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Regierungskrise in Großbritannien:Browns Regierung zerfällt

"Ich werde nicht davonlaufen": Obwohl Premier Gordon Brown in wenigen Tagen sechs Minister verloren hat, denkt er weiter nicht an Rücktritt.

Wolfgang Koydl und Andreas Oldag

Der britische Premier Gordon Brown hat trotz einer beispiellosen Rücktrittswelle von Ministern am Freitagabend ausgeschlossen, sein Amt zur Verfügung zu stellen.

"Wenn ich nicht der Meinung wäre, dass ich die beste Person für die Aufgabe bin, würde ich nicht hier stehen", erklärte er einen Tag nach Lokalwahlen, bei denen seine Labour-Partei dramatische Verluste erlitt. Labour verlor die letzten vier englischen Grafschaften, die sie kontrollierte, und erreichte Umfragen zufolge nur 17 Prozent.

Brown betonte, dass er die Verantwortung übernehme, ohne jedoch auf Nachfragen ins Detail zu gehen, wofür er sich verantwortlich erkläre. Er versicherte indes, dass er angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und der politischen Krise aufgrund des Spesenskandals in Großbritannien "seine Pflicht" tun müsse.

"Ich werde nicht wanken"

"Ich werde mich nie davor drücken", erklärte er wiederholt. "Ich verfüge über tiefe Reserven an Stärke und werde nicht wanken." Brown verteidigte seine Kabinettsumbildung, bei der die meisten der wichtigsten Posten nicht neu besetzt wurden.

Schatzkanzler Alistair Darling, Außenminister David Miliband, Wirtschaftsminister Peter Mandelson und Justizminister Jack Straw blieben im Amt und versicherten dem Regierungschef ihrer Unterstützung. Diese Unterstützung war in Zweifel gezogen worden, nachdem Arbeitsminister James Purnell, einer der fähigsten Minister in der Regierung, in der Nacht zu Freitag zurückgetreten und Brown ebenfalls zum Amtsverzicht aufgefordert hatte.

Nur so könne Labour eine Niederlage bei der nächsten Unterhauswahl abwenden. Er fand jedoch keine Rückendeckung durch andere Kabinettsmitglieder. Nur Europa-Ministerin Caroline Flint kritisierte den Premier.

Am Freitag legten Verteidigungsminister John Hutton, Verkehrsminister Geoff Hoon und Wohnungsbauministerin Margaret Beckett ihre Ämter nieder. Hutton ging aus familiären Gründen, Hoon infolge des Spesenskandals und Beckett aus Enttäuschung darüber, dass sie bei der Kabinettsumbildung keinen höheren Posten erhalten hatte.

Damit hat Premierminister Brown in wenigen Tagen sechs Kabinettsmitglieder verloren. In der Nacht zu Freitag hatte Arbeitsminister James Purnell sein Amt aufgegeben, in den Tagen zuvor waren Innenministerin Jacqui Smith und Regionalministerin Hazel Blears zurückgetreten. Zudem hatten zwei Staatssekretäre ihre Ämter niedergelegt.

Ein hektischer Versuch, die freien Posten zu besetzen

Hintergrund der Regierungskrise ist die Spesenaffäre britischer Politiker. Abgeordnete aller Parteien haben sich mit fragwürdigen Abrechnungen und in teilweise betrügerischer Absicht auf Kosten der Steuerzahler bereichert. Kritiker werfen Brown vor, zu zögerlich gehandelt zu haben, um rechtzeitig politisch belastete Minister aus seinem Kabinett zu entfernen.

So wirkte seine Kabinettsumbildung am Freitag eher als hektischer Versuch, die frei gewordenen Posten zu besetzen. Neuer Innenminister soll der bisherige Gesundheitsminister Alan Johnson werden. Johnson gilt auch als möglicher Nachfolger Browns. Verteidigungsminister wird Bob Ainsworth, der bisher Staatssekretär für die Streitkräfte gewesen ist.

Der konservative Parteichef David Cameron und der Chef der Liberalen, Nick Clegg, forderten unverzüglich Parlaments-Neuwahlen. Gordon Brown, der als Nachfolger von Tony Blair im Sommer 2007 Premierminister geworden war, muss spätestens bis Juni 2010 Wahlen ausrufen. Umfragen zeigen, dass derzeit die Konservativen hoch gewinnen würden.

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SZ vom 6.6.2009/liv
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