Regionalwahlen in Großbritannien:London wählt Nachfolger für Boris Johnson

Sadiq Khan

Labour-Bürgermeisterkandidat Sadiq Khan (rechts) wirbt auf einem Londoner Markt um Stimmen.

(Foto: AFP)
  • In Großbritannien finden am Donnerstag Regional- und Kommunalwahlen statt.
  • In Schottland werden voraussichtlich die schottischen Nationalisten (SNP) ihre Mehrheit ausbauen.
  • In London könnte erstmals ein Muslim zum Bürgermeister gewählt werden - obwohl sein Gegner versucht, ihn in die Nähe von Islamisten zu rücken.
  • Die Labour-Partei steht wegen einer Antisemitismus-Affäre unter Druck.

Von Barbara Galaktionow

Jeremy Corbyn zeigt sich demonstrativ zuversichtlich: "Wir werden keine Sitze verlieren, wir werden versuchen, Sitze zu gewinnen, wo wir können", sagte er nur zwei Tage vor den anstehenden Regionalwahlen.

Schotten, Waliser und Nordiren wählen am Donnerstag neue Regionalparlamente. Und entgegen den Aussagen des Labour-Chefs sagen Umfragen der Partei eine massive Wahlniederlage voraus. Von einem "Blutbad" ist in britischen Medien die Rede und dem schlechtesten Wahlergebnis seit Jahrzehnten.

Ausreißer London

Einzig in London dürfte die Arbeiterpartei wohl einen klaren Erfolg feiern. Der amtierende Bürgermeister, Tory-Raubein Boris Johnson, tritt nach acht Jahren Amtszeit nicht wieder an. Um seine Nachfolge konkurrieren der 45 Jahre alte Labour-Mann Sadiq Khan und der 41-jährige Tory Zac Goldsmith.

Der pakistanischstämmige Khan hat die Nase dabei bislang deutlich vorn. Khan ist der Sohn eines Busfahrers und einer Näherin, wuchs in einem Londoner Sozialbau auf und war vor seiner politischen Laufbahn als Menschenrechtsanwalt tätig. Sein Gegner Zac Goldsmith könnte kaum unterschiedlicher sein. Der Milliardenerbe besuchte (wie Premierminister David Cameron) das Elite-College Eton, anschließend das Cambridge Centre for Sixth-form Studies. Seit 2010 ist er Abgeordneter im britischen Unterhaus (bei der BBC finden sich Kurzporträts aller Londoner Bürgermeisterkandidaten).

Dem Großteil der Londoner scheint nun offenbar Khan, der die Härten des Lebens aus eigener Erfahrung kennt, fähiger, die anstehenden Probleme der Metropole zu lösen, als sein Konkurrent, vor allem das Problem der ausufernden Miet- und Immobilienpreise.

Hinzu kommt, dass Khan wie die Mehrheit der Londoner für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ist, während Goldsmith sich für einen "Brexit" ausspricht. Das am 23. Juni anstehende EU-Referendum spielt bei den Kommunal- und Regionalwahlen zwar offiziell keine Rolle, doch erhoffen sich Beobachter aus dem Wahlergebnis zumindest Hinweise darauf, wie es um die Austrittswilligkeit der Briten bestellt ist.

Die Position Khans war bislang so stark, dass selbst der mit harten, ja durchaus schmutzigen Bandagen geführte Wahlkampf seines Gegners ihm nichts anhaben konnte. So versuchte Goldsmith mehrfach, den Muslim Khan in die Nähe von islamistischen Extremisten zu rücken. "Werden wir die großartigste Stadt der Welt tatsächlich an eine Labour-Partei übergeben, die Terroristen für Freunde hält?", prangt beispielsweise über einem Gastbeitrag, den Goldsmith am Wochenende in der Mail on Sunday veröffentlichte.

Wie Labour sich selbst schadet

Was Goldsmith nicht gelang, könnte die Labour-Partei jetzt jedoch selbst erledigen: sich und ihrem Kandidaten zu schaden. Ausgerechnet in der Woche vor den Wahlen macht der Partei nämlich eine Antisemitismus-Affäre zu schaffen, die immer weiter ausufert. Mehrere Labour-Abgeordnete sorgten mit fragwürdigen Äußerungen zu Israel und Hitler-Verharmlosungen für Aufsehen, darunter auch der frühere Londoner Bürgermeister Ken Livingston (hier mehr dazu).

Ob die Affäre die Wahlchancen Sadiq Khans beeinträchtigt, wird sich zeigen. Der Bürgermeisterkandidat beeilte sich jedenfalls, jüdischen Wähler zu versichern, es sei falsch, wenn ihnen das Gefühl gegeben werde, sie hätten in der Labour-Partei nichts verloren. Von Parteichef Corbyn forderte er, die Affäre "schnell und entschieden" zu beenden.

Schottische Nationalisten unangefochten vorn

Im Gegensatz zu London scheint Labour bei der Regionalwahl in Schottland nicht mehr viel zu verlieren zu haben - ob mit oder ohne Antisemitismus-Skandal. Hier wird die linksgerichtete Scottish National Party (SNP) unter Parteichefin Nicola Sturgeon mit ziemlicher Sicherheit erneut die absolute Mehrheit erringen - jüngsten Umfragen zufolge sogar mit noch mehr Stimmen als 2011.

Labour muss hingegen damit rechnen, nicht einmal mehr zweitstärkste Kraft zu werden, sondern noch hinter den Tories zu landen. Es wäre das erste Mal seit mehr als einem Jahrhundert.

Der drohende Brexit spielt auch im schottischen Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Die übergroße Mehrheit der Schotten will ohnehin in der EU bleiben. Interessant würde es hier erst, wenn die Mehrzahl der Briten sich beim Referendum für einen Ausstieg aus der Union entscheiden würde. Für den Fall eines Brexit hat nämlich die SNP mit einer neuen Volksbefragung über die Unabhängigkeit Schottlands gedroht - 2014 war die Partei mit ihrem Vorstoß nur knapp gescheitert.

Ähnlich wie in Schottland ist auch in Wales die Bereitschaft zum Brexit eher gering. Inzwischen scheint sie jedoch zu wachsen. Zwar ist die Waliser-Partei Plaid Cymru, die sich für eine Unabhängigkeit von Großbritannien einsetzt, weit von den Erfolgen der SNP in Schottland entfernt. Doch könnte die EU-kritische Ukip-Partei erstmals in die walisische Nationalversammlung einziehen. Parteichef Nigel Farage sagte, er rechne mit mindestens fünf Sitzen für seine Partei.

Labour droht hingegen auch in Wales ein kleiner Dämpfer. Zwar wird sie hier wohl weiterhin stärkste Kraft bleiben, doch muss sie mit Stimmenverlusten rechnen.

Ganz anders sieht die Lage in Nordirland aus. Hier wird die Wahl vor allem von der Konkurrenz zwischen der nationalistischen Sinn Fein und der London-freundlichen Democratic Unionist Party (DUP) bestimmt. Da das Land seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 von einer Einheitsregierung regiert wird, geht es im Wesentlichen darum, welche der beiden Parteien den Ministerpräsidenten stellt. Bislang hat das Amt Arlene Foster von der DUP inne. Umfragen deuten darauf hin, dass es so bleibt.

(Mit Material von dpa)

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