Reichsbürger-Razzia:AfD contra Verfassungsschutz

AfD-Anhänger mit einem Partei-Logo auf dem Hinterkopf in Magdeburg, Sachsen-Anhalt.

AfD-Anhänger mit einem Partei-Logo auf dem Hinterkopf in Magdeburg, Sachsen-Anhalt.

(Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Die AfD-Bundesspitze geht zu den gefassten Reichsbürgern schmallippig auf Distanz, die Führung in Sachsen-Anhalt kritisiert die Razzia dagegen als "billiges Ablenkungsmanöver" - und will die Befugnisse von Staatsschützern begrenzen.

Von Iris Mayer, Leipzig

Das Urteil des AfD-Fraktionsvorsitzenden aus Sachsen-Anhalt fiel eindeutig aus. "Moralisch verwerflich", befand Oliver Kirchner Ende vergangener Woche in einem Video-Interview mit dem rechtsextremen Compact-Magazin. Da hatte die Bundesanwaltschaft gerade die Mitglieder eines Reichsbürgernetzwerks verhaften lassen, denen sie vorwirft, eine terroristische Vereinigung gebildet oder unterstützt zu haben. Verwerflich fand Kirchner allerdings nicht die mutmaßliche Verschwörung zum politischen Systemsturz, sondern die Tatsache, "dass die Regierung zu solchen Mitteln greift".

Dies sei - nur einen Tag, nachdem in Illerkirchberg bei Ulm eine Schülerin von einem Asylbewerber erstochen wurde - "ein ganz billiges Ablenkungsmanöver". Sein Fazit: Die Bürger müssten nun dieser Regierung zeigen, "wo die rote Linie ist".

Kirchners Ablenkungsmanöver findet bei einigen in der AfD durchaus mehr Anklang als die Worte des Berliner Führungsduos. Tino Chrupalla und Alice Weidel hatten schmallippig verlauten lassen: "Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab." Von möglichen Aktivitäten der verhafteten ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann habe man nichts gewusst, stattdessen vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden.

Einige AfD-Größen sprechen vom "Seniorenputsch der Reichsbürgerszene"

AfD-Größen wie Thüringens Landes- und Fraktionschef Björn Höcke und eben Oliver Kirchner ziehen dagegen den "Seniorenputsch der Reichsbürgerszene" ins Lächerliche. "Diese Gruppe von 25 Menschen hätte wahrscheinlich nicht mal den Vorstand von einem Taubenzüchterverein wegputschen können", sagte Kirchner. Sein Fraktionskollege Hans-Thomas Tillschneider, selbst wegen seiner Nähe zum offiziell aufgelösten "Flügel" unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, beklagte laut Tagesschau, da werde eine Chatgruppenvereinigung systematisch aufgebauscht, und der Bundesvorstand halte nicht dagegen.

Kirchner und Tillschneider gehen nun noch einen Schritt weiter. Die AfD-Fraktion wird im Magdeburger Landtag am Donnerstag einen Antrag einbringen, der die Befugnisse des Verfassungsschutzes begrenzen soll. In der Drucksache 8/1953 fordert die mit 23 Abgeordneten größte Oppositionsfraktion, die Landesregierung möge sich dafür einsetzen, den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" wieder aus dem Beobachtungsspektrum zu streichen. Diese Kategorie wurde im April 2021 eingeführt, um demokratiefeindliche Bestrebungen auf Querdenker-Protesten zu erfassen, die sich den klassischen Kategorien Links- und Rechtsextremismus entziehen.

In diese neu gebildete Gruppe fallen Personen, die versuchen, "wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen", heißt es beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Dafür würden die Demokratie und ihre Vertreter absichtlich verächtlich gemacht, Politiker in der Corona-Krise zum Beispiel mittels "Hausbesuchen" eingeschüchtert oder durch Gewalt- und Tötungsfantasien in sozialen Medien bedroht.

"Musterbeispiel für gewaltorientierte Mischszene"

Nach der Verhaftungswelle sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, das aufgedeckte Netzwerk sei ein Musterbeispiel für die Herausbildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene, "in der Reichsbürgerideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der Delegitimierer und rechtsextremistische Narrative zusammenfließen". Die AfD, in Sachsen-Anhalt selbst seit 2021 als Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet, hält dies für einen Angriff auf die Meinungsfreiheit.

In der Kategorie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" würden Personen als verfassungsfeindlich gebrandmarkt "allein wegen deren Äußerungen, die von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit abgedeckt sind, aber im Widerspruch zur Ideologie der Staatsregierung und der sie tragenden politischen Kräfte stehen", heißt es in dem Antrag, der keine Aussicht auf eine Mehrheit hat. Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Sebastian Striegel, ist die Sache klar: "Die AfD ist und bleibt der parlamentarische Arm von rechtem Terrorismus."

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