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Regierungskrise in Irland:Das Ende der Grünen Republik

Bislang prägten Irlands Politik der Unabhängigkeitskampf und seine Parteien. Sie richteten es sich an der Macht bequem ein - und könnten dafür bald abgestraft werden.

Wolfgang Koydl, London

Es kommt nicht oft vor, dass eine Partei ihren Stimmenanteil bei den Wählern binnen weniger Jahre verdreifacht, und wenn es geschieht, dann ist dies gemeinhin ein Indiz dafür, dass in dem betreffenden Land die tektonischen Platten der herkömmlichen Politik ins Rutschen geraten sind.

Eine derart monumentale Bewegung lässt sich in Irland beobachten, wo die anscheinend bis in alle Ewigkeit auf den dritten Platz verdammte Labour Party gute Chancen hat, bei den für Anfang nächsten Jahres geplanten vorgezogenen Parlamentswahlen an den beiden Traditionsparteien Fianna Fáil und Fine Gael vorbeizuziehen und zum ersten Mal in der Geschichte des Landes den Taoiseach zu stellen, wie die Iren ihren Regierungschef nennen.

Bei den Parlamentswahlen vor drei Jahren kam sie auf zehn Prozent, jetzt geben ihr Umfragen knapp 30.

Nun ist es nicht so, dass Labour oder ihr Vorsitzender Eamon Gilmore besonders inspirierend, innovativ oder attraktiv wären. Der 55-Jährige führt eine traditionelle sozialdemokratische Partei, nicht viel anders als ihre Schwesterparteien in anderen Teilen Europas, wo die Sozialdemokratie - siehe Großbritannien, Deutschland, Frankreich oder Schweden - letzthin ordentlich Federn lassen musste.

Irlands Labouristas profitieren denn auch weniger von eigenen Leistungen als vielmehr vom Totalversagen der politischen Konkurrenz und von der Tatsache, dass sie nicht auf dieselben politischen Wurzeln zurückblicken wie Fianna Fáil und Fine Gael. Diese beiden Organisationen stehen - wie auch Sinn Féin, der einstige politische Arm der Terrororganisation IRA - in der stolzen Tradition des Unabhängigkeitskampfes gegen die britische Unterdrückung.

Herkömmliche politische Etiketten wie konservativ, liberal, christdemokratisch haften nicht an ihnen. Sie sind grün, aber nicht im ökologischen, sondern im republikanischen Sinn: Kämpfer für die Freiheit der Grünen Insel. Seit der Unabhängigkeit haben diese Kräfte das Schicksal der Republik bestimmt. Sie bekämpften sich in einem grausamen Bürgerkrieg, dessen Wunden bis heute nicht vernarbt sind, sie lösten sich an der Macht ab, und sie bauten dabei ein lukratives System von Filz, Patronage und Kungelei auf.

Jahrelang hatte sich beim Wähler Überdruss aufgestaut an diesem System, das zudem nicht mehr in die Zeit zu passen schien. Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre versöhnte die Iren noch einmal mit der alten Garde, doch die ökonomische Kernschmelze ließ den letzten Rest an gutem Willen endgültig verfliegen. Nach dem wirtschaftlichen steht Irland nun ein politischer Erdrutsch bevor - und beides muss nicht schlecht sein für das Land.

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