Süddeutsche Zeitung

Regierungskrise in Italien:Renzi will ohne Neuwahlen an die Macht

PD-Chef Matteo Renzi hat seinen Parteikollegen Enrico Letta zu Fall gebracht und wird ihm nun wahrscheinlich als Ministerpräsident Italiens nachfolgen. Wegen der ausstehenden Wahlrechtsreform will er zunächst ohne ein Votum der Bürger regieren.

Von Andrea Bachstein, Rom

Wochenlang hat Matteo Renzi, der Vorsitzende der italienischen Sozialdemokraten, den sozialdemokratischen Premier Enrico Letta attackiert - nun hat er ihn gestürzt. Nachdem das erweiterte Parteipräsidium des Partito Democratico (PD) am Donnerstagabend ein Kabinett unter einem Ministerpräsidenten Renzi forderte, scheint dessen Plan jetzt aufzugehen: Er möchte eine neue Regierung in Italien durchsetzen, ohne zunächst den Weg über Neuwahlen zu gehen. Lange war in Rom gerätselt worden, ob Renzi dieses Risiko eingehen werde. Bei dessen Rede am Nachmittag wurde jedoch schnell klar: Er will.

Ohne das Wort Premierminister auszusprechen, gab Renzi zu verstehen, dass er bereit sei, Verantwortung für eine "radikal" veränderte Politik zu übernehmen. Er wolle auch in Kauf nehmen, dabei womöglich "verbrannt zu werden". Das ließ sich nur so deuten, dass Renzi, der bisherige Bürgermeister von Florenz, seinen Parteifreund Letta von der Regierungsspitze verdrängen wollte. Prompt zogen Lettas Anhänger aus der Parteiversammlung aus. Der Rest war Formsache. Letta, der im Palazzo Chigi, dem Sitz des Premiers in Rom, auf den Ausgang der Abstimmung wartete, zog sofort die Konsequenz und kündigte für diesen Freitag seinen Rücktritt an. Eine Reise nach Großbritannien, die für kommende Woche geplant war, hatte er schon zuvor absagen lassen.

Renzi muss nun zeigen, ob er die hohen Erwartungen erfüllen kann, die er selbst geweckt hat. In seiner Rede sprach er davon, dass man "gemeinsam aus dem Sumpf kommen" müsse. Italien könne sich nicht weitere Monate der Unsicherheit leisten. In den Wochen zuvor hatte Renzi dem Premier Letta immer wieder vorgehalten, dringend notwendige Reformen von Staatsstrukturen, Arbeitsmarkt und Steuersystem kämen zu langsam voran. "Die Batterie der Regierung ist leer, wir müssen entscheiden, ob sie aufgeladen oder ausgewechselt wird", hatte Renzi dieser Tage seine Sicht der Lage beschrieben. In Abwägung der Risiken sei er dafür, dass die Partei sich der Regierungsverantwortung weiter stelle. Gegen Neuwahlen spreche das Risiko, dass dann wieder keine Seite als klarer Sieger hervorgehe - das Wahlrecht harrt derzeit noch einer Reform.

Das Treffen der Parteispitze, so betonte Renzi , sei kein "Prozess gegen die Regierung", wie es mancher behauptet habe. Er danke der Regierung für die "bemerkenswerte" Arbeit, die sie unter schwierigen Bedingungen geleistet habe. Aber es brauche jetzt eine radikale Veränderung, ein konkretes Programm, "das ist der einzige Weg, den sich die PD jetzt erlauben kann".

Renzi hatte es bisher abgelehnt, ohne die Legitimierung einer Parlamentswahl die Regierung zu übernehmen. Am Mittwoch war er medienwirksam im Smart eines Freundes am Palazzo Chigi zu einer Aussprache mit Letta vorgefahren. "Positiv" sei dieses Treffen verlaufen, hieß es danach vage, aber nichts deutete darauf hin. Vielmehr sickerte durch, Renzi habe Letta an den Kopf geworfen: "Deine Regierung will keiner mehr." Stunden später nannte der Premier dies eine "offene Aussprache" und sagte: "Wenn jemand meinen Posten will, soll er es sagen." Einfach zurücktreten werde er nicht. "Ich bin gelassen - Zen."

Allein, ohne Minister an seiner Seite, hatte Letta noch ein Reformprogramm präsentiert, das er "Einsatz Italien" nannte. Es war der vergebliche Versuch einer Flucht nach vorn. Es sei sein Angebot an das Land und an seine Partei, so Letta. Böse Zungen wie der Senator Roberto Formigoni vom PD-Koalitionspartner Neue Rechte Mitte hatten gewitzelt, es handele sich eher um "ein Vermächtnis als ein Programm".

Renzi plant Steuererleichterungen

Zu den Prioritäten seines Plans gehörte die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts, eine Voraussetzung für Neuwahlen, an der auch Renzi nicht vorbeikommen wird. Ansonsten plante Letta eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Reduzierung der Steuerlasten. Der Noch-Premier machte jedoch auch deutlich, dass er keine Anhebung der Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent wolle.

Zu den Erfolgen seiner Regierung zählte Letta, dass nun Entwürfe für die Wahlrechtsreform dem Parlament vorlägen und dass es Anzeichen für eine Erholung der Wirtschaft gebe. Er wies aber auch auf die schwierigen Bedingungen seiner Regierung hin. Die Koalition mit der kleinen Partei "Bürger-Wahl" und mit Silvio Berlusconis Partei PDL war unter Schmerzen und trotz großer politischer Differenzen entstanden. Dann musste es die Koalition verkraften, dass die PDL sich in zwei neue Parteien teilte, von denen nur die kleinere, Neue Rechte Mitte, im Regierungsbündnis blieb. Es sei ständig so gewesen, sagte Letta, als ob "jeder Tag der letzte sein könnte". Nun ist er tatsächlich gekommen. Und Letta sagt, er habe in den zehn Monaten an der Regierung das maximal Mögliche getan.

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SZ vom 14.02.2014/mane
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