Regierungskrise in Pakistan:Störfeuer aus der Armee

Pakistans Oberstes Gericht veranlasst die Festnahme des Premiers, ein einflussreicher Prediger nennt Parlamentarier "Räuber, Diebe und Gangster". Viele Pakistaner vermuten hinter all dem das mächtige Militär, das vor der Wahl im März die demokratischen Institutionen schwächen will.

Von Tobias Matern

Jahrelang lebte Muhammad Tahir ul Qadri in Kanada, er hat inzwischen sogar die doppelte Staatsbürgerschaft. Aber seit der moderate Geistliche vor einigen Wochen in sein Geburtsland Pakistan zurückgekehrt ist und eine Protestbewegung anführt, wirbelt er die politische Landschaft des Atomstaates durcheinander und könnte den Sturz der Regierung entscheidend beeinflussen.

Für Hunderttausende Menschen in der muslimischen Nation ist der 61-Jährige ein Held, ein moralisch denkender Mann, der sich aufgemacht hat, der korrupten Politikerkaste endlich das Handwerk zu legen. Für einen anderen Teil der Bevölkerung tanzt der Populist mit seinen simplen Botschaften wie eine Marionette an den Fäden der Generäle und gibt den Handlanger für die Institution, die in der 65-jährigen bewegten Geschichte Pakistans entweder offen oder im Hintergrund die Strippen gezogen hat: das Militär.

Obwohl die Amtszeit der Regierung im März nach fünf Jahren ausläuft und spätestens im Mai Wahlen stattfinden müssten, ist die Armee offenbar schon jetzt darum bemüht, die zivile Regierung zu zerlegen und einer genehmeren politischen Führung den Weg an die Macht zu ebnen. Für die Truppe um den zwielichtigen Präsidenten Asif Ali Zardari wird es nun eng, denn sie steht von mehreren Seiten unter Beschuss: Am Dienstag ordnete das Oberste Gericht in Islamabad die Verhaftung von Premierminister Raja Pervez Ashraf an - aufgrund alter Korruptionsvorwürfe. Innerhalb von 24 Stunden soll er sich der Justiz stellen.

"Räuber, Diebe, Gangster"

Die richterliche Order, die sich gegen den Regierungschef und 15 weitere Beschuldigte richtet, kam exakt zu dem Zeitpunkt, als Qadri vor Zehntausenden Anhängern in Islamabad eine feurige Rede hielt. Darin kündigte er eine "Revolution" an und gab zu verstehen, dass er den Demonstranten nur zu befehlen brauche, die Regierungsgebäude zu stürmen. Aber er wolle sich lieber auf friedliche Mittel konzentrieren, keine Anarchie verbreiten, sondern sie beenden, sagte der zum Protestführer gewandelte Geistliche.

Von der bisherigen Form der pakistanischen Demokratie profitiere nur ein Prozent der Menschen in Pakistan, erklärte Qadri. Diese Beschreibung kommt der Realität im Feudalstaat Pakistan, in dem wenige alles und viele nichts haben, tatsächlich sehr nahe. Es gebe eigentlich gar "kein Parlament", giftete Qadri in seiner Rede, die er hinter einer kugelsicheren Scheibe in unmittelbarer Nähe zum Parlamentsgebäude hielt: "Es gibt nur eine Gruppe von Räubern, Dieben und Gangstern.

Unsere Gesetzesmacher sind die Gesetzesbrecher", sagte er unter dem Jubel seiner Anhänger und forderte eine von Technokraten geführte und vom Militär gestützte Übergangsregierung. Die Regierung habe bis Mittwochmorgen Zeit, ihr Mandat niederzulegen und das Parlament aufzulösen. Der Geistliche ließ keinen Zweifel daran, welche Institutionen Respekt verdient hätten: die Armee und das Oberste Gericht. Während der Kundgebung kam es zu Rangeleien zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, die Polizei feuerte einige Schüsse in die Luft ab.

Persönlicher Rachefeldzug

Schon der zum Politiker gewandelte ehemalige Cricket-Star Imran Khan galt als vom Militär auserkorener ziviler Anführer, der die Regierung in Bedrängnis bringen sollte. Nachdem seine Bewegung aber an Zulauf verloren hatte, sei Qadri nun in seine Rolle geschlüpft, sagen Beobachter in Islamabad. Dass es sich bei dem vom Obersten Gericht angeordneten Haftbefehl gegen den Premier und bei dem schrillen Auftritt Qadris um eine gemeinsame Aktion von Justiz und Armee gegen die Politik handelt, liegt nahe, ist aber nicht sicher.

Regierungsvertreter vermuten einen Putschversuch

Denn das Verfassungsgericht unter Führung des Obersten Richters Iftikhar Muhammad Chaudhry hat in den vergangenen Jahren auch alte Verfahren gegen den militärischen Geheimdienst ISI vorangetrieben - lange Zeit wäre es in Pakistan undenkbar gewesen, sich mit dieser Institution anzulegen. Chaudhry stellt aber einen anderen Kampf in das Zentrum seiner Arbeit: den gegen die Regierung um Präsident Zardari, der im Volksmund als "Mister Zehn Prozent" verspottet wird, weil er sich früher bei Staatsgeschäften diesen Anteil abgezwackt haben soll.

Der Staatschef hatte mit aller Macht versucht, die Wiedereinsetzung Chaudhrys, der vom früheren Militärmachthaber Pervez Musharraf geschasst worden war, zu verhindern. Doch Zardari scheiterte mit diesem Ansinnen, es ist also möglich, dass Chaudhry sich auch auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen den Präsidenten befindet.

Gemeinsame Verschwörung

Schon Ashrafs Vorgänger als Premier, Jusuf Raza Gilani, war von den Richtern aus dem Amt gedrängt worden. Gilani hatte sich standhaft geweigert, die Wiederaufnahme eines Geldwäscheverfahrens gegen Präsident Zardari zu unterstützen. Dies hatten die Richter in Islamabad gefordert.

Aus Sicht der Regierung ist der aktuelle Fall eindeutig. Es handele sich um eine gemeinsame Verschwörung von Justiz und Armee, um eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen, sagte ein Berater des Premierministers. Informationsminister Qamar Zaman Kaira erklärte hingegen, die Regierung, warte zunächst einmal die schriftliche Anordnung des Obersten Gerichts ab.

Die Justiz wirft Ashraf vor, im großen Stil Schmiergelder bei der Vergabe von Verträgen im Energiesektor eingestrichen zu haben. Der Premier war zuvor in diesem Bereich als Minister tätig. Eines der zentralen Versprechen der Regierung war es, die Probleme im Energiesektor zumindest zu verringern. Aber nach wie vor haben die Menschen in Pakistan mit regelmäßigen, zum Teil stundenlangen Stromausfällen zu kämpfen.

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