überlebt.
Was ist mit ihm passiert?
Alpini hatten den strategisch wichtigen Paternkofel besetzt. Vom Gipfel aus liegt das ganze Sextental ungeschützt da, auch das Pustertal kann man von dort einsehen. Innerkofler wusste, wenn die Italiener oben bleiben, ist Sexten verloren. Die reguläre Führung hat zuerst dann den "Sepp" herausgefordert. Mit wenigen anderen Bergführern ist er in der Dunkelheit rauf, um die Italiener auszuheben.
Und dann?
Dann ... (Messner redet nicht weiter, seine Augen werden feucht)
Ihnen kommen ja Tränen.
Sorry, es ist die Empathie, wenn ich davon erzähle. Es fühlt sich so real an, als ob ich selbst jetzt dabei gewesen wäre. Innerkofler hat seine Begleiter in sicherer Position zurückgelassen und ist den Rest alleine weitergeklettert. Dreimal ist er oben aus der Deckung gesprungen und hat jeweils eine Handgranate in die italienische Stellung geworfen. Keine der Handgranaten ging los. Er wurde erschossen. Seine Leiche wurde erst nach dem Krieg geborgen.
Eine tragische Geschichte.
Ja, sehr tragisch. Ich bin gegen Krieg. Innerkofler aber führte damals einen berechtigten und nachvollziehbaren Abwehrkampf. Es gab übrigens auch Fälle, in denen sich die befreundeten Bergführer von Südtiroler und italienischer Seite auf den Gipfeln getroffen und gemeinsam Brotzeit gemacht haben. Das durfte dann natürlich kein General erfahren.
Das Bild der Gebirgskrieger - ob sie nun Kaiserjäger, Alpini oder Gebirgsjäger heißen - ist romantisiert. Wie sah vor 100 Jahren der Kampf in eisigen Höhen denn tatsächlich aus?
Es war ein Stellungskrieg im Hochgebirge. So wie an der Westfront verschoben sich die Linien kaum. Die meisten Soldaten starben dort nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch Lawinen und andere Naturgewalten.