Regionalwahlen in Frankreich:Gegen Le Pen - gemeinsam oder einsam

Regionalwahlen in Frankreich: Dunkle Vorahnungen: François Hollande und Nicolas Sarkozy bei der Stimmabgabe am gestrigen Wahl-Sonntag

Dunkle Vorahnungen: François Hollande und Nicolas Sarkozy bei der Stimmabgabe am gestrigen Wahl-Sonntag

(Foto: AFP/AP)

Nach dem Sieg der Rechtsextremen bei den Regionalwahlen suchen Frankreichs Politiker der Mitte nach Strategien - bald sind Stichwahlen.

Von Paul Munzinger

Der Front National, jubelte Parteichefin Marine Le Pen am Sonntagabend, sei "von nun an unbestritten die erste Partei Frankreichs". Sie sei berufen, "die nationale Einheit zu erreichen, die das Land braucht". Das französische Volk habe sich nicht einschüchtern lassen von "den Feudalherren aus Medien und Politik", und jene Partei an die Spitze gewählt, die als einzige wahrhaft republikanisch, gerecht, französisch sei: den Front National.

Am Montagmorgen dann versuchte Le Pen das Triumphgeheul, das sie bei Twitter losgelassen hatte, ein wenig staatsmännisch einzufangen. Sie übe sich nicht in Triumphalismus, teilte sie mit, den Schlüssel zur Wahl halte noch immer der Wähler in der Hand.

Strenggenommen ist der Triumph des FN in den französischen Regionalwahlen noch ein vorläufiger. Am kommenden Sonntag, wenn es in die Stichwahlen geht, haben die Franzosen die Gelegenheit, Le Pen eines Besseren zu belehren und zu zeigen, dass die Rechtsextremen nicht zur ersten Partei Frankreichs aufgestiegen sind. Und doch ist der Wahlerfolg jetzt schon historisch.

Der Islamische Staat und der französische Präsident

Mit 28 Prozent landete der Front National vor dem bürgerlichen Lager um Ex-Präsident Nicolas Sarkozy (27 Prozent) und den Sozialisten von Präsident François Hollande (23,5 Prozent) - und erzielte sein bestes Ergebnis bei landesweiten Wahlen. In sechs von dreizehn Regionen des Landes liegen die Kandidaten des FN nach der ersten Runde vorne, unter ihnen sind die Parteichefin selbst und ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen. In mindestens drei der sechs Regionen werden dem Front gute Chancen eingeräumt, auch die Stichwahl zu gewinnen und künftig den Regionalpräsidenten zu stellen. Frankreich steht unter "Schock", wie es der konservative Figaro heute auf seiner Titelseite schreibt. Doch es ist ein Schock mit Ansage.

"Marine Le Pen kann sich für diesen Erfolg bei zwei politischen Akteuren bedanken", kommentiert der Nouvel Observateur. "Beim Islamischen Staat und bei François Hollande". Der Islamische Staat steht, drei Wochen nach den Terroranschlägen von Paris mit 130 Toten, für das kurzfristige Moment, das den Front auf fast 30 Prozent trug. Präsident Hollande repräsentiert die etablierten Parteien, die den Aufstieg der rechtsextremen und islamophoben Partei seit Jahren nicht aufhalten können. "Der Zorn der Bürger über die Machtlosigkeit und die Niederlagen der Regierungen der vergangenen Jahrzehnte hat sich langsam entwickelt", schreibt Le Figaro. "Doch Präsident François Hollande hat das traurige Privileg, diesen Zorn zum Ausbruch gebracht zu haben."

Strategien gegen den Aufstieg des FN

Nun ist der Streit in vollem Gange, wie sich der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Front National aufhalten lässt. Auch hier gibt es zwei Perspektiven: eine kurzfristige, mit Blick auf die Stichwahlen am kommenden Wochenende. Und eine langfristige, die bereits sorgenvoll auf die Präsidentschaftswahl 2017 schaut.

Unter den aktuellen Voraussetzungen, schreibt die Zeitung Libération, müsse sich "die klassische Logik des wichtigsten Feindes" durchsetzen: "Jeder wirkliche Republikaner muss einsehen, dass ihm das Schlimmste noch bevorsteht. Deshalb muss er alles tun, um das zu verhindern." Getreu dieser Logik werden die Sozialisten in zwei für sie aussichtslosen Regionen nicht mehr antreten, um den konservativen Kandidaten zu stärken; in der an Deutschland grenzenden Region Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne weigert sich der sozialistische Spitzenkandidat allerdings noch.

Auch die Konservativen folgen dieser Logik nicht, was ihr von Premierminister Manuel Valls umgehend den Vorwurf "großer Verantwortungslosigkeit" einbrachte. Das Lager um Sarkozys Républicains ist nicht bereit, die eigenen Ambitionen dem Wohl der Republik zu opfern. Schon am Sonntag erklärte Sarkozy, es würden weder Listen zurückgezogen noch mit den Sozialisten zusammengelegt. Das konservativ-bürgerliche Lager sei "die einzig mögliche Alternative", und Sarkozy hofft noch darauf, FN-Wähler wieder auf seine Seite zu ziehen. Er verstehe ihre Sorgen, versicherte er, doch vom Front National hätten sie keine Antwort zu erwarten; die Partei würde die Situation Frankreichs "dramatisch verschlechtern". Zugleich appellierte der Ex-Präsident an die Nichtwähler, am kommenden Sonntag wählen zu gehen. Sie könnten bei den Stichwahlen zu einem wichtigen Faktor werden.

Die französischen Medien beschränken sich nicht mit einem Ausblick auf kommenden Sonntag. In zwei Jahren stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an, und die Regionalwahlen deuten auf eine Verschiebung der politischen Gewichte hin: aus zwei Polen, den Konservativen und den Linken, sind drei geworden: die Nationalisten haben sich zur ernstzunehmenden politischen Kraft entwickelt. Was würde ein Franzose denken, der in diesen Tagen aus einem langen Koma erwacht, fragt sich Le Monde - würde er glauben, er befinde sich einer Fiktion à la Michel Houellebecq? Die Zeitung Le Parisien bleibt nüchtern und konstatiert düster: Eineinhalb Jahren vor den Wahlen stehe Marine Le Pen "an den Toren der Macht".

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