Nach der Großrazzia in der Reichsbürgerszene sind nun 19 der 25 am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen in Untersuchungshaft. In den 19 Fällen hätten Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Haftbefehle in Vollzug gesetzt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Abend mit. Damit seien die Vorführungen für Mittwoch abgeschlossen. Planmäßig sollen auch an diesem Donnerstag noch Verdächtige den Richtern vorgeführt werden. Ihnen werde Mitgliedschaft oder Unterstützung einer "inländischen terroristischen Vereinigung" vorgeworfen. Sie wurden nach Angaben von Generalbundesanwalt Peter Frank in Deutschland, Österreich und Italien verhaftet.
Etwa 3000 Beamte des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei und der Landeskriminalämter durchsuchen seit dem Morgen im Auftrag des Generalbundesanwalts knapp 150 Objekte in elf Bundesländern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem "Abgrund einer terroristischen Bedrohung".
Wie Frank sagte, soll die mutmaßliche rechte Terrorzelle vorgehabt haben, "unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln" die demokratische Grundordnung Deutschlands zu beseitigen. Sie habe auch vorgehabt, "gewaltsam in den Bundestag einzudringen". Ein "Rat" habe die Regierungsgeschäfte übernehmen, ein "militärischer Arm" eine "neue deutsche Armee" und "Heimatschutzkompanien" aufbauen sollen. Die Angehörigen des Netzwerks hingen Verschwörungsmythen an - sowohl der sogenannten Reichsbürger als auch der "QAnon"-Bewegung.
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Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR richtet sich das Verfahren gegen 51 Beschuldigte. 25 Personen wurden vorläufig festgenommen. Bei mindestens zwei Verdächtigten rückte sogar die GSG 9, die Spezialeinheit der Bundespolizei, an, weil die Ermittler Schusswaffen bei ihnen vermuteten.
Zu den Hauptverdächtigen zählt ein seit Längerem von Ermittlern dem Reichsbürgermilieu zugerechnetes Mitglied eines früheren Adelshauses sowie eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete. Was die rechte Zelle aus Sicht der Fahnder so gefährlich macht: Unter den Verschwörern befinden sich mehrere ehemalige Offiziere von Spezialeinheiten der Bundeswehr. Sogenannte Reichsbürger erkennen weder die Existenz der Bundesrepublik noch deren Regierung oder Gesetze an.
Laut Innenministerin Faeser prüfen die Behörden weiterhin mögliche Kontakte zwischen den mutmaßlichen Rechtsterroristen und der AfD. "Natürlich schauen wir jetzt: Welche Verbindungen gibt es dort?", sagte sie. Man müsse sehr genau hinsehen. "Und natürlich ist es bitter, wenn jemand betroffen ist, der als ehemaliger Abgeordneter noch Zugang zum Deutschen Bundestag hat", sagte Faeser zur Rolle der früheren AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Sie gehe davon aus, dass die Bundestagsverwaltung schnell reagiere.
Justizminister Buschmann: "Demokratie ist wehrhaft"
Die mutmaßliche terroristische Vereinigung sei nach dem Stand der Ermittlungen "von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben" gewesen, sagte Faeser. Erst die weiteren Ermittlungen würden ein klares Bild ergeben, wie weit die Pläne schon gediehen waren. Bundesjustizminister Marco Buschmann sprach vom Verdacht, dass "ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane" geplant gewesen sei. "Demokratie ist wehrhaft", schrieb der FDP-Politiker auf Twitter. "Unsere Werte müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden", sagte auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast. "Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen."
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte dem Nachrichtenportal t-online, den Behörden sei es gelungen, "sehr konkreten Machtergreifungsplänen einen Riegel vorzuschieben und ein Netzwerk von Feinden unserer Demokratie zu zerschlagen". Der Angriff auf das Kapitol in Washington habe gezeigt, dass antidemokratischem Reden auch gegen die Demokratie gerichtete Taten folgen können. "Diese Gefahr gilt es, sehr ernst zu nehmen." FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle forderte, gegen extremistische Beamte härter vorzugehen. "Besonders problematisch ist die erneute Verbindung der Gruppe zu Bundeswehr und Polizei", sagte er mit Blick auf die mutmaßliche Terrorzelle. "Wer die staatliche Ordnung in Deutschland ablehnt oder gar beseitigen will, kann kein Beamter sein. Hier muss das öffentliche Dienstrecht schnell nachgeschärft werden."
Die Durchsuchungsaktion ist eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik. In den vergangenen Monaten hatten Bundeskriminalamt, mehrere Landeskriminalämter und Verfassungsschutzbehörden die Gruppe engmaschig beobachtet. Zahlreiche Telefone wurden demnach überwacht, Personen observiert und deren Aktivitäten im Internet verfolgt. Beim BKA laufen die Ermittlungen nach Informationen von WDR, NDR und SZ unter dem Namen "Schatten". Die Durchsuchungen, heißt es, würden noch den ganzen Tag andauern. Die Hauptbeschuldigten waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.