Regierungskrise in Berlin:Die entzweite Union

Kabinettssitzung

Regierungskrise: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU).

(Foto: dpa)

Kanzlerin Merkel und ihr Innenminister bekämpfen sich. CDU und CSU sind zerstritten wie seit 1976 nicht. Die Regierung könnte an sich selbst scheitern.

Von Nico Fried, Berlin

Die Kanzlerin wollte erkennbar keinen Fehler machen. Deshalb spickte sie noch einmal auf ihren Sprechzettel, als sie nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Donnerstagabend ihre Kriterien für das Verhalten der Bundesregierung in der europäischen Asylpolitik vortrug. Dieser Katalog wurde mittlerweile so häufig zitiert, dass ihm schon ein Spitzname erwachsen ist: die drei Nichtse. Denn Angela Merkel will nicht unilateral handeln, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter.

Dieser Katalog ist mehr als eine Handlungsanleitung. Er enthält die Prinzipien, hinter die Merkel, die in ihrer Flüchtlingspolitik seit dem Herbst 2015 schon manche Konzession machen musste, nicht zurückfallen will. Die drei Nichtse markieren aber vor allem die politische Linie, an der sich nach knapp 13 Jahren in den kommenden Wochen die Zukunft dieser Kanzlerschaft entscheiden wird. Es handelt sich um die Kriterien, anhand derer Merkel womöglich bald selbst abwägen muss zwischen Machterhalt und "Mach' ich nicht mehr mit".

Zwei Wochen hat sich die Kanzlerin von den CDU-Bundestagsabgeordneten erbeten. Zwei Wochen, die ihr die CSU schon nicht mehr gewährt. Trotzdem will die Kanzlerin nun in dieser Zeit mit Regierungen anderer Staaten der Europäischen Union Abkommen verhandeln, um die sogenannte Sekundär-Migration stärker einzudämmen. Asylbewerber, die in einem EU-Staat registriert sind, sollen am besten gar nicht mehr in Richtung Deutschland ziehen. Und wenn doch, soll ihre Rückführung in den Staat der ersten Registrierung nach einem ordentlichen Verfahren ablaufen - und zügiger als bisher.

So will Merkel die von Seehofer geplanten Zurückweisungen an der Grenze unnötig machen, nach denen die Migranten zu Vagabunden werden könnten, hin- und hergeschoben und von keinem Staat gewollt. Die drei Nichtse sind quasi ein letzter Rest freundliches Gesicht, jenes von Merkel 2015 angeführte Sinnbild für ihre Politik gegenüber Flüchtlingen. Und sie unterscheiden ihre Haltung von der Linie der CSU, die mit Härte den von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder so titulierten "Asyl-Tourismus" beenden will.

Zwei Fragen verfolgen Merkel: Wie will sie in kurzer Zeit erreichen, wofür knapp drei Jahre nicht gereicht haben? Und was passiert, wenn sie es nicht schafft? Ein erster Hinweis, wie Merkels Chancen stehen, ihr ambitioniertes Vorhaben umzusetzen, ist schon am Montag zu erwarten. Dann kommt der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte nach Berlin. Italien gehört zu den Ländern, aus denen trotz einer Registrierung im Ankunftsland besonders viele Asylbewerber weiterziehen. Rund 22 000 Ersuchen auf Rücknahme von registrierten Asylbewerbern hat Deutschland 2017 an Italien gerichtet, mehr als an jedes andere EU-Land und 35 Prozent aller Ersuchen.

Von Montag an, wenn Horst Seehofer sich die Unterstützung der CSU-Gremien in München geholt haben wird, besteht aber zugleich die Möglichkeit, dass der Bundesinnenminister die Zurückweisungen an der deutschen Grenze veranlassen wird. Die CSU argumentiert, eine solche Entscheidung liege in der Ressortzuständigkeit des Ministers. Da Merkel aber Seehofer klar zu verstehen gegeben hat, dass sie diesen Schritt ablehnt, hat sie faktisch von ihrer Richtlinienkompetenz nach Artikel 65 Grundgesetz Gebrauch gemacht. Darüber kann sich der Minister nicht einfach hinwegsetzen.

In Paragraf vier der Geschäftsordnung für die Bundesregierung heißt es: "Hält ein Bundesminister die Erweiterung oder Änderung der Richtlinien der Politik für erforderlich, so hat er dem Bundeskanzler unter Angabe der Gründe hiervon Mitteilung zu machen und seine Entscheidung zu erbitten." Wie diese Entscheidung des Bundeskanzlers, der derzeit eine Bundeskanzlerin ist, ausfallen wird, ist klar - nicht aber, ob sie Seehofer bei Zuwiderhandlung entlässt. Das wäre das Ende dieser Koalition.

"Es gibt keinen Automatismus"

Und was geschieht nach den zwei Wochen? Erfolglosigkeit Merkels bei den Verhandlungen mit den anderen Regierungschefs ist nicht gleichbedeutend damit, dass Merkel sich dann dem Willen der CSU unterwirft. "Es gibt keinen Automatismus", heißt es dazu im Umfeld der Kanzlerin. Andererseits dürfte nicht nur in der CSU, sondern dann auch in der CDU der Druck auf Merkel steigen, mit den Abweisungen an der Grenze ein Signal zu setzen - nicht nur innenpolitisch, sondern auch an die unwilligen Regierungen der europäischen Partnerstaaten.

Dann müsste Merkel sich entscheiden: Fügt sie sich dem mutmaßlichen Mehrheitswillen in der Fraktion - oder bleibt sie den drei Nichtsen treu. Im ersten Fall hieße die Kanzlerin zunächst weiter Angela Merkel. Sie wäre allerdings geschwächt und mit dem Vorwurf behaftet, für den Machterhalt jeden Preis zu bezahlen. Im zweiten Fall müsste sie sich wohl vom Amt verabschieden, auf welchem Weg auch immer.

Eine dritte Variante geht so: Merkel bringt so viel aus den Verhandlungen mit, dass sie zumindest die CDU noch hinter sich halten kann und nur die CSU endgültig meutert. Dann stünde die Trennung der Fraktionsgemeinschaft der Union zur Debatte. Rein theoretisch wäre damit der Weg für die CDU nach Bayern frei. Ihren Wahlvorschlag zur Landtagswahl am 14. Oktober kann sie noch bis zum 2. August einreichen.

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