Regierungskrise in den Niederlanden:Merkels verlorene Verbündete

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Die Schuldenberge wachsen und wachsen: Im fünften Jahr der Krise weigern sich immer mehr Regierungen in Europa, die versprochenen Sparvorhaben einzuhalten. Weil die Bürger protestieren. Weil die Unternehmen pleitegehen. Und weil die Regierungen Sorge haben, aus dem Amt gejagt zu werden. Kanzlerin Merkel verliert so einen Verbündeten nach dem anderen.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Gibt ein normaler Bürger weniger Geld aus, als er einnimmt, nennt er das sparen. Wenn Europas Regierungen sagen, sie sparen, ist das anders gemeint. Sie geben weiterhin mehr Geld aus, als sie einnehmen, nur eben nicht mehr ganz so viel mehr als zuvor. Verbal wird gespart, real wird mehr ausgegeben. Das Ergebnis dieser unkonventionellen Definition des Wörtchens sparen ist ein sehr einfaches. Die Schuldenberge wachsen, und zwar ununterbrochen. Vom Sparen im eigentlichen Sinn kann also in Europa keine Rede sein.

Und jetzt, im fünften Jahr der Krise, weigern sich zudem immer mehr Regierungen, die einst selbst versprochenen Sparvorhaben überhaupt einzuhalten. Weil die Bürger protestieren. Weil die Unternehmen pleitegehen. Und weil die Regierungen Sorge haben, aus dem Amt gejagt zu werden. Die Sparpolitik, von den Regierungen mühsam geschaffen und durchgesetzt, um aus der Krise zu führen und damit überhaupt erst nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen, ist auf bestem Wege zu scheitern.

Gerade hat sie ein neues Opfer gefordert. In dem Klub der 17 Euro-Länder muss die sechste Regierung vorzeitig gehen. Der niederländische Premier Mark Rutte hat am Montag der Königin den Rücktritt des Kabinetts angeboten. Das Scheitern der niederländischen Regierung markiert eine neue Qualität der fortdauernden Krise.

Vor zwei Jahren, in Irland, musste die Regierung wegen der Bankenkrise gehen; in Portugal scheiterte sie an Sparpaketen. In Italien, Griechenland und Spanien mussten die Regierungen vorzeitig abtreten, weil sie unwillig bis unfähig waren, Auswege aus der dramatischen Schuldenkrise zu finden. In den Niederlanden muss die siebte Regierung nun gehen, weil sie noch nicht einmal versprechen kann, die ganz normalen europäischen Haushaltsziele einzuhalten.

Der Bundesregierung kommen die Verbündeten abhanden

Es sind nicht nur die Rechtspopulisten um Geert Wilders, sondern auch die Linken, die fordern, dass sich das Land von den europäischen Regeln abwenden soll. Das kommt gut an bei den Bürgern. Vor allem die Linken haben derzeit hervorragende Umfrageergebnisse. Es klingt wie eine Ironie der Geschichte. Die im niederländischen Maastricht beschlossenen Kriterien zur Begrenzung der Staatsverschuldung werden ausgerechnet von den Niederländern öffentlich in die Tonne befördert. Immer deutlicher stellt sich die Frage: Ist der Vertrag von Maastricht noch das Papier wert, auf dem er steht?

Für die Bundesregierung ist das Scheitern der niederländischen Regierung bitter. Ihr kommt ein überaus wichtiger Verbündeter beim Thema Sparpolitik abhanden. Die Regierung in Den Haag gab oft den harten Sparmeister. Sie verschärfte den Kurs noch ein bisschen und drängte Länder wie Griechenland zu immer größeren Anstrengungen. Ausgerechnet diese Regierung ist am Sparen zerbrochen.

Und bald schon könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren engsten Verbündeten überhaupt verlieren. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat die erste Runde der Präsidentenwahl gegen Herausforderer François Hollande verloren - und in den Umfragen liegt der Sozialist auch in der zweiten Runde vorn. Gewinnt Hollande, muss Merkel eines ihrer Lieblingsprojekte nachverhandeln. Der Sozialist will den Fiskalpakt, der die nationalen Regierungen vor allem zum soliden Haushalten zwingt, um einen Wachstumspakt ergänzen.

Der Herausforderer hat den Wählern versprochen, nicht so schnell so viel zu sparen und stattdessen Jobs und Wachstum zu schaffen. Das kommt bei den Franzosen an. Und nicht nur dort. Auch viele Spanier drücken dem französischen Sozialisten die Daumen. Sie hoffen, dass die Regierung in Madrid weniger sparen wird, wenn der große Nachbar das tut. Ähnlich ist die Stimmung in Italien. Da kümmert es wenig, dass sich beide Länder ohnehin schon mehr Zeit beim Sparen nehmen dürfen.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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