Regierungswechsel in Baden-Württemberg:Grün-Rot, allein unter Schwarzen

Im Wahlkampf schimpften Grüne und SPD über schwarzen Filz im Südwesten, nun sind sie auf die Loyalität konservativer Beamter angewiesen. Der designierte Landesvater Winfried Kretschmann lobt sie vorsorglich.

Roman Deininger

Der neue rote Innenminister betrat zum ersten Mal sein Ministerium, nach zwei Metern scheiterte er am Pförtner. Erst nach Vorlage des Personalausweises durfte Frieder Birzele passieren. So, erzählen Sozialdemokraten, hat sich das 1992 in Stuttgart zugetragen, als die CDU ihre zwanzig Jahre währende absolute Mehrheit in Baden-Württemberg verloren hatte und mit der SPD koalieren musste.

Gruene und SPD unterzeichnen Koalitionsvertrag

SPD-Chef Nils Schmid (links) und der kommende grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages: Ankunft der unheimlichen Wesen.

(Foto: dapd)

Birzele schlug sich durch in sein Ministerbüro, hilfreiche Beamte traf er dort aber nicht an. Die hielten sich einen Stock tiefer verschanzt, aus Angst vor dem Sozi, dem unheimlichen Wesen.

19 Jahre später wird der baden-württembergischen Beamtenschaft noch viel mehr abverlangt. An diesem Donnerstag wird das neue Kabinett vereidigt, spätestens am Freitagmorgen halten die Minister Einzug in ihre Häuser. Die unheimlichen Wesen werden nicht nur rot sein diesmal, sondern auch grün.

Seit 58 Jahren regiert die CDU im Südwesten, gefühlt seit der Staufer-Zeit. Noch im Wahlkampf schimpften Grüne und SPD hingebungsvoll über den "schwarzen Filz" in der Verwaltung. Nun sind sie auf genau deren Wohlwollen angewiesen, zumal ja die Grünen völlige Anfänger sind im Handwerk des Regierens.

Die SPD war bis 1996 Partner der CDU, ein paar rote Veteranen gibt es noch im Staatsapparat. Aber wer bisher ebendort Karriere machen wollte, erweiterte seine Bibliothek um ein schwarzes Parteibuch. Auch sonst ist Baden-Württemberg immer noch ein schwarzes Land: Die Christdemokraten stellen die meisten Landräte und Sparkassenchefs, sie führen das Rote Kreuz und den Blasmusikverband.

Wenigstens die politischen Spitzenbeamten in den Ministerien wird Grün-Rot nun auswechseln: die Amtschefs, die Pressesprecher, die persönlichen Referenten, ein halbes Dutzend Leute in jedem Haus. Auch die vier Regierungspräsidenten können sich langfristig ihrer Jobs nicht sicher sein.

Darüber hinaus sind personelle Veränderungen aber schwierig und vor allem teuer - neue Kräfte müssten eingestellt, alte gebührend versetzt werden. Und einen Überfluss an kompetenten Kandidaten kann es bei den Grünen mit ihren nur 8000 Mitgliedern gar nicht geben. Immerhin ist das grüne Parteibuch begehrter denn je: 350 Überzeugte und Vorausschauende schafften es sich seit dem Wahlsieg an.

Die Koalitionäre versichern jedenfalls, ihnen sei keineswegs bange, dass Bürokraten ihren Schwung ausbremsen könnten. Der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling nährt diese Hoffnung: "Wenn man die Beamten vernünftig behandelt, arbeiten sie professionell und loyal."

Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat mit der vernünftigen Behandlung vorsorglich schon begonnen und verweist dauernd auf den "bundesweit guten Ruf" der Verwaltung. Aus der wurden zuletzt sogar Klagen über den scheidenden Regierungschef Stefan Mappus laut, der ihren Sachverstand zu wenig nutzte.

Ob die Beamten aber nun gleich den "Geist der neuen Regierung" atmen, wie sich das der künftige grüne Umweltminister Winfried Hermann wünscht? Die erste Begegnung mit ihren Pförtnern wird den Ministern einen Fingerzeig geben.

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